La Roux


Fünf Jahre sind seit LA RO UX vergangen, dem Debütalbum von Elly Jackson, mit dem sie zum Weltstar wurde. Fünf Jahre sind eine Ewigkeit im Pop-Business. Vor fünf Jahren begann die Weltkarriere von Lady Gaga, wurde „Avatar“ zum erfolgreichsten Film der Geschichte und Michael Jackson war gerade erst gestorben. In diesen fünf Jahren litt Elly Jackson unter Angstzuständen und trennte sich von ihrem musikalischen Mitstreiter Ben Langmaid. Über ihn will sie im Interview anlässlich ihres zweiten Albums nicht sprechen, tut es nur in vielsagenden Nebensätzen. Ansonsten ist sie gesprächig. Und rechnet hart mit der Musikindustrie ab.

In „Uptight Downtown“, dem Opener deines neuen Albums TROUBLE IN PARADISE, thematisierst du die Krawalle in London 2011. Sehr frei, ja.

Die Ausschreitungen haben damals auch Brixton getroff en. Du bist in dem Viertel aufgewachsen und lebst immer noch dort.

Ja, eigentlich geht es mir in dem Song auch eher darum. Brixton hat, was Straßenschlachten angeht, eine gewisse Vorgeschichte. Ich war damals noch nicht geboren, aber von meinen Eltern und ihren Freunden habe ich von den Aufständen in den Achtzigerjahren gehört. Damals sind die Leute gegen die Benachteiligung der Schwarzen auf die Straße gegan-

gen. In der kollektiven Erinnerung des Stadtteils sind die „Brixton Riots“ tief verankert. Ohne sie wäre Brixton heute nicht das, was es ist -in diesem Bewusstsein bin ich aufgewachsen. Mit den Aufständen 2011 ist es deutlich komplizierter. Die Gründe für die Proteste, und zu was sie sich dann letztlich entwickelt haben, das ist alles leider ziemliches Chaos. Aber es war wichtig für mich, dass so etwas in meiner Generation stattgefunden hat. Ich wollte keinen politischen Song darüber machen, aber ich wollte darüber schreiben.

Wo warst du, als das alles passiert ist?

Ich war noch nicht mal zu Hause, ich war für einen Auftritt in Kroatien. Auf einmal rufen mich meine Freunde an: „Elly, hier geht alles drunter und drüber! Die Leute rennen auf die Straße, verwüsten alles, plündern die Geschäfte!“ Natürlich habe ich mir große Sorgen gemacht -um meine Freunde, meine Familie, mein Haus. Wir haben das Ganze dann in den Nachrichten verfolgt. Es hatte etwas von 9/11. Natürlich nicht so schlimm, aber es war insofern ähnlich, als wir den ganzen Tag, jede freie Sekunde vor dem Fernseher saßen und Nachrichten geschaut haben. Als ich ein, zwei Tage später zurückgekommen bin, hat alles gerade so langsam aufgehört. Was ich also zu sehen bekommen habe, waren die Überreste der Krawalle. Es war seltsam. Es sah ein wenig so aus, als wäre ein riesiger Karneval in der Stadt gewesen, der -nun ja -ein bisschen außer Kontrolle geraten ist.

Hattest du das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Ich weiß nicht, ein Teil von mir vielleicht. Ich weiß, dass es eine sehr, sehr schlechte Idee gewesen wäre, mitzumachen. Die Krawalle haben aus den richtigen Gründen angefangen, aber innerhalb von zehn Minuten waren die völlig falschen Gründe im Spiel. 90 Prozent der Leute auf den Straßen hatten überhaupt keine Ahnung, was sie da geschrien haben. Es war ein Vorwand, um sich wie ein Arschloch aufzuführen. Um sich Fernseher und neue Sneaker zu klauen. Ein Teil von mir wünscht sich sehr, in den Krawallen etwas zu sehen, das aus den richtigen Gründen geschehen ist. Einen Aufstand mit Sinn. Das war es aber nicht. Die Generation unserer Eltern ist andauernd auf die Straße gegangen, und hat für etwas gekämpft. Heute gibt es das doch gar nicht mehr. Ich würde mir das so sehr wünschen, aber in meiner Generation giltst du doch schon als Stinkstiefel, wenn du nur eine politische Meinung hast. In meinem Song betreibe ich also vielleicht ein bisschen Wunschdenken, und stelle die Krawalle als etwas dar, an dem ich tatsächlich gerne teilgenommen hätte. Wie gesagt, es ist kein politisches Stück. Es ging mir auch einfach um die Energie eines Aufstands. Das ist eben ein großartiges Thema für einen Song, ich bin ja nicht die Erste, die darauf gekommen ist.

