Der Fluch des American Psycho


Er ist der Pionier der Pop-Literatur und ihr größter Star: Bret Easton Ellis kehrt 25 Jahre nach „Unter Null“ mit „Königliche Schlafgemächer“ zurück an den Ort seiner ersten literarischen Großtat: Ein Treffen mit dem wichtigsten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur in seinem Versteck in West Hollywood, Los Angeles.

Coke nimmt er dieser Tage nur noch in Form jener modischen Mini-Dosen zu sich, die exakt 90 Kalorien zählen. Kaum dass wir sein Apartment am Rande von West Hollywood betreten haben, greift sich Ellis einen der Winzlinge und drückt mir einen zweiten in die Hand. Von außen wirkt der Apartment-Komplex unscheinbar, doch der Blick von oben ist umso spektakulärer: Es ist ein „grandioses Panorama, das von den Wolkenkratzern der Innenstadt über das dunkle Grün von Beverly Hills und die Glas-Türme von Century City bis hin nach Westwood reicht …“ So jedenfalls beschreibt uns Clay in „Königliche Schlafgemächer“ („Imperial Bedrooms“), Ellis‘ neuem Roman, den Blick von seinem Apartment.

Wir lernten Clay bereits 1985 kennen, als den Erzähler von „Unter Null“, jener akribischen Momentaufnahme einer Jugend, die sich – ohne jede elterliche Aufsicht – in einen Zustand der sozialen Anästhesie und Gesetzlosigkeit manövriert. Wie schon damals fällt es schwer, in Ellis‘ Romanen zwischen Fiktion und nur flüchtig verkleideter Realität zu unterscheiden. „Unter Null“ – wie auch der ähnlich wüste und deprimierende Nachfolger „Die Regeln des Spiels“ – galt damals als „sexy“, ebenso wie Ellis selbst und die schreibende Party-Gang, zu der sich andere Jung-Talente wie Jay McInerney gesellten.

Ellis war über Nacht eine literarische Celebrity geworden und sonnte sich in einem Status, den junge Autoren nur höchst selten erreichen. (Vielleicht auch gar nicht mehr anstreben: Oder kann man sich einen Jonathan Safran Foer vorstellen, der nach durchzechter Nach mit blutiger Nase aus einem In-Club heraustorkelt?) „Lunar Park“, Ellis‘ letztes Buch, wurde sogar von einem „Bret Easton Ellis“ erzählt, der sich einen genüsslichen Seitenhieb auf die freche Frühreife genehmigt: „Es musste immer die erste Reihe sein, immer auf der Achterbahn ganz vorne. Es hieß nie:, Lass uns die nächste Flasche Schampus nicht bestellen.’… Es war der Anfang einer Zeit, in der dem Roman selbst kein Wert mehr zuzukommen schien – die Veröffentlichung eines glänzenden, buchähnlichen Objektes war nur die Ausrede für Parties und Glamour.“

Heute ist Ellis 46 Jahre alt und bezeichnet diese Phase leicht ironisch als „Empire“ – womit er einen Begriff aufgreift, mit dem Gore Vidal das amerikanische Hegemoniedenken beschreibt. Ellis datiert diese Zeitspanne von 1945 bis 2005: „Inzwischen leben wir in einer Post-Empire-Welt, oder vielleicht auch in einer geschichtslosen Endzeit, ich weiß es nicht.“ Für ihn stellt sich allerdings die Frage, wie das Post-Empire konkret für Bret Easton Ellis aussehen könnte. Auf seinem Twitter-Account hat er sich an einer Definition der beiden Zeitalter versucht, indem er Pop-Phänomene gegenüberstellt. Post-Empire sind für ihn Shia LaBeouf, Lady Gaga, „Twilight“ und die Cartoon-Verfilmung „Kick-Ass“. Empire sind Bruce Willis, R.E.M., New York, die Polo Lounge, Veuve Clicquot und „die amerikanische Reaktion auf Kick-Ass“. Was das Stichwort für „Königliche Schlafgemächer“ ist: Der Roman spielt 25 Jahre nach „Unter Null“ und wird von seinem amerikanischen Verlag als Fortsetzung verkauft: „The story continues …“

