Die Toten Hosen auf Tournee


Hemmungsloser Drogenkonsum, ungeschützter Geschlechtsverkehr, verwüstete Hotelzimmer. Rock’n’Roll eben. ME/Sounds-Redakteur . Wolfgang Hertel und Rainer Pfisterer (Fotos) wollten es genau wissen und begleiteten Deutschlands erfolgreichste Rockband auf ihrer Reise durch die Republik — vom Bus bis hinein ins Badezimmer, von der Bühne bis in den Backstage-Bereich. Statt Bierfloss dabei bisweilen Blut (rechts). Andere Klischees aus dem großen Buch des Punk allerdings treffen auf Campino und die Opel-Gang nur sehr bedingt zu. Erstaunlich? Eher nicht. Denn die Hosen haben fast 1000 Gigs auf dem Konto.

14.30 Uhr. Parkhotel Pforzheim.

Ein Blick auf die Speisekarte verrät: Hier verkehrt die sogenannte „bessere Gesellschaft“. Gebratene Seezunge gefüllt mit Ragout fin an feinen Gemüsen der Saison – 44,50 Mark. Eine dezente dunkelblaue Tafel weist auf die „Musik zur Kaffeestunde“ um 17.00 Uhr mit Schülern der Jugendmusikschule hin. Spießeridylle so weit das Auge reicht.

Nicht ganz. Nur wenige Meter entfernt, in der Pforzheimer Stadthalle, legt die Road Crew der Hosen letzte Hand an. In wenigen Stunden wird hier der achte Auftritt von Campino und Co. im Rahmen des zweiten Teils ihrer „Ewig währt am längsten“-Tour über die Bühne gehen. Seit 9.30 Uhr werkeln hier Ton- und Lichttechniker, Köche und Stagehands. Der Tagesplan ist genau festgelegt. Das fängt an mit dem Ausladen des Caterings (9.30 Uhr) und endet erst nach Mitternacht. Sofort nach dem Ende der Hosen-Show (ca. 23.00 Uhr) wird die Bühne wieder zerlegt und noch in der Nacht zum nächsten Veranstaltungsort gekarrt.

16.15 Uhr. Backstageßereich der Pforzheimer Stadthalle.

Roadies, Security und Techniker kommen in loser Reihenfolge zum Essen. Heute stehen Champignoncremesuppe, Pasta mit Tomatensauce, Lammcurry, gebratener Fisch, Reis, Bratkartoffeln und verschiedene Gemüse auf der Speisekarte. Außerdem gibt es drei verschiedene Salate, Vollkornbrot, Obst. Die Drinks reichen von stillem Mineralwasser über Pils bis hin zu Whiskey. Die „gesunden“ Getränke sind eindeutig in der Überzahl. Nach und nach trudeln die Hosen sowie ihre Vorband für heute abend, Social Distortion, ein.

17.00 Uhr. Musik zur Kaffeestunde.

Die Hosen treten zum Soundcheck an. Zum Aufwärmen holzen sie durch ‚The Passenger‘ von Iggy Pop, ‚Should I Stay Or Should I Go‘ von The Clash sowie die eigenen Nummern ‚Nichts bleibt für die Ewigkeit‘ und ‚Armee der Verlierer‘.

17.20 Uhr. Meet and Greet.

Zwei Mädchen, die bei einer Verlosung gewonnen haben, werden – zusammen mit einem Radio-Reporter ins Allerheiligste vorgelassen, den Raum, der mit dem Schild „Garderobe DTH“ gekenzeichnet ist. Wer hier rein will, sollte besser einen der raren Pässe besitzen, auf denen „All Areas“ steht. In der Erläuterung der verschiedenen Ausweise für die örtliche Security steht für diesen: „Darf alles“. Ohne den richtigen Ausweis ist gar nicht dran zu denken, auch nur in den erweiterten Backstage-Bereich vorzudringen. Am Eingang stehen zwei „Wächter“ der örtlichen Crew, sollte sich trotzdem irgendjemand vorbeischleichen, ist Security-Chef Manni sofort zur Stelle, ungebetene Gäste freundlich aber bestimmt abzuweisen.

18.30. Rede und Antwort.

Die Toten Hosen treten zu einem weiteren Interview an. Seit ’10 kleine Jägermeister‘ die Charts anführt, will selbst die Zahnarzt-Zeitung mit den fünf Punkrockern sprechen.

20.00 Uhr. Aufwärmen.

Campino betritt die Bühne und sagt die Vorband an: „Diese Band ist zehnmal besser als Green Day und Offspring zusammen.“ Das Pforzheimer Publikum will sie trotzdem nicht hören. Social Distortion kämpfen über die Hälfte ihres Sets mit „Hosen, Hosen“-Sprechchören. Die bereiten sich unterdessen in ihrer Gaderobe auf ihren Auftritt vor. Das Ganze verläuft wenig spektakulär. Man zieht sich die Bühnenklamotten an, Wollt trommelt ein bißchen auf einer Stuhllehne, Campino inhaliert (nein, nicht was viele jetzt denken) und macht ein paar lockere Stretching-Übungen.

21.00 Uhr. Showtime.

Campino und Co. wetzen auf die Bühne und treten das Gaspedal gleich mal voll durch: ‚1000 gute Gründe‘, ‚Niemals einer Meinung‘, ‚Bonnie & Clyde‘, ‚Opelgang‘. Die 3.000 in der Pforzheimer Stadthalle toben. Knappe zwei Stunden und 25 Songs später wanken die Toten Hosen völlig durchnäßt zurück in die Umkleidekabine. Campino genehmigt sich einen Zug aus der Sauerstofflasche. Die Anspannung weicht allgemeiner Partylaune.

23.30 Uhr. Chill-Out.

Frisch geduscht und gestärkt hängt man im Catering-Bereich ab. Campino plaudert mit ein paar Konzertbesuchern, die stolz ihren After-Show-Paß durch die Gegend tragen, also wichtig sind (wenige), oder sich dafür halten (viele). Von etwaigen Groupies allerdings fehlt jede Spur.

0.30 Uhr. An der Hotelbar.

Band und engste Crew-Mitglieder hängen an der Hotelbar ab. Gebremst exzessives Trinken (Weißbier, kein Weib, kein Gesang).

Nächster Tag, 14.30 Uhr. Abfahrt.

Nacheinander checken Band und Crew aus. Alle Hotelzimmer sind heil. Nicht mal ein kleiner Fernseher ist über Nacht aus dem Fenster geflogen. Der letzte Ausfall dieser Art liegt über ein Jahr zurück.

Vor dem Bandbus warten drei 14jährige Mädchen. Sie haben vor dem Hotel übernachtet und fordern lauthals Autogramme ein. „Wir haben so lange gewartet, da ist es ja wohl nicht zuviel verlangt, daß Campino fünf Minuten für uns hat.“ Der läßt sich dann auch nicht lange bitten und unterschreibt bereitwillig die Schulblöcke, die ihm die Mädels entgegenstrecken.

Kurz danach fährt der Bus mit den verdunkelten Scheiben weiter zur ‚Schwarzwaldhalle‘ in Appenweier, wo bereits seit 9.30 Uhr Ton- und Lichttechniker, Köche und Stagehands werkeln…