Dr. Hook


Dr. Hook und seine verrufenen Quacksalber machen mal wieder die brave Bundesrepublik unsicher. Im Oktober treten sie in Hamburg, München, Offenbach und Düsseldorf auf. Und in diesen Tagen erscheint auch eine neue LP der amerikanischen Band: „Makin’Love And Music“. Das es soweit kommen konnte, ist ein kleines Wunder: Vor zwei Jahren noch waren Dr. Hook und Anhang restlos pleite — trotz einiger großer Single-Hits.

„Also Freunde“ – Ray Sawyer sprach’s und blinzelte mit dem Auge — „Freunde, ihr wißt, daß wir total pleite sind und nichts mehr geht. Wer bei uns aussteigen und nach Hause gehen will, hat sich jetzt die beste Gelegenheit ausgesucht!“ Sawyer alias Dr. Hook blickte in die Runde, musterte die Roadies und vor allem seine sechs Assistenzärzte. Wer würde aufstehen und gehen? Was folgte, wirkt fast so rührselig wie die Geschichte von „Sylvia’s Mother“ und gäbe genügend Stoff her für triviale Liebesromane oder Zeitschriften a la „Frau vorm Spiegel“: Roadies wie Hook-Musiker blieben sitzen, gelobten weiterhin Treue und beschlossen, erst einmal die Verkaufsumsätze der seinerzeit aktuellen LP „Bankrupt“ abzuwarten. Und siehe da: das Glück stellte sich ein, wenn auch erst im nachfolgenden Jahr und in Form der LP „A Little Bit More“. Die Umsätze stiegen, der Rubel rollte. Dr. Hook war gerettet.

Auf „Bankrupt sangen Dr. Hook’s Mannen unter anderem den Song „The Millionaire“ und träumten dabei vom Startzeichen zu einer goldigen Karriere und von einer mit großen Blauen tapezierten Zukunft. Der Doktor wollte sich schließlich mal ’nen neuen Schlangenlederhut kaufen, und Dennis endlich den neuen Tonabnehmer, auf den er schon so lange scharf war, bar bezahlen. Ja, was denn: Ist das wirklich die Geschichte von Dr. Hook, vom Septett mit inzwischen sieben Alben und sogar einigen Hitsingles? Tja, sie ist es: eine Geschichte diverser finanzieller Schwierigkeiten und Probleme. Denn 1975, zum Zeitpunkt des Erscheinens von „Bankrupt“, fand das zitierte Treffen tatsächlich statt: Dr. Hook waren trotz Knochenarbeit mit über 250 Konzerten pro Jahr, trotz des Welthits „Sylvia’s Mother“ und trotz weiterer Erfolge wie „The Cover Of Rolling Stone“, „Everybody Is Making It But Me“ (sie!) oder „Queen Of The Silver Dollar“ restlos bankrott. „Nach ‚Sylvia'“ erzählt die Band, „brauchten wir plötzlich einen Manager, Agenten, Büros, Tontechniker, Roadies und so weiter. Mit einem Mal standen vierzehn Leute samt Familien auf unserer Lohnliste und dann geschah das Verrückte, das wir für ein Konzert 1000 Dollar kassierten, aber das Vierfache an Unkosten zu tragen hatten. Und deshalb waren wir Ende ’74 wirklich am Ende“.

So gesehen, ging’s den Hook Ärzten vor ihrem Hit mit „Sylvia’s Mother“ erheblich besser. Sänger Ray Sawyer, der mit der Augenklappe, die er seit einem schweren Autounfall über dem Glasauge trägt, wuchs in Alabama auf und wurde nach eigenen Aussagen durch übermäßigen Genuß von Eichhörnchen dazu bekehrt, Musiker zu werden. Ray trampte quer durch die Südstaaten, gab in Chicago mehrere Gastspiele in dubiosen Soul-Bands und traf 1968 in Union City/New Jersey auf Dennis Loccoriere, seines Zeichens zweiter Chef im Hook-Haus. Dennis hatte sich in seiner Heimatstadt UnionCity durch Bars und Kaschemmen gespielt, irgendwann einmal George Cummings, Jay David und Billy Francis getroffen (die wiederum mit Ray Sawyer flüchtig bekannt waren) und mit ihnen in rot ausgeleuchteten Tingeltangels und ähnlichen Etablissements für Country-Klänge sowie größeren Alkoholumsatz gesorgt.

