Auch bei Elton John ist es Jetzt soweit. Unter dem Namen ‚Rocket‘ (Rakete) hat er ein eigenes Plattenlabel in die Welt gesetzt. Die Gruppen, die Elton in Zukunft produziert, zeichnen sich durch einen weichen, mehr oder weniger akustischen Sound aus. Das scheint ein günstiger Ausgangspunkt zu sein, da die meisten Label in England Hard-Rock Gruppen unter Vertrag haben. Elton John kann seine eigenen Songs vorläufig allerdings noch nicht auf dem Rocket-Label herausbringen, da zunächst noch ein Zwei-Jahres-Vertrag mit DJM-Records ablaufen muss.
Inzwischen sind die ersten Platten von ‚Rocket‘ auf dem Markt erschienen. Obwohl Elton erklärte, dass seine neue Firma nicht gerade reich sei, veranstaltete er einen Presse-Treff, der neulich mit nicht geringem Aufwand in London und Umgebung stattfand. Dazu waren 300 Musik-Journalisten aus ganz Europa eingeladen. Unser Korrespondent war natürlich dabei. Was er erlebte, berichtet er in den folgenden Zeilen:
„Rocket ist eine grosse Familie“
Abends stiegen wir in der Londoner Paddington Station in den ‚Rocket‘ Sonderzug. Während zahllose Drinks dafür sorgten, dass unser Alkohol-Spiegel langsam aber sicher anstieg, rollten wir durch Good 0l‘ England. Unser Ziel war Moreton-In-Marsh, ein Ort in der Nähe von Oxford. Speziell für diesen Trip ins Grüne waren in den Zug Kopfhörer montiert, mit denen man der Musik der Rocket-Bands zuhören konnte.
Als wir schliesslich in dem erwähnten Ort ankamen, wurden wir von dem lokalen Musikkorps und einem Grossteil der Bevölkerung festlich empfangen. Die gesamteuropäische Delegation begab sich im Anschluss daran in eine kleine Kirche, die so umgebaut worden war, dass in ihrem Innern die Auftritte von Mike Silver, der Gruppe ‚Longdancer‘ und Elton John stattfinden konnten.
Mit einigen Leuten aus seiner Begleitband (u.a. Bernie Taupin, David Johnstone und Nigel Olsson) schaffte sich Elton John in einer Session, die bei dem schon leicht angetrunkenen Publikum hervorragend ankam. Er ritt ein wenig auf der David Bowie Masche und als er ‚Honky Tonk Women‘ intonierte, gab es kaum jemanden, der nicht mitsang. Die Stimmung konnte kaum besser sein. In einer kleinen Ansprache erklärte Elton, dass seine Plattenfirma die Interessen der Musiker vor die Interessen des Profits stellen würde. „Rocket ist eine grosse Familie und wir sind nicht sehr reich.“ Diese Äusserung, die angesichts des einigermassen luxuriösen Aufwands für die Presse nicht ganz glaubwürdig klang, wurde dann auch von den Anwesenden mit schallendem Gelächter kommentiert.
Longdancer
Eine der Top-Gruppen auf dem neuen Label heisst ‚Longdancer‘. Der ‚Kopf‘ dieser Band ist Kai Olsson, der Bruder von Elton John’s Drummer Nigel Olsson. Longdancer entstand 1971 und machte sein Debüt im Sunderland Folk-Club ‚The George and Dragon‘. 1972 zog die Gruppe nach London und bereitete sich auf ihre erste LP vor, die jetzt unter dem Titel ‚If It Was So Simple‘ erschienen ist. Unter dem gleichen Titel kann man Longdancer auch auf einer Single antesten. Alle Mitglieder der Folk-Band spielen mehrere Instrumente und sie bewiesen auf dem Rocket-Presse-Treff, dass sie auch ihre Stimmen voll beherrschen. Ihre Musik lässt sich vielleicht am ehesten als auf Pop getrimmten mittelalterlichen Minnegesang umschreiben.
Zwanglos
Nach dem Konzert in Moreton-In-Marsh wurde es höchste Zeit, wieder in den Zug zu steigen. Einige in unserer zwanglosen Gesellschaft mussten mittlerweile bereits getragen werden, denn der Alkohol hatte ganze Arbeit geleistet. Auf der Fahrt zurück nach London waren dann die Toiletten auch dauernd besetzt, und diejenigen, die sich noch munter fühlten, zogen in einer Polonaise durch die Gänge. Gerade als ich mir die Longdancer-LP über Kopfhöhrer anhörte, kam die ‚Menschenschlange‘ durch mein Abteil. Elton John führte die Polonaise an und wie es nicht anders zu erwarten war, zog man mir sogleich die Hörer über die Ohren. Ungeachtet meiner Kondition fand ich Sekunden später heraus, dass ich bereits mit der ‚Schlange‘ durch den Zug schaukelte. Es ging schon recht lustig zu zwischen Moreton und London …
