Dr. Hook – Still crazy after all these years?!


Früher galten sie als die verrückteste Band der Welt — doch sie verkauften kaum Platten. Heute findet man sie in aller Welt in den Hitparaden. Ob ihre Verrücktheit dabei Schaden genommen hat, wollte Tom Hospelt durch ein Interview herausfinden.

Angefangen hat’s mit einer zerkratzten „Sylvias Mother/Making It Natural“ Single, aus der eine Ecke rausgebrochen war und die ich gegen eine alte Dave Dee-Single eintauschte. Von diesem Tag an war ich infiziert und Dr. Hook-Platten waren von meinem Plattenteller nicht mehr wegzudenken. Es folgte ein an Spaß kaum zu überbietendes Konzert und alle Platten bis 1977. Und von diesem Zeitpunkt an merkte ich, daß meine über alles geliebten Freaks zumindest auf ihren Platten nicht mehr die alten waren. Das Interesse für die Gruppe, die inzwischen zu Stars geworden waren und sich auch in deutschen Hitparaden tummelten, schlief ein — bis zu dem Tag, an dem die Superseller Dr. Hook im kleinen Hamburger Onkel Pö spielten. Da die Band hauptsächlich nur zur Vertragsunterzeichnung mit ihrer neuen Plattenfirma Phonogram in Hamburg war, hatten sie kein P.A. dabei und brachten einen rein akustischen Act, der mich durch seine Verrücktheit, Spielfreude und Improvisation wieder voll in ihren Bann brachte. Das Po kochte, denn ein Gag jagte den anderen, Dennis und Ray sangen sich die Seele aus dem Leib und Billys obligatorische obszöne Handbewegungen durften natürlich auch nicht fehlen. Am Tag darauf sollte ein Interview im Plaza-Hotel stattfinden und ich freute mich riesig, die Jungs, die ich vor Jahren in Köln kennengelernt hatte, wiederzusehen…

Doch erst einmal ein kurzer t Blick in die Vergangenheit dieser außergewöhnlichen Band: Nachdem alle Gruppenmitglieder in verschiedenen Kneipenbands Erfahrungen gesammelt harten, traf sich die Band (Ray Sawyer – voc + g, Dennis Locorriere — voc + bg + g + harm, George Cummings — g + pedalsteel + voc, Bill Francis — key + voc, Jay David —dr + voc) Ende der sechziger Jahre in New York. Eine Namensfindung war nicht schwer, denn Ray war bei einem Autounfall übel zugerichtet worden und trug seitdem eine Augenklappe, hatte einen Stahlnagel im Bein und zeigte so Ähnlichkeiten zum bösen Captain Hook aus Walt Disneys Märchen Peter Pan. Durch ihren noch heute zur Band gehörenden Manager/Produzenten Ron Haffkine kam die Gruppe in Kontakt zum Songschreiber, Poeten und Cartoonisten Shel Silverstein. Silverstein war von der Band so begeistert, daß er seine Songs für den Film „Who Is Harry Kellerman and why he’s saying those terrible things about me“ (1971) aufnehmen ließ.

Kurz darauf spielte die Band ihr erstes Album DR. HOOK AND THE MEDICINE SHOW (1972) ein und hatte mit „Sylvias Mother“ ihren ersten Hit. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Band durch Rick Elswit (g+voc) und Jance Garfat (bg) verstärkt. Noch im gleichen Jahr entstand das zweite Album SLOPPY SECONDS und auch die hieraus ausgekoppelte Single „Cover Of Rolling Stone“ wurde ein Hit. 1973 folgte das schön ausgeflippte Album BELLY UP – und die Band, die im Jahr über 300 Tage auf Tour war (das kostet Geld), war pleite. Sie wechselten Plattenfirma und Schlagzeuger (John Wolters für Jay David) und brachten 1975 mit BANKRUPT die Krönung ihrer Ausgeflipptheit heraus. Von da ab gings — zumindest für alte Dr. Hook-Fans — bergab, denn ihr neuestes Album A LITTLE BIT MORE (1976) ließ trotz guter Songs (z.T. Silverstein) die guten Sprüche vermissen und nervte teilweise durch übertrieben aufgetragene Streicher. Gitarrist George Cummings hatte die Band, weil sie permanent on the road war, verlassen und wurde zu den Aufnahmen von MAKING LOVE AND MUSIC (1977) durch Bob „Willard“ Henke ersetzt. Es folgten die noch glatteren Alben PLEASURE AND PAIN (1978) und SOMETIMES YOU WIN (1979). Die alten Fans wurden sauer, doch viele neue Fans wurden gewonnen und endlich wurde auch kommerzieller Erfolg sichtbar. Ende ’80 wechselte die Band zu Phonogram, für Willard kam Rod Smarr. Und ihre neueste Platte RISING schlug in die gleiche Kerbe wie die letzten Alben.

