Die Doctors of Madness rollen an


Nicht nur der Gruppenname verpflichtet und wird zum Programm – auch an den Namen der vier Musiker von Dr. Of Madness läßt sich nicht viel deuteln: Kid Strange (1-voc, git., mund., sax.), Urban Blitz (geige, div. electronics), Stoner (b, voc), Peter di Lemma (dr, perc). Während die vier Doktoren der Verrücktheit (bis auf einen blauen und einen weißen Haarschopf) privat einen ganz normalen Eindruck hinterlassen, verwandeln sie sich auf der Bühne in Marionetten mit verzerrten Fratzen und verrenkten Gliedmaßen, für die jede ärztliche Hilfe zu spät kommt. Das Quartett aus England gehört zu den wenigen wirklich neuen Bands, die noch für die Zukunft hoffen lassen, auch wenn es in seinen Songtexten düstere Visionen verbreitet.

Jene Zukunftsvision begann vor etwa vier Jahren in der Zusammenarbeit der beiden Freunde Kid Strange und Peter di Lemma, denen eine Kombination aus lyrischer und zugleich intelligenter Musik vorschwebte. Zahlreiche Musiker kamen und gingen, bis vor etwa zweieinhalb Jahren fast gleichzeitig Urban Blitz und Stoner einstiegen. Und plötzlich war klar, daß jetzt der Sound stimmte, und die Band eine „kaum existente Balance“ zwischen einer intellektuellen und zugleich unterhaltsamen Show“ entwickeln konnte. Jetzt steckten die Musiker alle Zeit und Energie in die Gruppe: „In erster Linie natürlich aus Ehrgeiz, Hoffnung und Wunschdenken. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man in seinen Pass als Beruf „Musiker“ eintragen läßt.“

Auch das Risiko konnte die Doctors Of Madness nicht vom professionellen Musikbetrieb abhalten: „Es ist immer schon ein großes Risiko gewesen, und das wird es wohl auch bleiben. Für uns ganz besonders, weil wir von Anfang an immer ungewöhnliche Dinge machen wollten. Und die sind ja bekanntlich teuer.“

Vergnügen und Schrecken

Wer die Dr. Of Madness nicht in voller Aktion auf der Bühne gesehen hat, kann sich schwer vorstellen, wie es da zugeht. Die äußerst sensible, durchdachte und kritische Darstellung des 20. Jahrhunderts mit all seinen Zivilisationskrankheiten jagt einem nicht nur ein Mal die Gänsehaut den Rücken ‚runter. Brutalität, Vereinsamung in den Wohnsilos der Trabantenstädte, Drogenfreaks und Gesellschaftsprobleme als Show: Warnung und doch Amüsement. Das einizige Verrückte daran ist, daß wir all diese Dinge im Alltag ganz normal finden.

„Wir sind nicht verrückt im Sinne der Comics, es ist überhaupt nicht komisch“, betont Kid Strange. „Es ist auch nicht völlig ernst. Es liegt dazwischen. Eigentlich ist es Surrealismus; im Reich der Phantasie und Träume angesiedelt. Es geht um die seltsame Situation, die wir uns selbst geschaffen haben, um darin zu leben. Du brauchst nur aus dem Fenster zu gucken, dann siehst du es – überall.“ Kid Strange schreibt alle Texte und die meisten Kompositionen, und er war auch bei einem Interview der Sprecher. Ist Dr. of Madness also ein Geschöpf von Kid Strange?

„Im allgemeinen schreibe ich einen Text, und die Baß-Struktur der Musik spiele ich mit der Gitarre auf eine Tonbandkassette. Die nimmt jeder mit nachhause und schreibt seinen Teil dazu. Die Arrangements entstehen also viergeleisig, aber die Ideen kommen meist von mir.“

Auf der ersten LP „Late Night Movie, All Night Brainstormes“, 1976 erschienen, zeichenen die Doctors ein musikalisches Zerrbild unserer Wirklichkeit, das sowohl Elemente von Roxy Music wie auch von Velvet Unterground (von der Band neben Bob Dylan besonders verehrt) aufweist. Da wechseln weiche Instrumental-Elegien mit teuflischen Bombardements ab, melancholisch gebrochener Gesang mit schmerzverzerrtem Aufschrei. Und Urban Blitz spielt seine Geige wie damals Hendrix die Gitarre. Die zweite LP, „Pigments Of Emancipation“, kürzlich veröffentlicht, ist rauher, härter und vor allem schneller. Die Texte handeln von Einzelschicksalen, die Probleme mit Menschen, sich und der Umwelt haben. Jeder Song ist auf dem Cover mit Widmung und Beschreibung versehen, etwas unüblich für Rockmusiker. Kid Strange: „Die erste LP war eine politische Platte mit sehr allgemeinen Feststellungen und Themen. Die zweite steht näher an der Problematik. Sie beschreibt Beziehungen, Beziehung eines Individuums zu seiner Umgebung, Künstler-und-Publikum-Beziehung,usw. Es sind keine einfachen Songs,das weiß ich.“

Der Erfolg ist für Dr. of Madness bisher nur in kleinen Schritten abzulesen. „Erfolg? Der passiert sowieso, da habe ich persönlich gar keine Befürchtungen. Ich weiß, er wird kommen, solange die Gesetze der Massenpopularität noch funktionieren. Denn wir sind zur rechten Zeit da.“

Burn, baby, burn

Die intensive Show der Dr. of Madness beruht nur auf physischer Präsenz, dem Lichteinsatz und dem Musikaufbau; Kostüme gibt es, außer der etwas ungewöhnlichen Haarfarbe von Kid und Peter sowie ein wenig Schminke nicht. Trotzdem besitzt die Gruppe bereits ein spezifisches Image. Kann man heute als Band nicht mehr ohne Image starten?

„Es ist ein Teil vom Ganzen“, sagt Kid, „aber nur ein kleiner. Ich hoffe nicht, daß wir unsere heutige Position nur wegen der blauen Haare erreicht haben. Aber ich glaube, seit 1975 und bis hin zu den 80er Jahren leben wir in einer Zeit.in der die Leute etwas Visuelles, etwas sehr Direktes brauchen, um zu merken, daß man überhaupt da ist. Sonst wird man leicht übersehen. Ich betrachte das als ein Gerät wie Fernsehen, Radio, etc.; ein echtes Medium des 20. Jahrhunderts, in dem wir arbeiten – und das ist Rock’n‘ Roll. Und Rock’n’Roll zeigt mehr über den Wahnsinn als alles andere überhaupt.“ Und deshalb macht die Gruppe zum Schluß ihrer Show einem Roboter Platz, dessen ,Herz‘ zu den schaurigen Klängen einer Sirene und in totaler Dunkelheit zerspringt und in Flammen aufgeht.