Was allerdings nicht wirklich zutrifft. In dem neuen Roman ist Clay zwar 25 Jahre älter und ein Drehbuchautor, der aus seinem New Yorker Exil (richtig, er wohnte genau da, wo auch Ellis wohnte, nämlich im Silk Building am Union Square) nach Los Angeles zurückkehrt. Und er wird konfrontiert mit all den verqueren, selbstzentrierten Charakteren des ersten Buchs, die inzwischen in die Jahre gekommen sind, mit der Realität aber noch immer auf Kriegsfuß stehen. Von dem brutalen Nihilismus abgesehen, der aus beiden Büchern quillt, ist „Königliche Schlafgemächer“ aber letztlich das genaue Gegenteil von „Unter Null“, das bekanntlich mit dem ominösen Satz begann: „In Los Angeles haben Menschen Angst, auf dem Freeway die Fahrbahn zu wechseln.“ In „Königliche Schlafgemächer“ suchen die Protagonisten geradezu verzweifelt nach Anschluss – auch Clay, der sich exzessiv in eine Frau verliebt, die sich durch ihn wiederum eine Beschleunigung ihrer Karriere verspricht.

„Die Einrichtung ist minimal, warme Beige- und Grau-Töne dominieren, dazu ein Holzfußboden und indirekte Beleuchtung“: Ellis‘ Beschreibung von Clays Apartment könnte auch auf sein eigenes zutreffen. Es sieht aus wie ein Hotelzimmer, das man für einen längeren Zeitraum gemietet hat. Ellis kaufte es, als er vor vier Jahren zurückkam, und wollte eigentlich nur so lange bleiben, bis er in New York eine passende Unterkunft gefunden hatte. (Sein altes Apartment hat er untervermietet.) Aber die Immobilienpreise gingen in den Keller – und Ellis blieb in Los Angeles. Als ich kurz nach fünf eintreffe, räkelt sich ein schmächtiger Mitt-Zwanziger auf dem Sofa und schaut Cartoons im Fernsehen; neben dem Sofa lehnt eine Gitarre. Wir plaudern miteinander, aber Ellis stellt uns nicht vor. 2004 – zum Ende der „Empire“-Phase also – starb Michael Wade Kaplan, Ellis‘ langjähriger Boyfriend, im Alter von 30 Jahren an einem drogeninduzierten Herzinfarkt. Ellis hat sich zum „gay thing“, wie er es nennt, nie eindeutig erklärt und kann dem schwulen Versteckspiel in Hollywood durchaus pragmatische Aspekte abgewinnen. Wie er schon im autobiografischen Teil von „Lunar Park“ schrieb: „Ich war ein Mysterium, ein großes Rätsel, und das war alles, was zählte – und was Bücher verkaufte.“ In diesem Roman hatte „Ellis“ Frau und Kinder, seine Charaktere waren überwiegend hetero, von dekadent bisexuellen Impulsen einmal abgesehen.

Das Apartment war möbliert, als er einzog, und er hat seitdem wenig verändert – bis hin zu dem leeren Buchregal an der Eingangstür. Es ist tatsächlich, wie Clay im Buch sagt, „ein guter Ort, um sich zu verstecken“. Erst nachdem er eingezogen war, stellte Ellis fest, dass er von hier aus das Penthouse sehen konnte, das sein Vater nach der Scheidung von seiner Frau in Century City bezog. Er zeigt es mir vom Fenster aus und führt mich dann über den Flur zu seinem Büro, das eigentlich nur aus einem gläsernen Tisch und zwei silbernen Macs besteht. Er setzt sich hinter den Schreibtisch und, von den Computern halb verdeckt, trommelt mit den Fingern auf seine Lippe – ganz so, als wolle er mich für einen Job interviewen. Das Buchregal zur Rechten ist klein und überschaubar und beherbergt Bücher, die man bei ihm erwartet (Balzacs „Verlorene Illusionen“, Musils „Mann ohne Eigenschaften“, „Absalom! Absalom!“ von William Faulkner und „Play It As It Lays“ von Joan Didion), zur Linken sehe ich eine Graspfeife in der Gestalt von Homer Simpsons Kopf.

