Der Rächer vom Dienst


Kevin Costner kämpft diesmal nicht nur gegen den Sheriff von Nottingham, sondern auch gegen 50 Jahre Filmgeschichte.

Die Geschichte ist alt. Anno 1230 findet „Robertos Hood, Fugitivus* erstmals Erwähnung in einer mittelalterlichen Steuerfahndungsliste. Anno 1991 tobt der edle Robin in hitträchtiger Person Kevin Costners zum zehnten Mal (exotische Filmversionen aus der UDSSR nicht mitgezählt) über die Leinwand. Douglas Fairbanks, Errol Flynn, John Derek. Scan Connery, die Liste der namhaften Vorgänger ist lang. Ist da in den Kreativzellen des heutigen Hollywood das große Gähnen ausgebrochen, oder braucht unser Jahrzehnt tatsächlich die definitive Neufassung des Rächers auf der Pirsch?

Drehbuch-Autor John Watson ist sich seiner Sache sicher: „Das Publikum braucht neue Helden. Es hat mittlerweile genug von Bullen, Robotern und Aliens. Und nach diesem Krieg ist die Zeit sowieso ideal, um romantische Typen ins Kino zu bringen.“

Romantik hin oder her, in der Vorgeschichte der 50 Millionen schweren Mammutproduktion war das Autoren-Team John Watson und Pen Densham mit ihrer Idee vom neuen Ideal wahrlich nicht allein auf weiter Flur. Allein fünf verschiedene Drehbücher zum Thema Robin Hood machten in Hollywood die Runde. Und drei davon landeten in Costners Briefkasten. Die Entscheidung des hochdotierten Oscar-Preisträgers für die Variante der amerikanischen Warner Bros, unter der Regie seines alten Kumpels Kevin Reynolds bereitete dem Rennen um den besten Rächer ein schnelles Ende. Geschickte Firmenpolitik — selbst Regisseur Reynolds, bisher mit zwei Filmen in zehn Jahren eher mäßig vom Ruhm verfolgt, vermutet, die Entscheidung für seine Person sei nicht ohne Seitenblick auf seine guten Beziehungen zu Costner gefällt worden.

Das einzig verbleibende Konkurrenzprojekt der 20th-Century-Fox versuchte, mit Mel Gibson einen ebenbürtigen Kämpfer zu verpflichten, doch als dieser ablehnte, beschränkte sich die Produktion mit Patrick Bergin auf die zweite Darstellergarde. In den USA kommt „Robin Hood — Ein Herz für Richard Löwenherz“ noch nicht mal in die Kinos. Eins zu null für Costner und Co.

Die Widersacher der Gegenwart abzuschütteln dürfte für Kevin Costner auf dem Zenit seiner bisherigen Karriere lediglich ein kleines Aufwärmtraining gewesen sein. Siegreich bis jetzt könnten ihn jedoch die Geister der Vergangenheit an der Kinokasse jagen. Allen voran Errol Flynn. der in grüner Stretch-Hose und kekkem Federhütchen seit 1958 durch die Vorstellungswelt der Kinobesucher geistert. Doch Costner hat seine Gegner fleißig studiert: „Bevor ich zu den Dreharbeiten nach England fuhr, habe ich mir mindestens zehnmal ,Die Abenteuer von Robin Hood‘ angesehen. Ich finde Errol Flynn war großartig, aber der Film wirkt natürlich heutzutage ein bißchen lächerlich. Ich glaube, Errol halte sogar Silberschnallen am Kostüm. “ Regisseur Reynolds sagt dem Vorbild mit Tradition gleich völlig ab: „Filmklassiker langweilen mich zu Tode. Sie sind so altmodisch und meistens eine Enttäuschung. „

Die Costner-Reynolds-Vcrsion des mittelalterlichen Helden will in erster Linie eine „realistische Figur“. Und die kleidet sich nicht in gepflegtem Grasgrün, sondern erdfarben. Und so verdreckt und verlottert, wie es sich für jemanden gehört, der seine Tage und Nächte im Wald verbringt. Reynolds: „Was für einen Sinn hatte es, die Legende wieder aufzuwärmen, wenn man ihr kein neues Leben geben würde.“ Dafür sorgt auch eine Maid Marian (die mit Mary Elizabeth Mastrantonio als Darstellerin eher überzeugt feministisch denn lieblich mittelalterlich wirkt) und ein paar Kunstgriffe in der Phantasiehandlung, die Robin Costncr einen schwarzen Blutsbruder (Morgan Freeman) und einen aufmüpfigen Halbbruder (Christian Slater) zur Seite stellen. Costner selbst präsentiert sich als ausgesprochen talentierter Hobby-Sportler mit Spaß bei der aktionsreichen Sache und zeigt einen Robin Hood, der mit mehr Witz und Gefühl rettet a]s frühere Ausgaben.

Vielleicht ist der zehnte Aufguß ja der beste. Diese Theorie scheint sich jedenfalls in Hollywood hartnäckig zu verdichten: Timothy Dalton und Gerard Depardieu streiten demnächst um den Titel ..Columbus der Neunziger, das Robin Hood-Produktionsteam investiert die nächsten 50 Mille in eine Neufassung des Grafen von Monte Christo — und Graf Dracula soll in nächster Zukunft gleich siebenmal aus der Gruft ans Licht befördert werden.