DIE TÜRKISCHE VARIANTE


DAF: Die Welt ist für Gabi & Robert wieder in Ordnung. Alle Differenzen sind vergeben und vergessen. Frage: Warum tragen sie bloß so kuriose Kostüme?

So, sie sind also wieder da? An den Ständen der Bootlegger in Londons Portobello Road hatte man eher den Eindruck, als sei das Düsseldorfer Duo nie abwesend gewesen – so gut waren sie da mit schwarz gezogenen Cassetten vertreten. Ein bizarres Kompliment: Je häufiger dich die Tonband-Piraten mit ihren Raubkopien übers Ohr hauen, desto mehr lieben sie dich.

Die „Ehrung“, im Ausland raubkopiert zu werden, wird nicht vielen deutschen Bands zuteil. Auf der ganzen Portobello Road sind die einzigen Gruppen x-mal Deutschland, Einstürzende Neubauten… und eben DAF.

..Ich hab den Bootleggern selber Tapes gegeben“, gibt Gabi Delgado beiläufig zu. .. Ich dachte mir: Wenn schon, dann können sie eigentlich auch gleich qualitativ gute Aufnahmen nehmen. Hast du das Doppelalbum aus Frankfurt gehört 9 Das ist eins von den guten.“

..Ich glaube nicht, daß so was allzu schädlich ist“, meint Robert Görl. Robert ist in seinen Äußerungen immer etwas diplomatischer als sein Partner.

„Neee“, winkt Gabi mit knochiger Hand ab. „Wem soviel dran liegt, daß er ein Bootleg kauft, der kauft garantiert auch die offiziellen Veröffentlichungen.“

Wir sitzen in einem zypriotischen Restaurant, gleich bei Londons Lancaster Gate. Robert und Gabi wollen früh ins Bett, um für eine Fotosession am nächsten Morgen frisch und ausgeruht zu ein. Der Ober steuert auf uns zu.“.Ich wette, ich weiß wo Sie herkommen!“ erklärt er Gabi. „Sie sind aus Istanbul! Richtig?“ „Äh… nein. Ich bin aus Spanien. “ Enttäuscht, auch etwas verlegen, schleicht der Ober von dannen. als wäre ihm eine politische Taktlosigkeit passiert.

„Aber ich könnte auch aus Istanbul kommen“, ruft Gabi ihm nach, um den armen Kerl wieder aufzurichten. „Istanbul ist schließlich genausogut wie irgendeine andere Stadt.“

Der Schnitzer des Obers ist umso verständlicher, wenn man sich Delgados Qutfit ansieht. Er trägt bauschige, schwarze Pantalons. die erst über den Waden enger werden, ein schwarz und silbergraues Seidenoberteil und einen krempenlosen Hut. der beinah als Fes durchgehen könnte. Robert steckt in einem riesigen Hemd aus bunten Flicken, ein Hemd von derart gigantischen Ausmaßen, daß selbst Meat Loaf noch Platz drin hätte.

..Wie findest du unseren neuen Look?“.

will Robert wissen. Sehr hübsch, bemerke ich, aber ich glaube nicht, daß ich mir sowas anziehen würde. Ich würde mich etwas unwohl fühlen, wenn ich im Supermarkt meinen Wagen vor mich herschiebe.

.. Oh. das Leder war dafür noch viel besser“, erzählt Gabi.,. Wenn alte Damen diese beiden Jungs in Sado-Maso-Outfit den Gang runterkommen sahen, suchten sie sofort das Weite. „

Jawohl, die neuen DAF unterscheiden sich von den alten DAF zunächst einmal durch einen Wechsel der Garderobe. Für Görl und Delgado ist das durchaus nicht nebensächlich: Sie haben nie Sühnen-Kleidung getragen – sie leben mit ihrem jeweiligen Look. Während sie vorher nur Leder und Muskeln waren, hart und eckig, ist der neue Look wesentlich softer. Neo-mittelöstliche Folklore.