„Ich wollte keine Fortsetzung zu, Unter Null‘ schreiben“, sagt er, „aber es interessierte mich schon, was aus Clay und den Anderen geworden war. Und diese Frage verfolgt einen wie ein Fluch, sie will einfach nicht verschwinden. Man kann sich nicht sagen:, Nun pass mal auf! Vergiss es einfach und konzentrier dich auf was Anderes!‘ – das funktioniert nicht. Also macht man sich ein paar Notizen:, Vermutlich ist er inzwischen Drehbuchautor. Welche Konsequenzen hat das? Und er ist sicher zurück in L.A., richtig?‘ Und dann will man es bis zum Ende durchspielen – unabhängig davon, ob es ein Publikum findet, unabhängig auch davon, ob es so etwas wie ein Verrat an dem ersten Buch ist. Es ist ein Phänomen, das man als Schreiber nicht wirklich kontrollieren kann.“ Und davon abgesehen „glaube ich ohnehin, dass, Unter Null‘ inzwischen ein Eigenleben führt, das man nicht mehr kompromittieren kann. Es hat eine Reputation. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fortsetzung ihm etwas anhaben kann.“

„Fluch“ ist ein treffliches Wort für Ellis, der immer auf der Suche nach dem Zustand vor dem großen Sündenfall ist – ganz so wie seine Freundin und literarische Inspiration Joan Didion („Ich tippte ganze Absätze von ihr ab, um zu kapieren, wie sie es gemacht hat“). Schon in „Unter Null“ ließ sich ein Hang zur Vergangenheitsbewältigung feststellen, in den kursivierten Passagen nämlich, die Clays Kindheit aufarbeiten – und als solche bereits veröffentlicht wurden, als Ellis noch auf dem College war. Bekanntlich überschlugen sich danach die Ereignisse, ausgelöst vor allem durch Ellis‘ bluttriefenden dritten Roman „American Psycho“, der „aus diesem undefinierbaren Zorn entstand:, Okay, das ist also die Welt der Erwachsenen.'“

Schon im Vorfeld wirbelte das Buch jede Menge Staub auf: Simon & Schuster, sein ursprünglicher Verlag, ließ das Buch wie eine heiße Kartoffel fallen, nachdem Zeitschriften wie „Time“ vernichtende Reviews veröffentlicht hatten. (Vintage übernahm daraufhin die Rechte.) Wenn man Ellis über die Entstehung des Romans reden hört, klingt die Vorgeschichte eigentlich völlig harmlos. Er hatte sich mit Wall-Street-Bankern angefreundet, um vielleicht so den Stoff für das kommende Buch zu finden, „aber es war alles andere als inspirierend. Dann lernte ich über Freunde ein paar Burschen kennen, mit denen ich zum Essen ging. Und plötzlich kam mir die Erleuchtung: Einer der Jungs muss ein Serienmörder sein – und von da an schrieb sich das Buch wie von selbst. ‚Es wird durchaus auch eine humoristische Seite haben‘, dachte ich mir,, aber ein paar Nackenhaare werden sich schon sträuben.'“ Für die Buchverkäufe erwies sich der Skandal natürlich als hilfreich, und wie schon „Unter Null“ warf auch „American Psycho“ nicht nur einen ästhetisch durchgestylten Film ab, sondern läutete auch eine neue Ära des literarischen Exzesses ein.

Heute verdient Ellis sein Geld vorwiegend in Hollywood: Er arbeitet an Drehbüchern, auch an Projekten für Kabelkanäle wie HBO und Starz, und bereitet mit Gus Van Sant einen Film vor, der auf dem Leben und Freitod von Theresa Duncan und Jeremy Blake basiert. In gewisser Weise war „Königliche Schlafzimmer“ nur ein Nebenkriegsschauplatz, aber gleichzeitig war das Buch eine Etappe in seiner Vergangenheitsbewältigung, seiner Rückkehr nach Los Angeles, wo viele seiner Freunde nun mal „Regisseure, Schauspieler und Produzenten sind, mit denen ich an irgendwelchen Projekten arbeite“. Ellis hat für die Verlockungen von Ruhm und Reichtum immer ein offenes Ohr gehabt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. „Vielleicht ist es ja eine seltsame Manifestation meines Anti-Intellektualismus“, sagt er, „aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber mit Rob Pattinson abhängen als mit Richard Ford“. Vielleicht ist es einfach auch nur Unsicherheit. Er öffnet eine Schublade und fragt, ob ich was dagegen habe, wenn er sich eine Zigarette anzünde. Eines der Dinge, die er an Los Angeles schätze, sei die Tatsache, dass „man sich hier einfacher treiben lassen kann … vor allem, wenn man das Gefühl hat, nicht gerade der Schlauste zu sein“.