Unterdessen hatten sich in California Rick Elswit und Jance Garfat mäßig erfolgreich in der Szene produziert. Immerhin aber kann Jance auf eine zeitweilige Mitgliedschaft im Sir Douglas Quintett und bei Mother Earth zurückblicken. Wie sich aber nun die Hook-Doktoren zusammenfanden, ist im Nebel des Jahres 1969 verschwunden; Mutmaßungen, die Hooks wüßten es selbst nicht mehr, besitzen beträchtlichen Wahrheitsgehalt. Richtig ist jedoch auch, daß Ron Haffkine und Shel Silverstein die Katalysatoren des Hook-Unwesens wurden. Produzent Haffkine sorgte für halbwegs geordnete Zustände in den Plattenstudios, der Musiker, Kinderbuchautor, Playboy-Cartoonist, Komponist und Texter Silverstein besorgte der Band jede Menge Songs, darunter auch „Sylvia’s Mother“.

Diesen beiden Männern verdanken die Hooks nahezu alles, vor allem die Starthilfe ihrer mittlerweile achtjährigen Operation. Haffkine setzte sich dafür ein, daß die Doktoren neben Ray Charles am Soundtrack des Dustin Hoffman-Films „Wer ist Harry Kellermann und warum erzählt er all diese Dinge über mich?“ teilhaben durften; Silverstein setzte textlich die Maßstäbe, an denen sich speziell Sawyer und Locorriere späterhin orientierten, als Silverstein sich zurückzog und die Hooks ihre Songs zunehmend selber verfaßten.