Du hast die Plünderungen erwähnt. In deinem Song heißt es: „When did all these people decide to change their shoes?“ Man könnte sagen, dass du -wir beide -uns in einem Geschäftsfeld bewegen, das daran nicht unschuldig ist. Popmusik ist heutzutage ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, in Menschen das Bedürfnis nach neuen Schuhen zu wecken.

Ja, das ist wahr. Auch das hat sich nicht zum Guten verändert. Natürlich haben auch die Beatles, Bowie, Prince die Leute darin beeinflusst, was sie anziehen wollen. Die Fans wollen aussehen wie ihre Stars, das ist meiner Meinung nach völlig in Ordnung. Man will seinen Idolen nah sein, schließlich geben sie deinem Leben im besten Fall einen gewissen Sinn. Für mich hat das nichts mit Materialismus zu tun, das ist künstlerischer Einfluss. Heute aber heißt es: „Hey, ich habe die und die Schuhe, ich bin in dieser Kampagne, in dem und dem Magazin und ich mache Werbung für diese und jene Marke.“ Da ist für mich etwas gewaltig schiefgelaufen. Nicht nur Musiker – Schauspieler, alle machen das Ich verstehe das nicht. Warum will man das Gesicht einer Marke sein? Ich will das Gesicht meiner eigenen Marke sein – La Roux – und sonst nichts!

Lässt sich das wirklich vermeiden? Allein wenn du dich heute auf eine Festivalbühne stellst, machst du dich doch schon zum Gesicht eines ganzen Dutzends an Marken.

So gesehen ist das leider unausweichlich, ja. Aber andere Angebote kann man ablehnen. Ich lehne regelmäßig Geld ab. Viel Geld. Immer. Weil es nicht das ist, weswegen ich hier bin. Das Schlimme an dieser Haltung ist: Sie lässt einen nur noch deutlicher sehen, dass es vielen anderen scheinbar einzig und allein darum geht. Ich kriege mit, wie viele Leute um mich herum so etwas machen, und ich verliere Respekt. Viel Respekt. Weil ich mir denke: „Warum verschwendest du deine Zeit mit so was?“ Andererseits ist es natürlich schwer, sich nicht von den großen Zahlen ablenken zu lassen, die einem da ständig unter die Nase gehalten werden. Vor allem, wenn man bis zum Hals in Schulden steckt, so wie das bei mir war, so wie das zu irgendeinem Zeitpunkt bei allen ist, die das machen, was ich mache. Die Firmen haben festgestellt was für großartige Marketing-Tools Musik und Musiker sind, und jetzt sind sie wirklich überall, wie ein Ausschlag. Was willst du machen, wenn du nicht weiter ins Studio kannst, bevor du deine Schulden abgezahlt hast, und dann kommt dein Manager und sagt: „Diese Mobilfunkfirma bietet dir 50 000 -du musst nichts machen, sie wollen nur einen Song. Keiner wird das wirklich mitbekommen. Bitte sag Ja, wir brauchen das Geld!“ Was willst du da machen? Das ist wirklich eine schwierige Situation. Nicht einfach.

2011 haben du und Ben Langmaid einen Grammy für das erste La-Roux-Album erhalten. Ich habe mir das Video der Preisverleihung angesehen. Es scheint ebenfalls keine Situation gewesen zu sein, in der du dich sonderlich wohl gefühlt hast.

Nein. Ehrlich gesagt musste ich mich zusammenreißen, nicht zu kotzen. Mir war völlig schlecht vor Nervosität. Ben und ich mussten ewig warten, bis unsere Kategorie drankam, und dann stand ich da und wusste nicht, was ich sagen soll. Es war aber auch sehr seltsam, schließlich war es nur die Pre-Show. Also nicht der Teil der Verleihung, der im Fernsehen übertragen wird. Die ganzen Leute, die da sitzen, interessieren sich gar nicht so wirklich für das, was da passiert. Es hat etwas von einem Konferenzraum mit Klappstühlen. Das ist nicht unbedingt die richtige Atmosphäre für große Dankesreden. Der Grammy, den man da kriegt, ist auch nicht echt. Nur eine Attrappe, da steht gar nicht dein Name drauf. Hinter der Bühne nehmen sie ihn dir wieder weg. Ich sage: „Hey, das ist mein Grammy!“ Und sie so: „Nein. Dein Grammy wird dir in sechs bis acht Wochen zugeschickt.“

Warum machen die das?

Ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall schmerzhaft. (lacht)

Wann wusstest du, dass du Musikerin werden willst?

Schon immer. Etwas anderes stand nie zur Debatte.

Wie hast du dir das Leben als Musikerin damals in deinen Tagträumen ausgemalt?

