Drama in Düsseldorf: Die Toten Hosen, Rheinstadion


DAS 1000. KONZERT IN DER 15JÄHRIGEN Geschichte der Toten Hosen. Mehr als 60.000 fanatische Fans, Freunde und Familienmitglieder der Band waren ins Düsseldorfer Rheinstadion gekommen, um mit Campino und Co. zu feiern. Es sollte der Höhepunkt einer in Deutschland einzigartigen Karriere werden. Es kam, wie man weiß, anders. Ein 16jähriges Mädchen aus den Niederlanden erstickte während der ersten Minuten des Jubiläumsgigs im Gedränge vor der Bühne.

Wenige Stunden nach dem Unglück versuchte Sänger Campino seine Gefühle in Worte zu fassen: „Wir sind natürlich betroffen, weil da ein junger Mensch gestorben ist. Ein junger Mensch, der zu unseren Konzerten gegangen ist, um zu leben, und wir sind betroffen, weil es unsere Musik gewesen ist und weil dieses Mädchen sich eben uns ausgesucht hat, um zu feiern und einen guten Abend zu haben.“ Des weiteren wolle die Band umgehend mit der Familie des Mädchens Kontakt aufnehmen.

Den Vorfall selbst schildert die Band in einer Pressemitteilung wie folgt: „Wir haben unser Konzert gegen 22.00 Uhr begonnen… Nach etwa 20 Minuten hat unser Security-Chef, mit dem wir bei jeder Show Blickkontakt haben, das erstemal signalisiert zu unterbrechen. Vor der Bühne sind mehrere Leute hingefallen… Da das Gedränge aber nicht abnahm, sind wir auf dem Laufsteg ins Publikum gegangen, um die Aufmerksamkeit der Fans von der Bühne weg nach hinten zu lenken. Wir haben unser eigentliches Programm unterbrochen, improvisiert und auf weitere Zeichen gewartet. Nachdem ein Signal von der Bühne kam, haben wir weitergespielt. Bis zu diesem Zeitpunkt unterschied sich dieses Konzert in nichts von 100 anderen.“ Wer vor Ort war weiß, daß sich dieses Konzert sehr wohl von anderen unterschied. Selten drängten die Zuschauer bei einer Open-Air-Show dieser Größenordnung im Arena-Bereich derart vehement Richtung Bühne. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die euphorisierten Hosen-Fans zum Teil mit Sonderzügen aus allen Ecken der Republik nach Düsseldorf gekommen waren und manche von ihnen seit mehr als zehn Stunden im Stadion ausharrten, um ihren Idolen beim Konzert möglichst nahe zu sein. Hunderte belagerten bereits seit der Nacht vor der Show das Rheinstadion. Die tropischen Temperaturen, das Altbier sowie der spezielle Jubiläumscharakter des Events trugen wohl überdies dazu bei, daß die Situation in den ersten Reihen eskalierte. Viele bemängelten auch das Fehlen sogenannter „Wellenbrecher“ – Absperrungen, die den Arenabereich aus Sicherheitsgründen unterteilen.

Die Toten Hosen im Rückblick: „Der Veranstalter ist zu uns gekommen und hat zunächst von einem Unglück gesprochen… Als weitere zehn Minuten später feststand, daß jemand gestorben ist, haben wir die Bühne sofort verlassen.“ Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch kaum jemand im Stadion, was passiert war. „Während einer 20-minütigen Unterbrechung haben wir mit dem Veranstalter, den zuständigen Einsatzleitern von Feuerwehr und Polizei sowie den Vertretern des Stadions die Situation abgewogen und auf dringenden Rat der Polizei und der Feuerwehr entschieden, das Konzert fortzusetzen, um eine Panik zu vermeiden… Wir haben daraufhin unser Programm umgestoßen und einen stark gekürzten Set gespielt, unter der Voraussetzung, daß das Stadionlicht eingeschaltet blieb, und uns geeinigt, bei der geringsten zu erkennenden Unruhe sofort abzubrechen. Von diesem Zeitpunkt an haben wir uns bemüht, die Euphorie zu bremsen und häufiger präventiv unterbrochen.“

Unterm Strich sind neben dem Tod eines Fans noch über 300 Verletzte zu beklagen, die zum Teil stationär behandelt werden mußten Sieht man von dem tragischen Todesfall ab, fällt das Düsseldorfer Konzert – was die Statistik der Veletzten betrifft – nicht aus dem Rahmen von Stadion-Gigs dieser Größenordnung. Man kann aber nicht davon absehen. Der Band ist kein Vorwurf zu machen. Campino hatte – wie gewohnt die Zuschauer bereits nach dem dritten Song aufgefor dert, auf ihre „Nachbarn aufzupassen, nach hinten zu rücken, Rücksicht zu nehmen“. Auch die Entscheidung, das Konzert fortzusetzen, war – unter den gegebenen Umständen – wohl richtig. Ob es Versäumnisse bei den Sicherheitsvorkehrungen gegeben hat, wird nun der Staatsanwalt klären müssen. Peter Lichtenberg, Sprecher der Staatsanwaltschaft, kündigte an: „Wir werden den Sachverhalt aufklären und überprüfen, ob sich jemand strafrechtlich für die Vorgänge verantworten muß.“ Die Ermittlungen, die sich auf den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung und ….. möglicherweise der fahrlässigen Tötung“erstrecken, waren zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht abgeschlossen.

Daß ausgerechnet bei der Jubiläumsshow der erfolgreichsten deutschen Band jemand ums Leben kam, ist eine Tragödie in sich. Daß es bei Großveranstaltungen dieser Art bereits zu Todesfällen kam, ist traurige der Tatsache. Daß weitere Unglücke passieren werden, steht zu befürchten. Da mögen die Auflagen der Ordnungsbehörden noch so streng sein, ein kaum zu kalkulierendes Restrisiko bleibt immer. Es ist ein Ritus in der Rockmusik, daß der Fan selbst im dichtesten Gedränge den nahen Kontakt zu seinem Star sucht.

Über das Konzert selbst zu berichten, verbietet sich angesichts der Ereignisse von selbst. So viel aber sei gestattet: Es hätte ein Riesenspaß werden können und wurde statt dessen zum schwärzesten Tag in der langen Karriere von Campino und den Seinen.

Nach der ersten längeren Pause und den eindringlichen Ansagen des Stadionsprechers war klar, daß es ernsthafte Probleme gab. Und jeder, der die Hosen mehr als einmal live gesehen hat, erkannte am Verhalten der Band und an einem völlig verstörten Campino, daß etwas vorgefallen sein mußte, das selbst den chaos-erprobten Punks aus Düsseldorf schwer zu schaffen machte. Wie man später erfuhr, war alles noch viel schlimmer als man zunächst vermuten konnte. Daß sämtliche Feierlichkeiten, die von den Toten Hosen im direkten Anschluß an das Konzert geplant waren, abgesagt wurden, versteht sich von selbst. Daß es künftig bei Großveranstaltungen dieser Art keinen Toten mehr geben wird, dürfte angesichts der Erfahrungen aus vielen Jahren ein frommer Wunsch bleiben.