Die 50 Platten des Jahres: Rezensionen der Plätze 10 bis 7


Die Musikexpress-Redaktion hat auch 2014 die Alben des Jahres gekürt. Weshalb welche Platte auf welchem Platz gelandet ist, könnt ihr jetzt online nachlesen. Hier sind die Plätze 10 bis 7.

Platz 10: Wanda – AMORE

Wie aus dem Nichts erschien im April das grandios rotzige Stück „Schickt mir die Post“ der bis dato unbekannten Wiener Wanda. „Ich will zum Himmel fahren, so schnell und bequem wie es geht“, röhrt Sänger Marco über eine beschwingte Nummer, deren Melodie gegen Ende sogar gepfiffen wird. Den im Juli nachgeschobenen Seelentröster „Auseinandergehen ist schwer“ tragen dann Streicher. Im Mitte Oktober veröffentlichten Video zum Abschlusssong der Singles-Trilogie, „Bologna“, wird ein Gitarrensolo über den Dächern der titelgebenden Stadt gespielt. Alles Beispiele, die im Wörterbuch des Indie-Deutsch hinter dem Begriff „uncool“ geführt werden. Wanda drücken auf dieser Seite ihre Kippen aus. Ihr Sänger trägt stolz Halbglatze, gibt sich als Großstadtrebell, ein dandyhafter Zechbruder, ein Straßen-Falco. Die Vergleiche zu The Clash und Babyshambles sind absolut angebracht. Rock’n’Roll auf Deutsch mit Schmäh statt Schenkelklopfer, mit Poesie statt Wortakrobatik, mit vielleicht sogar mehr Herz als Hirn – im besten Sinne. Ein Wonder, diese Wanda. (Stephan Rehm)

Platz 9: Kate Tempest – EVERYBODY DOWN

Elf Jahre Arbeit, so liest man, steckten in Kate Tempests Debütalbum. Man glaubt das gerne, denn alleine in Sachen Quantität setzt die Londonerin auf EVERYBODY DOWN Maßstäbe: Tempest ist eine Storytellerin, die den Hörer in einen Alltag blicken lässt, der nicht unbedingt ihrer ist, aber der ihrer Generation. Im Prinzip sind das rhythmisierte, lose miteinander verwobene Kurzgeschichten mit wiederkehrenden Charakteren, in deren Zentrum die junge Erwachsene Becky steht: Wir hören anfangs von der „usual Scene“ im Night- club, die aber jede Menge Schwere in sich trägt und von den Akademikern, die trotz bester Abschlüsse bis ans Ende der Retail- Kette heruntergeschoben werden, bis zur Billigkette Primark. Wir hören von dem Mädchen mit den weichen Augen, das als Sexarbeiterin in Bars anschafft und dabei eine ganz eigene Moral hat. Und die Musik? Wurde von Dan Carey produziert und erinnert an den frühen Mike Skinner und Roots Manuva. Der Sound des kontempo- rären Londons, das man als Tourist nur am Rande mitbekommt – ebenso beklemmend wie großartig. (Jochen Overbeck)

Platz 8: Banks – GODDESS

Mal ganz abstrakt betrachtet: Eigentlich ist die Musik von Banks genau so, wie man sich in einer jungen, modernen Gesellschaft gerne eine junge, moderne Frau vorstellt: betörend, kreativ, emotional, im richtigen Maß nachdenklich, manchmal auch zaudernd fragil, aber vor allem kraftvoll. Und mit GODDESS – so heißt diese moderne Frau schwärmerisch bei ihr – hat die Kalifornierin Jilian Banks 2014 das Post-R’n’B-Album abgeliefert, das quasi seit 2011 überfällig war. Ein Album, so vollgestopft mit großen Pop- balladen, so vollendet pendelnd zwischen tiefster elektronischer Melancholie und höchstem Glücksgefühl, dass es als Hö- hepunkt und Vollendung des Genres ge- sehen werden kann: Viel mehr wird dem postmodernen Kräftemessen zwischen Elektronik und Black Music nicht hinzuzufügen sein. Die Musik klingt in den Heartbreak-Momenten („Waiting Game“) intim gehaucht, prickelt beim Flirten im Club verführerisch („Warm Water“) und ist, wenn Girl Power angesagt ist, auch mal aufmunternd: „She gave it all, you gave her shit. But she’s a goddess.“ (Annett Scheffel)

Platz 7: Neneh Cherry – BLANK PROJECT

Gewagte These: Cherrys erstes Soloalbum seit 18 Jahren ist das Beste, was dem Pop 2014 passieren konnte. Und das keinesfalls wegen der warmen Erinnerungsfetzen an ihre Urban-Soul-Hits aus den 90ern, die Cherrys Name ins Gedächtnis spült, und deren Sound gerade so angesagt ist. Im Gegenteil, BLANK PROJECT ist das Comeback der Avantgardistin Cherry, die sie war, bevor sie MTV-Starlet wurde. Und es ist, was der Titel verspricht: die Zurückführung der Popmusik auf die reine Form, wie sie so stilsicher lange niemand geleistet hat. Das liegt auch am britischen Sample-Feingeist Four Tet, der als Produzent für den kühlen Minimal Funk verantwortlich zeichnet. Der Weg vom intimen Opener „Across The Water“ bis zur abschließenden Alternative-Disco-Nummer „Everything“ ist beschwerlich – zwischendurch schleichen sich Ahnungen von Schutzlosigkeit in die Texte („Naked“) und lauern in paranoider Beklemmung schwarze Hunde („Spit Three Times“). Wenn am Ende aber Cherrys wilde „Yeahyeahs“ in eine Funk-Trance verfallen, hat sich alles gelohnt. (Annett Scheffel)

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