Die Rückreise


DIE RÜCKREISE „Would you please fasten your seat-belts and stop smoking … bitte schnallen sie sich an und stellen sie das Rauchen ein …“ Birgit sah zur Uhr. In vier Minuten würde die Maschine landen. Sie wurde ungeduldig. Ein ganzes Jahr lang hatte sie sich nicht nach Hause zurückgesehnt – jetzt aber, da sie vier Minuten davon entfernt war, konnte sie es kaum erwarten. Zwar wusste sie nicht recht, was sie erwartete im Zweifelsfalle nur der tägliche Trott, dem sie vor einem Jahr entflohen war trotzdem freute sie sich.

ALLES BEIM ALTEN …

..Biggi!“ Sie drehte sich um und erkannte Lona. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand sie abholen würde. Schön, dass Lona da war. Sie hievten die Koffer in Lona’s altersschwaches Auto. Erst, als sie aus dem Flughafengelände auf die Landstrasse fuhren, fing Birgit an zu sprechen. „Und was gibt es Neues hier bei Euch?“ „Alles beim Alten. Du hast nichts vor heute abend?“ „Wie sollte ich!“ „Ich habe zu Deinem Empfang eine Party arrangiert. Es kommen bestimmt dreissig Leute. Alle die Typen von denen Du vor einem Jahr tränenreichen Abschied genommen hast.. .“ „Dann kommt Flanschen auch?“ „Hans-Jürgen?“ Lona stockte, konzentrierte sich auf die Strasse. „Immer diese verfluchten Einbahnstrassen …“ Birgit wartete. Sie zündete sich eine Zigarette an und kurbelte das Fenster hinunter. Es war hier noch viel wärmer als drüben in England. Es würde bald Winter werden. Sie fragte sich, was sie nun hier anfangen sollte. Sie hatte viel Englisch gelernt. Sie würde einen guten Job bekommen, aber sie hatte nicht viel Lust zu einem Job. Dave, der sie in England das ganze Jahr hindurch rührend begleitet hatte, hatte ihr einen Job an dieser kleinen Dorfzeitung angeboten, die sein Vater verlegte. Sie hatte abgelehnt, weil sie sich nicht an Dave binden wollte. Ihr war der Abschied von ihm nicht sehr schwer gefallen. „Nein, Flanschen kommt nicht“, sagte Lona. „Warum nicht?““.Weil ich ihn nicht eingeladen habe.“ „Du hast Hänschen nicht eingeladen? Du hattest doch sonst nie etwas gegen ihn! Ihr habt mich doch damals beide zusammen zum Flugplatz gebracht ich verstehe nicht -“ „Ich dachte, es sei netter, wenn er bei der Party nicht dabei ist“, sagte Lona kurz. Birgit begriff nicht. Wie kam Lona dazu, zu sagen, es sei alles beim Alten! Wenn sie Hänschen nicht zu ihrer Party einlud, dann musste irgendetwas vorgefallen sein. Sie erinnerte sich daran, dass sie damals zu dritt am Flughafen gestanden hatten. Sie hatte Hänschen als ihren besten Freund betrachtet und Lona als ihre beste Freundin. Lona hatte nie versucht, sich zwischen sie und Hans-Jürgen zu stellen. Es wäre auch unvorstellbar gewesen. „Komm bald wieder“ hatte er gesagt, als sie sich verabschiedeten und Lona: „Es ist schade, dass du weggehst.“ Sie sah diese Szene jetzt wieder genau vor sich, nur nicht aus ihrer eigenen Perspektive: Die Maschine startete, hob sich in die Luft und entfernte sich. Hans und Lona blieben stehen und sahen ihr nach ein wenig bedrückt schweigend gingen sie dann zusammen fort – in die nächste Kneipe vielleicht verbrachten den ganzen Abend zusammen, vielleicht auch die Nacht, vielleicht auch den nächsten Tag, vielleicht das ganze Jahr … Wenn sie recht hatte mit ihrer plötzlich auftauchenden Vermutung, dann war es klar, dass Lona Hänschen nicht zur Party eingeladen hatte, um ein Zusammentreffen mit ihm und Birgit zu vermeiden. „Weiss er gar nichts von der Party?“ fragte sie Lona vorsichtig. „Du hast es erraten.“ Lona schien dieses Thema unangenehm zu werden. „Hast Du Dich mit ihm gestritten oder so?“ „Nein.“ „Dann verstehe ich wirklich nicht, warum Du …? „Ich auch nicht“ fiel Lona ihr ärgerlich ins Wort, „auf jeden Fall wird heute Abend ohne ihn gefeiert.“ Sie bremste scharf vor einer Ampel, die auf rot stand. „Biggi,“ sagte sie in einem freundlichen, fast bittenden Ton. „Du wirst Dich bestimmt amüsieren. Es kommen bestimmt dreissig Leute…“

ICH WEISS NICHT, WOHIN …

Birgit hatte sich seit Beginn der Party unaufhörlich bemüht, sich zu amüsieren und gab ihre guten Absichten nun resignierend auf. Sie wurde müde. Irgendsoein Knabe, mit dem sie zur Schule gegangen war, sass neben ihr und redete pausenlos auf sie ein. Birgit hörte ihm nicht zu.

