Die Band Messer im Interview: „Wir wollen Reibung erzeugen“


Messer über den NSU-Prozess, Lampedusa-Flüchtlinge, Coolios Mikrofon und ihr vermeintlich schwieriges zweites Album DIE UNSICHTBAREN.

Messer aus Münster gelten als neue Hoffnung des deutschsprachigen Post-Punk. Gerade haben sie ihr zweites Album DIE UNSICHTBAREN auf This Charming Man Records veröffentlicht. Ein Gespräch mit Sänger Hendrik Otremba und Bassist Pogo McCartney über die unsichtbaren Leben der Anderen und die Arbeit mit Tobias Levin.

Musikexpress: „Die Unsichtbaren“, was für Leute sind das?

Hendrik Otremba: Die Platte ist stark vom NSU-Prozess beeinflusst. Ich habe viele Zeitungsartikel darüber gelesen und mir fiel auf, wie unglaublich krass das ist: Es trat so viel Leid von Familien dadurch an die Oberfläche, dass dieser Skandal öffentlich wurde. Ich habe gemerkt, dass dort Menschen sind, die ein furchtbares Leben haben und mit ihrem Leid alleine sind. Die bleiben sonst unsichtbar. Die finden keine Öffentlichkeit. Die müssen das mit sich ausmachen. Es gibt ja – nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt und überall noch mal anders – ein Riesenleid, das nicht wahrgenommen wird. Das interessiert keinen. Dieser Gedanke hat mich beeindruckt. Deshalb steht hinten auf der Platte eine Widmung – für die Unsichtbaren.

Haben Euch außer dem NSU-Prozess noch andere Ereignisse auf dieses Thema gestoßen?

Hendrik: Solche Ereignisse muss man nicht suchen, die sind ja leider omnipräsent. Unser Schlagzeuger Philipp lebt in Hamburg und hat da diese Lampedusa-Geschichte intensiv mitbekommen. Die Leute sind in Hamburg deswegen auf die Straße gegangen. Das ist natürlich etwas, das einen nicht kalt lassen kann. Und das bedeutet für uns, dass wir versuchen müssen, kleine Zeichen zu setzen. Wir tun zum Beispiel etwas, indem wir jetzt auf der Platte das „Kein Mensch ist illegal“-Logo haben, das auch auf unserem Tourbus stehen wird. Einfach, weil wir das als eine Institution empfinden, die nicht vor einen Karren gespannt wurde. Die stehen für sich.

Pogo McCartney: Natürlich sind wir alle in Watte gepackt. Da muss man sich nichts vormachen. Wir haben alle Jobs, wir kommen aus so einer Mittelklasse-Bürgerlichkeit. Aber das sind trotzdem Dinge, über die man einfach absolut schockiert ist. Der pure Wahnsinn, dass es so etwas gibt.

Hendrik: Das mündet bei uns allerdings nicht in Misanthropie, in einem generellen Nein-Sagen. Wir wollen keine Antworten formulieren, sondern Fragen. Wir wollen sagen: „Irgendwas stimmt nicht.“ Wir wollen Reibung erzeugen.

Seid Ihr also mehr Politband als „L’art pour l’art“?

Hendrik: Wir sind bestimmt auch „L’art pour l’art“. Ich glaube, das muss kein Widerspruch sein. Es gibt Dinge, die sind losgelöst vom konkreten Leben und von konkreten Situationen. Aber es gibt auch Dinge, die entstehen, weil man über etwas stolpert und sagt: „Boah ey, hier braucht es einen Aufschrei.“

„Die Unsichtbaren“ ist Eure zweite Platte. Musiker und Kritiker sprechen oft vom „schwierigen zweiten Album“. Würdet Ihr das so unterschreiben?

Hendrik: Ich kann gut nachvollziehen, dass viele sagen: „Das zweite Album ist schwierig.“ Vor allem, wenn man mit dem ersten Album eine gute Presse hatte. Man entwickelt – auch, wenn man das nicht will – schon Erwartungshaltungen. Man möchte, dass es gut weitergeht. Das bedeutete für uns aber keinen Druck. Wir haben relativ frei, offen und easy weitergemacht. Nur der Aufnahmeprozess, das Schneiden und die Phase bis dann die Master da sind, das zieht sich natürlich schon. Jetzt ist alles fertig, die Platten sind aus dem Presswerk raus. Und das fühlt sich auf jeden Fall ziemlich gut an.

Wie unterscheidet sich denn „Die Unsichtbaren“ von Eurem Debüt „Im Schwindel“?

Pogo: Ein Unterschied ist, dass wir beim ersten Mal überhaupt nicht wussten, wohin die Reise geht. Wir haben uns keine großen Gedanken gemacht vor dem ersten Album – so, wie wir es dann bei „Die Unsichtbaren“ gemacht haben.

Hendrik: „Im Schwindel“ haben wir in dreieinhalb Tagen aufgenommen. Und jetzt hatten wir mehr Zeit. Aber wir hatten auch einfach ein ganz anderes Gefühl im Studio. Es ging nicht darum, irgendetwas, das bis ins letzte Detail fertig ist, eben aufzunehmen. Wir wussten: in der Produktion mit Tobias Levin wird noch viel passieren.

Was hat Euer Co-Produzent Tobias Levin, der bekannt ist für seine Arbeit mit Tocotronic und Kante, denn konkret eingebracht?

Pogo: Tobias hat angestoßen, dass wir live und auf Band aufnehmen. Das war eine ganz neue Erfahrung, mit dem Raum zu spielen und auf die Anderen zu hören. Und ich glaube, im Gesang hat sich Tobias’ Einfluss niedergelegt, ne?

Hendrik: Auf jeden Fall. Der Gesang wurde nicht live parallel eingesungen. Den haben wir aufgenommen, als die Stücke in einem Roh-Mix fertig waren. Tobias hat mich in der Art, wie ich eingesungen habe, schon geprägt: Ich hatte Respekt vor den Gesangsaufnahmen, weil ich wusste, mit wem er schon gearbeitet hat. Und dann war’s für mich sehr positiv, weil er mir sehr viel Selbstbewusstsein gegeben und Entdeckungen ermöglicht hat, die ich, wenn ich alleine aufgenommen hätte, nicht so schnell gemacht hätte. Ich dachte erst, ich würde in dem Raum einsingen, in dem die Anderen eingespielt haben. Dann sagte Tobias aber: „Hendrik, sag’ mal, hättest Du was dagegen, wenn Du dich einfach neben mich stellst?“ Wir haben dann so aufgenommen, dass ich ihm ins rechte Ohr gerufen habe, während er am Mischpult saß. Er ist dauernd aufgesprungen, herumgehüpft und hat getanzt. Man hat sofort gemerkt, wenn etwas gut läuft. Das war sein Einfluss: eine sehr intime Atmosphäre im Gesang herzustellen. Wir haben vorher übrigens lange nach den richtigen Mikrofonen gesucht. Ich habe dann auch in ein altes Mikrofon eingesungen, das Coolio schon mal benutzt hat.

Pogo: Darum ist auch mehr Sprechgesang auf dieser Platte. Das liegt an Coolio.

Denkt Ihr denn schon an die dritte Platte?

Hendrik: Die hat sogar schon einen Titel, den wir jetzt aber noch nicht verraten.

Pogo: Wir planen eine Art experimentelles Zwischenalbum, angelehnt an Krautrock-Sachen.

Hendrik: Aber auch an Techno. Ich glaube, das wird visionär (lacht).