Diese zunehmende Selbstständigkeit nicht nur beim Komponieren und Texten, sondern auch bei der leichthändigen Verschmelzung ganz verschiedener musikalischer Stilformen, waren das ganz zwangsläufige Ergebnis einer Entwicklung, deren Ergebnis man wohl am besten mit dem Begriff ‚harmonische Einheit‘ umschreiben kann, auch wenn dieser Begriff sehr abgegriffen wirkt. Aber nichts anderes als das allmähliche Zusammenwachsen bis hin zur Entstehung einer eindeutigen Gruppenidentität hat den Hooks geholfen, schwierige Situationen wie die eingangs erwähnte zu überwinden. Was hier mit Seitenblick auf Ray Sawyer’s Akademikertitel auch beinah akademisch dargestellt wurde, sieht in der Praxis sehr viel lebensnaher aus: die Hook-Doktoren sind keine Vereinigung geldgieriger Underdogs, die sich zwecks Maximierung der Gewinne zu einer Interessengemeinschaft (sprich: Rockband) zusammengeschlossen haben, sondern viel eher eine freundschaftlich verbundene Truppe, die neben reichlich Alkoholkonsum weiteren Gemeinsamkeiten wie etwa derjenigen frönt, die man im Rheinland als „Spaß an der Freud“ bezeichnet. Ein Dr. Hook-Konzert offenbart zwar im Hinblick auf Technik und Musikalität beachtenswerte Qualitäten — kein Solo wird verpatzt, kein Einsatz verpaßt — und könnte für manch andere Band als Maßstab gelten; zugleich aber wissen die Hooks ihre Konzerte mit einer Unmenge Irrsinn, Spaß und Abstrusitäten zu schmücken: Wer dies alles ernstnimmt, ist selber schuld. Und wer im letzten Sommer zu der kleinen Gemeinde jener Fans gehörte, die anläßlich der BRD-Tour der Hooks live dabei war, wird von der Spontanität und Lockerheit dieser Auftritte schwärmen. Indes besteht natürlich für deutsche Fans der Haken darin, daß die Hooks zwar auch musikalisch, vor allem aber textlich ihren Unsinn verzapfen und nahezu alles inner- und außerhalb der Musikszene verulken. Und für des Doktors Spaße muß man schon ein im Englischen halbwegs trainiertes Ohr besitzen. Hier liegt denn auch der Grund, warum die Hooks außerhalb der USA und Britanniens lange Zeit nur mäßigen bis geringen Erfolg hatten: Es kommt halt zu wenig rüber, als daß jeder verstände, was gemeint ist. Doch aus diesem Dilemma scheinen sich Sawyer und Konsorten nun befreien zu wollen. Zwar gelang der Truppe mit „Only Sixteen“ und speziell der 1976 veröffentlichten LP „A Little Bit More“ in England ein großer und auch bei uns ein Achtungserfolg, aber richtig abziehen werden sie wahrscheinlich erst mit ihrem neuesten Werk: „Makin‘ Love And Music“. Die in diesen Tagen erscheinende LP enthält nicht nur den kürzlich noch aktuellen Hit „Walk Right In“ (übrigens das Remake eines Hits der Rooftop Singers aus dem Jahre 1963), sondern vor allem ein Konzept, das zwar weiterhin viel Wert auf bissig-ironische Texte legt, diese aber effektvoller denn je in den musikalischen Rahmen packt. Der hier und dort geäußerte Vorwurf, „A Little Bit More“ sei musikalisch ein wenig lahm, die Platte ginge nirgendwo richtig los, hat den Hooks möglicherweise zu denken gegeben. „Makin‘ Love And Music“, ohne Silverstein, aber mit Ron Haffkine eingespielt, bietet auch für Hörer ohne Englischkenntnisse genügend Ansatzpunkte, weil hier Rock, Rag, Reggae und Ringelreihen, versehen mit einem tüchtigen Schuß Country, attraktiv angeboten werden. Die Platte enthält nur noch zwei balladenhafte Songs (früher eine Domäne der Hooks): „Sleeping Late“ mit reichlich „Schubidubidu“ ist eine groteskte Liebeshymne, in der der Langschläfer seinen Kissenbezug (ja ja, seinen Kissenbezug!!) anhimmelt; „Let The Loose End Drag“ fällt dem gegenüber deutlich ab, obwohl Ray Sawyer wieder alle Register seines augennässenden Gesangs abläßt.

Ansonsten bieten die Hooks eher schnelle Nummern, die sich — realitätsnah — häufiger um den Sex drehen: „Sexy Energy“ parodiert die Disco-Welle mit ihrem Hang zum Pseudo-Orgasmus und ihrer in Wahrheit puritanischen Auffassung von Erotik.“Sexy energy makes you charming when you sing“, kokettiert der Doktor und verweist damit Nullnummern wie Donna Summer oder Silver Convention klar ins Abseits. Über einen Song mit dem Titel „I Wanna Make The Woman Tremble“ braucht man wohl kein Wort mehr zu verlieren: Hören! Aber auch ohne Anspielungen im Bereich des Sex sind die Hooks nun endgültig ihr Geld wert. Der Titelsong „Makin‘ Love And Music“, das knackige „What A Way To Go“ mit hämmerndem Piano und kantigen Bläsersatz, das stampfende „Who Dat“ oder das entfernt vom Reggae angehauchte „Laying Too Low Too Long“ geben dem Album viel Dampf und Druck, und ein zwischen Kirmes- und Kinderlied angesiedelter Song wie „I’m A Lamb“ sorgt dann für juxige Abwechslung.

Einziges Manko der Platte, die an Stelle von George Cummings den neuen Gitarristen Bobby Henke präsentiert: Sie dauert bloß neunundzwanzig Minuten. Dabei könnte man von solcher Musik erheblich mehr vertragen. Jedenfalls ist den Doktoren wahrlich zu wünschen, daß sie sich mit dem neuen Album wiederum in den Ohren vieler Leute etablieren und wieder ein paar Märker verdienen. Denn wie man sie kennt, müssen sie bestimmt noch etliche alte Bierrechnungen bezahlen.

Wolfgang Bauduin