Warum überlegte sie sich, inszenierte Lona diese Party ohne Hänschen? Nun gut, sie schaffte sich dadurch Unannehmlichkeiten aus dem Weg, aber sie würde diese Unannehmlichkeiten nicht auf die Dauer fernhalten können! Sie nickte dem Knaben, der neben ihr sass, zu, obwohl sie nicht wusste, wovon er sprach. Er hatte sicher recht. Lona stand auf der anderen Seite der Tanzfläche und trank aus der Whiskyflasche. Ein bisschen Rausch, um die Sache von sich zu schieben? Lächerlich. Auf jeden Fall war sie mit dem Trinken so beschäftigt, dass sie das Geräusch nicht zu hören schien. Birgit entschuldigte sich bei dem redseligen Knaben und verzog sich durch die Tür. Während sie die Kellertreppe hinaufschlich, fragte sie sich, ob sie sich das Geräusch das Klingelzeichen an der Haustür vielleicht einbildete. Als sie die Diele erreicht hatte, klingelte es erneut. Sie hatte eine Ahnung, dass er es war. Ihre Gefühle täuschten sie selten … „Biggi“ Sie hatte ihn nie so völlig überrascht gesehen. Er machte keine Anstalten, einzutreten, sondern blieb stehen, wo er stand und starrte sie an wie einen Geist. „Du möchtest zu Lona?“ fragte sie nach einer Weile. „Ja, ich … wusste nicht, dass Du wieder im Lande bist …“ „Du siehst, ich bin es. Willst Du nicht reinkommen?“ Er zögerte, kam dann ihrer Aufforderung nach. „Wo ist Lona?“ fragte er, etwas unsicher umherblickend. „Sie ist im Keller und feiert eine Party.“ „Eine Party! Ich weiss nichts von einer Party!“ „Du musst sie verstehen, Hänschen. Sie wollte nicht, dass es Spannungen gibt zwischen uns dreien …“ „Du weisst also …“ „Ja, aber nicht von Lona.“ „Woher dann?“ „Ich habe es mir gedacht.“ Er ging an ihr vorbei durch die Halle, zündete sich im Gehen eine Zigarette an und setzte sich auf die grosse alte Truhe, auf der Lona immer beim Telefonieren sass. Er war dünner geworden, ihr Hänschen, und hatte längere Haare als vor einem Jahr. „Bist Du nicht beim Friseur gewesen in der Zwischenzeit?“ Sie merkte, dass sie jetzt anfing, sich auf ihn zu konzentrieren – die Sache mit Lona löste sich in ihren Gedanken. Sie ging zu ihm und setzte sich neben ihn. Er griff nach ihrer Hand. „Hör zu, Biggi. Wir wollen uns nichts vormachen. Du hattest sicher auch einen Freund in England?“. „Ich habe mit Lona immer und von Anfang an klare Verhältnisse gehabt. Ich habe ihr gesagt, dass ich auf Dich warten würde … sie war Dir eben so ähnlich, weisst Du. Ich habe mich sehr mit ihr beschäftigt, eben weil sie Dir ähnlich ist. Du müsstest das eigentlich verstehen..“ „Hm“. Sie hörte auf zu denken. Sie wusste nur, dass sie bereit war, alles das, was in der Zwischenzeit vorgefallen war, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es ging sie in gewisser Weise nichts an. Sie war jetzt wieder hier und Hänschen war hier, das war die Hauptsache … „Sag, Biggi, wollen wir morgen …“ Er brach ab. Die Kellertür wurde aufgestossen, Lona stürzte in die Halle und blieb dann wie angewurzelt stehen. Birgit hat nie viel Sinn für Dramatik gehabt, aber dieses Gesicht von Lona war ein Drama. Der Versuch, Hänschen für vielleicht nur einen Tag länger noch für sich zu behalten, war fehlgeschlagen, die Szene missglückt – jede Spur von Hoffnung schien von ihr abzufallen. Hänschen Hess Birgit’s Hand los Sie fühlte sich nicht getroffen. Mechanisch, ohne viel zu überlegen, griff sie zum Telefon und meldete ein Gespräch nach England an. „Hallo, Dave“, hörte sie sich sagen, „Ich komme in einer Woche zurück. Willst Du Deinem Vater sagen, ich möchte den Job doch nehmen? Und bitte, hol mich vom Flughafen ab. Ich rufe noch einmal durch, wenn ich weiss, wann ich komme … ja, ich komme ganz bestimmt Ta, ich bleibe für länger … nein, nein, mir geht es gut … doch, es ist alles ganz okay und sehr nett. Ich weiss nur nicht, wohin mit mir.“