Beide haben in der DAFIosen Zeit ein‘ Solo-Album veröffentlicht: Sowohl Görls NIGHT FÜLL OF TENSION als auch Delgados MISTRESS waren experimenteller als die vorangegangenen Gruppen-Alben. Roberts profitierte beträchtlich von den Bakking Vocals seiner damaligen Freundin Annie Lennox. Mit einer Reihe deutscher Free Jazz-Musiker auf der Besetzungsliste war Gabis Versuch vielleicht noch weniger dazu „Als wir uns entschieden, wieder zusammenzuarbeiten“, ergänzt Robert, „da wußte ich. daß wir nicht wieder mit dem Leder kommen konnten. Das hätte zu sehr nach Revival ausgesehen. Ich hasse Revivals.“

geeignet, an frühere (Verkaufs-)Erfolge anzuknüpfen.

Sonderlich gut verkaufte sich denn auch keine der beiden Platten. Und das führte natürlich zu Spekulationen, daß es sich bei der Reunion lediglich um einen finanziellen Schachzug handele…

„Ob du 100.000 Platten verkaufst oder 150.000 – wo ist da der Unterschied?“ fragt Gabi.

Naja, 50.000. Das ist doch ein ganz schöner Unterschied…

DAF zucken einstimmig die Achseln. Gabi: „Ich weiß, daß ein paar Leute sagen, wir wären wegen des Geldes wieder zusammen. Andere Leute sagen, wir wären wieder zusammen, weil wir uns gefehlt haben. Und das stimmt. Natürlich ist an all den Geschichten, warum wir wieder zusammen sind, irgendwo was Wahres dran.“

Ich habe eh nie ganz verstanden, warum das Duo auf dem Höhepunkt seines Erfolgs überhaupt aufgehört hat …

„Ach. es war eine gute Zeit aufzuhören. Wir haben uns nie für einen Bestandteil dieser Deutschen Welle gehalten. Deren Qualität schien immer weiter und weiter runterzugehen, also haben wir uns gesagt: „Okay, jetzt wo wir oben sind, hören wir auf.“

Es gab allerdings auch jede Menge finsterer Gerüchte über persönliche Probleme zwischen den Zweien…

Robert: „Natürlich hast du persönliche Probleme …“

Gabi: „Die hat jede Band. Und in einem Duo ist es besonders schwer, weil du niemanden hast, bei dem du dich über den anderen Kerl ausmeckern kannst“.Die beiden lächeln sich liebevoll zu.

.. Und bei uns war es sogar noch problematischer, weil wir auch noch zusammenwohnten. „

Aber verheiratet seid ihr noch nicht, frage ich.

Gabi: „Miteinander, meinst du? Nein, noch nicht. Ich habe gehört, daß In San

Francisco ein paar Männer geheiratet haben. Keine Ahnung, was das soll.“

Letztes Jahr kursierte auch das Gerücht, Robert habe Annie Lennox geheiratet. Doch dann sickerte durch, daß es sich um einen anderen Robert handelte, einen Krishna-Anhänger. Ich versuche Görl zu animieren, ein bißchen aus dem Nähkästchen zu plaudern, aber er läßt sich nichts entlocken. Zu sehr Gentleman. „Das ist eine lange und komplizierte Geschichte“, meint er ausweichend.

Die neuen DAF haben bereits mehrere Singles aufgenommen, die erste müßte inzwischen erhältlich sein. „Absolute Body Control“ heißt die A-Seite. Hört man nur mit halbem Ohr oder einer Decke überm Kopf zu. klingt s ein bißchen, als wurden DAF den alten Doors-Song „Break On Through (To The Other Side)“ bringen. Die Melodien ähneln sich – und jetzt, nachdem Robert bei Annie Lennox und Tona deBrett, (der Frau, die Siouxsie und Johnny Rotten das Singen beibrachte), Gesangsstunden hatte, klingt er einen Hauch Morrison-mäßig.