Anders als Clay „bin ich kein, erfolgreicher Drehbuchautor'“, sagt Ellis. „Man fragt mich nicht, ob ich den neuen, Predator‘ schreiben wolle. Clay hat die großen Studios an der Hand, hat die allerbesten Connections und Filme mit so knackigen Titeln wie, Adrenalin.'“ Ein Hauch von gespieltem Neid liegt in seiner Stimme. Tatsache ist, dass er und Van Sant gerade erhebliche Probleme haben, ihren Film überhaupt zum Laufen zu bringen. „Du kannst dir vielleicht vorstellen, was es bedeutet, hier einen Film über zwei Leute zu verkaufen, die sich am Ende umbringen. Der Vorgang selbst hätte einen hochgradig lustigen Stoff geliefert. Überall hört man:, Oh, wir würden liebend gerne den fertigen Film sehen, aber Geld reinstecken möchten wir nicht.'“ Van Sant hatte wohl auch versucht, die Regie für „Twilight“ zu ergattern. „Da kann man einen Haufen Geld einfahren“, flüstert Ellis so leise, dass es auf meinem Bandgerät später nicht hörbar ist.

Als er die Abläufe von „Königliche Schlafzimmer“ skizzierte, vertiefte sich Ellis in die Lektüre von Raymond Chandler. „Ich beschäftigte mich mit dem archetypischen Hollywood-Roman, mit dem Mythos der Ausbeutung, für den Hollywood nun mal steht.“ Das Problem, mit dem Clay konfrontiert ist, „hat ursächlich sicher mit seinem Narzissmus zu tun. Anders gesagt: Was passiert, wenn ein Narziss wie er voll gegen die Wand läuft, wenn all seine Tricks, mit denen er seinen Narzissmus füttert, plötzlich nicht mehr funktionieren?“

Dem Hedonismus seiner Romane zum Trotz ist Ellis ein eingefleischter Moralist. Wir sprechen darüber, wie seine Schilderungen extremer Brutalität immer als lustvolle Affirmation ausgelegt wurden, seine Perspektivlosigkeit als beinharter Nihilismus – und eben nicht als Resultat einer inneren Blessur. „Keinen Sinn zu finden kann eine ebenso intensive Erfahrung sein wie die Entdeckung von Sinn. Der Zustand der Betäubung ist eben auch ein Gefühl. Es erinnert mich an die Kritik am Minimalismus, an Warhol: Viele Leute können das einfach nicht nachvollziehen, sie können sich emotional nicht darauf einlassen. Dieser Zustand ist so etwas wie … die komprimierte Erfahrung von Horror.“ Er macht eine Pause. „Aber ich kann über meine Bücher einfach nicht sprechen.“

Er zündet sich eine weitere Zigarette an und dreht sich in seinem Stuhl. Die Sonne geht langsam unter, und sein Apartment – noch gerade von der kalifornischen Sonne durchflutet – versinkt im Dunkel. Ich frage ihn nach dem Geist des toten Jungen, der in Clays Apartment – seinem Apartment – sein Unwesen treibt. „Das ist die Preisfrage“, sagt er. „Wenn ich sie beantworten müsste, würde ich wohl sagen:, Ist es seine Jugend? Ist es Clays Jugend, die ihn verfolgt? Blablabla.“ Er schweigt für einen Moment. „Ich möchte gar nicht erst anfangen, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Er bringt mich nicht weiter.“

„Königliche Schlafgemächer“ erscheint am 23. September in Deutschland.