Gar nicht. Das ist ja das Seltsame. Alles, was ich wusste, war, dass ich Songs schreiben will. Und irgendwo war mir auch bewusst, dass ich kein Songwriter im Hintergrund sein möchte. Dass ich nicht für andere Interpreten schreiben will, sondern für mich selbst. Aber über den Rest habe ich mir nie Gedanken gemacht. Das war mir einfach egal. Ich habe mich zum Beispiel nie damit auseinandergesetzt, dass ich irgendwann mal raus auf die Bühne muss. Als sie mir 2009 gesagt haben, dass man mir eine Tour gebucht hat, und dass ich jetzt jeden Abend auftreten muss, habe ich mich drei Wochen lang in mein Zimmer eingesperrt. Ich wollte das nicht. Und sie so: „Du musst. Du kannst nicht bei einem Major unterschreiben und dann nicht auf Tour gehen wollen. Das geht nicht.“ Aber ich wollte das wirklich nicht machen. Ich hatte bis dahin nur mal für zwei Monate in einer Band Gitarre gespielt. Und war ein paar Mal bei Open-Mic-Abenden aufgetreten. Das war alles. Und eines Abends hat mich dann so ein Typ gehört, mich angesprochen und meinte zu mir: „Mein Kumpel Ben sucht jemanden, mit dem er Songs schreiben kann. Ihr solltet euch mal treffen.“ Eigentlich hätte ich es damals schon wissen müssen Das war kein gutes Zeichen.

Ben Langmaid war früher mal die andere Hälfte von La Roux. Du willst nicht sonderlich gern über ihn reden, richtig?

Nein. Außer du möchtest mich dazu bringen, Dinge zu sagen, die ihr nicht drucken könnt.

Ihr habt auf jeden Fall das erste La-Roux-Album zusammen geschrieben und produziert, und es war ein gewaltiger Erfolg. Dass sich dein Leben danach von Grund auf verändert hat, ist klar. Aber das sagt sich immer so leicht. Wie hat man sich das konkret vorzustellen?

Dein Leben ist einfach plötzlich weg. Es ist wirklich schwer, das zu erklären. Klar, man versucht, sich irgendwie an die neuen Umstände anzupassen. Aber das hat bei mir nicht funktioniert. Ich dachte, okay, jetzt soll ich also eine Art Celebrity sein. Aber ich hatte keine Ahnung, wie das geht. Ich verstand nicht, was von mir erwartet wird. Ich kam auch mit den ganzen anderen Celebrities nicht klar. Es ist wirklich seltsam, so als würdest du mit jemandem reden, der nicht deine Sprache spricht. Ich kann das nicht. Ich rede immer so, wie ich jetzt rede, und selbst das fällt mir schwer genug, mit all den vielen Leuten, mit denen ich täglich zu tun habe. Man ist sich ja nie wirklich sicher, warum sich jemand gerade mit einem unterhält. Sie kennen dich ja eigentlich gar nicht. Alles wird doppelbödig, wird zu einer einzigen leeren Frage. Warum machst du das, warum mache ich das? Wir machen also beide Musik und sind im gleichen Magazin. Na und? Das bedeutet nichts. Nichts. Wir haben absolut nichts miteinander zu tun. Ich hatte damit wirklich sehr große Schwierigkeiten. Und all das passiert, während deine alte, deine echte, wirkliche Welt verschwindet. Alle paar Monate habe ich mal meine alten Freunde gesehen, für einen Nachmittag oder so. Das war’s. Das war das, was von meinem alten Leben übrig geblieben ist. Ich habe mich plötzlich ziemlich verloren gefühlt, und ich glaube, da ist das dann auch losgegangen, mit der Angst und all dem.

Du hast Probleme mit deiner Stimme bekommen, richtig?

Ja. Das war im Sommer 2010. Und es hat bis Anfang vorigen Jahres gedauert, das wieder loszuwerden.

Was war deine erste Reaktion?

Ich habe schlicht Panik bekommen. Massiv. Ich sollte an dem Abend einen Gig im Nokia Theatre in L. A. spielen. Es war eine ziemlich große, wichtige Show. Alle von meiner Plattenfirma Interscope Records waren da. Von dem Auftritt hing ab, in welchem Umfang sie die Promotion für die neue Single unterstützen würden. Am Nachmittag war noch alles in Ordnung, abends habe ich gemerkt, dass meine Stimme weg ist. Mir ging es damals nicht gut, ich war die letzten eineinhalb Jahre auf Tour gewesen, im Grunde war ich eh schon an dem Punkt angelangt, ab dem ich nur noch meine Ruhe haben wollte. Ich habe versucht, den Gig abzusagen, aber das ging natürlich nicht. Ich bin damals in eine Angstspirale hineingeraten, die immer schlimmer geworden ist. Es hat eine ganze Weile gedauert, da wieder rauszukommen. Daher auch die lange Auszeit.