Als ich ankam, ging im Hotelzimmer gerade eine amerikanische Zeitung rum, worin stand, daß Reagan einen Tag vor der Wahl 3,5 Punkte vor Carter lag und Ray und Tourmanager Nineyear konnten ihren Unmut nicht verbergen. Dennis kam hinzu und wir unterhielten uns nicht über Politik, denn mir ging es hauptsächlich darum, den Richtungswandel ihrer letzten Platten zu ergründen. Dennis: „Wir sind mit unseren ersten Platten pleite gegangen, doch das gute an den Platten ist, daß du sie heute noch kaufen kannst. Wenn also jemand in unsere Show kommt, weil er „Girls Can Get It“ mag und dann zum ersten Mal z.B. „Freakers Ball“ hört, dann kann er das immer noch bekommen. Außerdem kann man nicht immer das Gleiche machen. Shel Silverstein ist ein Dichter kein Musiker. Musikalisch war er sehr eingeschränkt. Wir konnten zwar hier und da die Melodie ein wenig ändern, doch es war sich alles sehr ähnlich. Wir gingen also nach Nashville, trafen andere Songwriter und Ray und ich begannen selbst mehr zu schreiben, und — was für uns sehr wichtig ist — als Sänger wollten wir auch Melodien singen, die mehr arrangiert sind. Es änderte sich also aus vielen Gründen. Es wäre ziemlich dumm von uns zu sagen, daß wir uns eines Tages hingesetzt härten und gesagt hätten: ,Okay, Jungs, wir machen jetzt das und das; um einen Haufen Kohle zu machen‘. Hätten wir das vorher gewußt, dann hätten wir es doch von Anfang an so gemacht. Oder?“ Großes Gelächter.

„Und außerdem“, fügt Dennis hinzu, „soll niemand glauben, wir würden nicht hinter unseren Platten stehen. Scheinbar glauben ja einige Leute, wir würden nach der Devise verfahren ,hey, lets make a million dollar and fuck these people‘. Wir haben hart gearbeitet und RISING ist für mich mit das beste, was wir je gemacht haben. Gestern fragte mich übrigens einer“, und er lehnt sich mit einem breiten Grinsen zurück, „ob wir arbeiten würden, um erfolgreich zu sein. ‚Nein, sicher nicht‘, hab ich ihm gesagt, ,wir arbeiten, um möglichst schnell zu sterben‘. Mann, es muß doch einen Weg geben, schneller zu sterben. Aber das ist das Schicksal der meisten sogenannten Kult-Bands“, sinniert er. „Zuerst liebt sie nur eine Handvoll Leute und wenn sie dann erfolgreich werden, sagt die Handvoll Leute ,Baah, das ist zu kommerziell‘. Das gleiche passierte mit Blondie in New York.“

Als ganz großer Fan ihrer Ausgeflipptheit wollte ich natürlich nicht locker lassen und meinte, daß es jetzt, wo wieder Geld in den Kassen ist, an der Zeit sei, zu ihrer crazyness auch auf ihren Platten zurückzufinden. „Vielleicht“, meinte Ray, doch Dennis unterbrach ihn und sagte, „Es ist an der Zeit, unsere Sache weiterzutreiben, denn, weißt du, früher haben wir vor halbleeren Häusern gespielt und das hat uns sehr geärgert. Wenn wir Erfolg mit einer Platte haben, dann sagen wir, ,Gut, noch mehr Leute, laßt uns die Show machen, weil die Show für uns immer noch das Allerwichtigste ist. Plattenverkauf ist gut, denn du hast mehr Zeit und mehr Publikum, aber wenn wir in einem Büro sitzen, die Leute kommen lassen und nur noch die Kohle einkassieren würden, das wäre ätzend. Wir würden vor Langeweile

Ob sich wieder ausgeflippte Dr. Hook-Platten, jetzt, wo sie bekannt sind, auch so gut wie die letzten Platten verkaufen würden, darüber waren sich Ray und Dennis nicht einig. Während Ray noch der Zweifel nagte, meinte Dennis: „Ich glaube ja. Wichtig ist aber erst einmal, daß die Leute ein Feeling für uns als Menschen bekommen, bevor sie irgendetwas kaufen, ob es „Sexy Eyes“ oder „Acapulco Goldie“ ist. Sie sollen wissen, wer das macht und was er fühlt. Wenn die Leute ein Feeling für uns entwickelt haben, glaube ich, würden sie auch ausgeflippte Platten kaufen“.

