Die Unabhängigen


Mit Idealismus und Erfolg hat das Hamburger Label Strange Ways dem Indie-Gedanken zur Blüte verholfen.

Parkettboden, mannshohe Zimmerpflanzen, eine gemütliche Sofaecke unter einem alten Iron-Maiden-Poster, und in der Küche verbreitet die röchelnde Kaffeemaschine heimeligen Duft – durch das Hauptquartier der Hamburger Plattenfirma Strange Ways weht der Geist einer wohngemeinschaftlichen Kreativzelle. Zumindest der beschauliche Eindruck täuscht: Die Telefone stehen nicht still, und das Faxgerät spuckt fortwährend meterweise Papier aus. „Wir haben nicht einmal mehr genug Zeit, uns die ganzen Demobänder anzuhören! , erklärt ein zerknirschter Christoph Bolwin mit Blick auf einen voluminösen Stapel ungeöffneter Pakete – und sollte doch, als Radiopromoter der Firma, allen Grund zur Freude haben: „Vor allem seit Wolfsheim in den Charts sind, kommen wir aus der Arbeit gar nicht mehr heraus!“

Turbulente Tage also im Hamburger Schanzenviertel, und inmitten des perfekt organisierten Chaos’sitzt Lothar Gärtner, der das Label vor 10 Jahren in Bremen gegründet hat und heute als Chef von Verlag und Mailorder fungiert: „Es begann mit meiner Arbeit in einem Plattenladen“, erinnert sich Gärtner, „und einem Repertoire quer durchs Gemüsebeet: Gothic, Dark Wave – und allem, was gute Independent-Musik ausmacht.“ Gärtner war damals ein großer Freund von Glitterhouse und der Idee eines Independent-Magazins – nichts lag näher, als selbst ein Fanzine auf die Beine zu stellen: „Und irgendwann habe ich dann gemerkt, daß es eigentlich gar nicht so schwer ist, selbst Platten zu produzieren und auf den Markt zu bringen.“ Das war im Frühjahr 1989. Schon im Mai desselben Jahres konnte das frischgegründete Label mit der ersten Veröffentlichung aufwarten: die LP „Two Foozles At The Teaparty“ von The Perc Meets The Hidden Gentleman. Ein Name für das hoffnungsvolle Projekt war auch rasch gefunden, wie Gärtner erläutert: „Wir wollten merkwürdige Musik machen – also ’strange‘. Und gleichzeitig sollte der Name suggerieren, daß wir in viele verschiedene Richtungen gehen – ‚ways'“. Dennoch wurde Strange Ways erst mal auf eine ganz bestimmte Richtung festgelegt: Alles, was düster und elektronisch daherkam, schien bei dem Indie gut aufgehoben. Mit idealistischem Momentum und fast im Alleingang baute Lothar Gärtner das zarte Pflänzchen seiner Firma zu einer festen Größe der Szene aus immer das britische Kultlabel Mute vor Augen, als dessen deutsches Pendant sich Strange Ways verstanden wissen will. 1991 folgte der Umzug nach Hamburg, die Produktmanager Christoph Bolwin und Andrea Seeger (u.a. Head Of Press) kamen zur Verstärkung an Bord. Und schon bald gab’s „Nachwuchs“: Andreas Gärtner und Kirstin Marienfeld betreuen den Mailorder-Versand (Große Johannisstr. 15, 20457 Hamburg); ferner wurde, speziell für Gothic das Sublabel Dark Star ins Leben gerufen. „Die wenigsten wissen, was der Name bedeutet“, schmunzelt Gärtner, „er paßt eben gut zu Gothic, kommt aber aus einer ganz anderen Ecke, nämlich von Grateful Dead.“ Daß deren ausufernde Hippie-Exkursion „Dark Star“ nun Pate steht für wegweisenden Düsterrock, zeugt vom besonderen Humor im Hause Strange Ways. Vom richtigen Riecher zur richtigen Zeit und konstruktiver Kulturarbeit eines Indie-Labels zeugt dagegen Joachim Witts „Bayreuth I“, die eigentlich für Zeitbombe produziert wurde – Strange Ways‘ Sammelbecken für das deutschsprachige Repertoire. Denn Lothar Gärtner hatte Peter Heppner (Wolfsheim) und Witt erst zusammengebracht: „Ich kannte beide und habe vermittelt. Und wenn man sich ‚Die Flut‘ anhört, kann das ja so falsch nicht gewesen sein!“ erzählt Gärtner vergnügt. Wie überhaupt das ganze Team mit verwunderter Genugtuung zur Kenntnis nimmt, daß sich jahrelanger Idealismus endlich auszahlt. So sehr, daß sich seit November ’98 Geschäftsführer Jörn Heinecker gewissenhaft um die schwarzen Zahlen kümmert. Die „merkwürdige“ Musik hat sich eben doch als der richtige Weg erwiesen.