Teile dieser Auszeit hast du in der Karibik verbracht, auf einer kleinen Insel, deren Namen du nicht verraten willst, richtig?

Ja, das stimmt. Das ist ein sehr besonderer Ort für mich. Zum ersten Mal war ich mit meiner Familie da, mit acht Jahren. Es war völliger Zufall, dass wir da gelandet sind. Die Insel ist winzig, keine zwei Meilen breit, du findest sie auf keiner Karte. Kein klassischer Urlaubsort. Auch nichts Exklusives, wo Mick Jagger Urlaub macht oder so. Na ja, jedenfalls, als wir wieder gefahren sind, haben meine Schwester und ich beide geweint, ohne zu wissen, warum. So was haben wir noch nie gemacht, das ist doch nicht normal, oder? Es war seltsam. Egal. Ich habe dir doch von der Band erzählt, in der ich als Teenager kurze Zeit gespielt habe, oder? Das war so eine Elektro-Ragga Band. Cherry, das Mädchen, das mich damals gefragt hat, ob ich mitmachen möchte -irgendwann stellte sich heraus, dass sie genau von dieser Insel kommt! Ausgerechnet! Im selben Jahr war ich mit ihr noch einmal da. Ich steige aus dem Flugzeug und als Allererstes sehe ich den Mann, der mir mit acht das Fischen beigebracht hat. Es war sehr emotional. Seitdem bin ich regelmäßig dort. Es ist ein immerwährender Ort der Inspiration für mich.

In einem anderen Interview hast du gesagt, die Insel sei trotz ihrer Schönheit im Grunde ein sehr rauer Ort. Wer sie besucht, verliebe sich. Wer dort leben müsse, wolle weg. Ja.

Kann man dasselbe übers Musikbusiness sagen?

Oh, ich verstehe. Ich glaube ja. Doch, definitiv. Jeden Tag denke ich mir: Wäre da nicht meine Musik, ich wäre verflucht noch mal nicht hier

Doch, das ist eine sehr gute Metapher. Da gibt es so viele komische Dinge. Und jeder, der das Ganze nur von außen betrachtet, ist frustrierend naiv in dieser Hinsicht. Es gibt für mich auch nichts Schlimmeres, als wenn ich etwas mache, von dem ich glaube, dass es total scheiße ist, und dann stehen alle um dich herum, und erzählen dir, wie toll das wieder war. Ich hasse das. „Wow, it was amazing!“ Mir egal, ich fand es scheiße! Ich spreche hier natürlich nicht von der Musik! Die Musik passt, dafür sorge ich, da lasse ich auch niemand anderen hineinpfuschen. Aber es gibt da so viel Drumherum, das man nicht kontrollieren kann. Man versucht es immer wieder, und es stellt sich immer wieder als Albtraum heraus. Niemand von außerhalb wird dir jemals glauben, wenn du ihm erzählst, dass die Musikbranche sehr schwierig ist, frustrierend, seelenlos und oft auch einfach furchtbar lahm und langweilig. Alles, was sie sagen, ist: „Ja, aber es ist doch so cool!“ Sie werden das nie verstehen. Im Grunde kann man sich die ganze Unterhaltung also genauso gut gleich sparen.

Albumkritik S. 89

L’HISTOIRE DE LA ROUX

Elly Jackson wird 1988 in London geboren. Ihre Mutter ist die Schauspielerin Trudie Goodwin, ihr Vater der Schauspieler Kit Jackson. Mit 16 Jahren lernt Jackson den Musikproduzenten Ben Langmaid kennen, zusammen gründen sie das Synthie-Pop-Duo La Roux. Das gleichnamige Debüt der Gruppe erscheint 2009 und wird dank der Hits „Quicksand“,“In For The Kill“ und „Bulletproof“ zum Welterfolg. Die damals 21-jährige Jackson macht es zum internationalen Star, Ben Langmaid dagegen bleibt im Hintergrund. 2011 erhalten La Roux den Grammy in der Kategorie bestes Dance-Album. Danach wird es still um das Duo. Im März 2014 erfolgt die Ankündigung des zweiten Albums TROUBLE IN PARADISE. In Promo-Interviews enthüllt Elly Jackson, dass sie und Langmaid getrennte Wege gehen. Auch das Album ist ohne seine Mitwirkung entstanden, lediglich am Schreibprozess einiger Songs war er beteiligt. Elly Jackson lebt in Brixton, London.