Als Trostpflaster für alte Dr. Hook-Fans wird es demnächst ein Livealbum geben. Die Aufnahmen wurden vor einiger Zeit in Europa gemacht. Es bleibt nur die Frage, wann die Plattenfirma es auf den Markt bringt. Zum Thema Plattenfirma hatte dann auch Ray, der sonst meist Dennis den Vortritt im Reden ließ, was zu sagen: „Wenn eine Plattenfirma eine Band unter Vertrag nimmt“, meinte er zur Begründung des erneuten Firmenwechsels, „dann geht es ihr darum, Platten zu verkaufen, und Kohle zu machen und deshalb promoten und pushen sie die Band. Mit anderen Worten: es ist ein neues Baby. Wenn dann ein paar Jahre vorbei sind, dann warst du mal das neue Baby, denn sie haben jetzt andere neue Babys und lassen dich deine Sache alleine machen. Wenn du etwas promotet haben willst, mußt du sie mit der Knarre dazu zwingen.“

Zu den anderen neuen Babys gehörten sicher auch viele New Wave-Bands, für die Dennis, ohne daß ich ihn darauf ansprechen mußte, eine Lanze brechen wollte. „Es war verwirrend für mich, als die ersten New Wave-Bands aufkamen und die Journalisten die etablierten Stas fragten, was sie davon halten würden. Ich war entzückt, doch wie viele meinten, es sei bullshit, niemals daran denkend, daß sie auch mal bullshit waren.“

„Ich mag besonders die Art und Weise, wie diese Bands ihre Platten aufnehmen“, stimmt ihm Ray zu. „Viele gehen ins Studio, drehen die Mikros auf und es geht los. Es ist das Gleiche, was Elvis Presley oder Booker T. & The MGs getan haben. Es ist mehr ein echtes als ein gemachtes Feeling“.

Jedoch auf Rays Plattenteller verirrt sich selten mal eine New Wave-Scheibe: „Ich stand immer schon besonders auf Black Music und guten Country. Da ich aus Alabama komme, mag ich den New Orleans-Sound der Black Music am liebsten. Ich kann nicht genug davon bekommen.“ Dennis hingegen steht laut eigener Aussage mehr auf extrem verschiedene Stilarten. „Ich höre einerseits gerne die sehr melodischen schwarzen Sänger wie Sam Cooke oder Smokey Robinson, andererseits stehe ich auf David Bowie. Und mein Favorit überhaupt ist Elvis Costello. Ich habe auch den gesamten Stiff-Katalog gekauft.“

Der Musikgeschmack spiegelt in gewisser Weise auch die Menschen Ray und Dennis wieder. „Ray und ich sind ziemlich verschiedene Typen, aber das ist wohl auch der Grund, warum wir solange zusammen sind. Ray kommt vom Land und ich aus der Großstadt, und als wir uns trafen, fanden wir unsere Eigenheiten urkomisch. Ray hat einen Südstaaten-Lebensstil. Er ist häuslich-gemütlich und sehr gemeinschaftsorientiert, während ich ein typischer hektischer New Yorker bin.“

Überrascht haben sie mich nur in einer Sache: Drogen. Daß Dr. Hook eine der größten Kiff-Bands unter der Sonne sind, dürfte jedem, der die Band kennt oder zumindest mal gesehen hat, klar geworden sein. Doch daß ihr Drogenkonsum beim Kiffen aufhört, war mir neu. Ray: „Du kannst nicht permanent auf Pille durch die Welt laufen, du kannst es nicht mit Heroin, Cocaine, du kannst nicht mal viel trinken und deine Sinne halbwegs klar halten“. „Also“, meint Dennis, „wenn du mit ’nem Freund ’nen Joint rauchen willst oder einen kleinen trinken willst wie wir es hier machen, dann tue es. Wir würden nicht soviel lachen, wenn wir harte Drogen nehmen würden. Es ist nicht so, daß ich die Drogen nicht kennen würde, aber ich will sie nicht mehr.“ Anteil daran haben bei den beiden sicher auch Frau und Kind gehabt, die eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Aber keine Angst: „Wir sind auch in Hochzeitsanzügen Freaks“, meint Dennis. — Sicher!!! Und nicht vergessen: Die alten Platten kann man noch kaufen und auf Tour wollen sie dieses Jahr auch kommen.