Gabi und Robert singen jetzt auch zusammen, was auch ihren Minimalismus etwas weniger minimalistisch macht. Die Tatsache, daß die Unisono-Stellen ein bißchen holprig klingen, gibt dem Resultat noch einen menschlichen Touch. Ihre“.absolute Körperkontrolle“ reicht zum Glück nicht bis zum Kehlkopf.

Die lange, instrumentelle B-Seite. „Ist Step To Heaven“, ist auch die abwechslungsreichere. Ein spiralförmig angelegtes Stück mit türkisch/marokkanischer Grundstimmung, dessen Drum Machine-Beat mit Congas durchsetzt ist.

Sie spielten mir auch einen Roh-Mix der nächsten Single vor. verpflichteten mich allerdings zu absolutem Stillschweigen. Trotzdem habe ich gerade beschlossen, diesen Schwur zu brechen: Wenn Bootlegger freien Zugang zu DAF-Tapes haben, sehe ich gar nicht ein. warum ich nicht mein eigenes Interview bootleggen sollte.

Also: Die nächste Single heißt „Brothers“: mit jeder Menge Zweideutigkeiten und gegenseitigem, namentlichen Anreden der Sänger ist sie schlüpfrig genug, um Kontroversen auszulösen – und wird in den Schwülen-Discos garantiert allen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Textauszug: „I made a promise/You made one too/I said I love you, Do you love me. too…, Like brothers do…“

Falls irgendwer Einwände hat, wird Gabi dasselbe sagen, was er schon zum Leder-Dress und zur „Mussolini‘-Single sagte: “ Tja, manche Leute haben einfach keinen Sinn für Humor.“

Wie habt ihr Jungs eigentlich ausgesehen, als ihr jünger wart, frage ich. als wirdas zypriotische Mahl mit Mocca und einer ungeheuer süßen Nachspeise aus Sirup, Nüssen und türkischem Honig beschließen.

„Also, du selbst warst unter Garantie ein Hippie“ sagt Gabi sofort. Verdammt, woher weiß er das?

..Ich war zu jung, um Hippie zu sein“. grinst er. „Ich war ein Mod, ein Skinhead.

ein Punk. Anziehen war immer wichtig. „

..Und ich“, schmunzelt Robert hinter vorgehaltener Hand.“.ich war. ..EIN DANDY.“

Beide lachen sie über das Wort „Dandy“.“.Ich habe sogar…“, gluckst Robert.“.ich habe sogar kleine Samt-Jacketts getragen. „

Gabi brüllt los- ich kann allerdings nicht nachvollziehen, warum kleine Samt-Jakketts automatisch komischer sind als türkische Folklore-Hemden.

Sie erzählen mir von einem Cellisten, der ihnen mal von Konzert zu Konzert gefolgt ist und immer wieder beteuerte, daß er Parts zu all ihren Songs einstudiert habe und unbedingt mit ihnen spielen müsse. Schließlich willigten sie ein.

Er hatte tatsächlich zu jedem DAF-Song ein Cello-Arrangement ausgearbeitet – und das klang nicht einmal schlecht.

„Aber optisch haute es überhaupt nicht hin.“ Robert verzieht leicht das Gesicht. „Der hatte soviel… Haare! Und sein Kleider-Geschmack. .. brrrr. “ Beide erschauern bei der Erinnerung.

Gut spielen war also nicht genug?

„Oh nein“, meint Robert, selbst ausgebildeter Musiker mit jahrelangem Kompositions-Studium.“.Nein. nein. Alle möglichen Leute können gut spielen. Bei uns war schon immer beides entscheidend: der Look und die Musik.“

Gabi: „Du kannst das eine nicht vom anderen trennen.“

Nein, nein, das möchte ich gar nicht erst versuchen.