Ecke Schönhauser


Mark E. Smith, Liebeskummer, die Kneipe im Haus und Blumfeld: Das ist der popkulturelle Kosmos zweier WG-Genossen aus dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg und ihrer Indie-Rock-Band.

Besonders kooperativ geben sich Bands meistens nicht, spricht man sie auf offenkundige Einflüsse an. Regelmäßig spielen jene Gruppen, denen man auf Platte so deutlich nacheifert, im Zwiegespräch mit dem Künstler „keine große Rolle“ oder sind sogar gänzlich unbekannt. Im Fall von Ecke Schönhauser liegen die Dinge anders. Dass man auf ihrem Debüt Input Blumfeld heraushört und der Gesang in seiner dringlichen Atemknappheit an die Goldenen Zitronen erinnert, wissen die Berliner. Und klar, es ist Absicht: „Wir haben diese Band so klingen lassen, weil wir diese Art von Musik mitreißend finden. Es stand nie zur Debatte, das zu leugnen. Das würde man uns doch auch nicht abnehmen“, sagt Sänger Florian Pühs, um kurz danach anzufügen: „Eigentlich habe ich die Art, so zu singen, aber von Mark E. Smith von The Fall abgeschaut!“

Vielleicht liegt diese Offenheit daran, dass hinter der Band Ecke Schönhauser zunächst kein Masterplan steckte, sondern eher ohne jede Ambition freigesetzte emotionale Dringlichkeit: Pühs und Philipp Lippitz, eigentlich zwei völlig unterschiedliche Typen. Ein Münsterländer und ein Kärntner. Einer mit subkultureller PC-Hardcore-Jugend (Pühs spielte bei Surf Nazis Must Die) und einer, der eher Rock mochte und irgendwann nach Berlin zog. Zwei frisch Verlassene. Die beiden wurden Wohngenossen, gründeten Ecke Schönhauser nach dem vielfachen Durchhören des Blumfeld-Albums Old Nobody in Lippitz‘ im Erdgeschoss des gleichen Hauses gelegener Kneipe zunächst als Projekt zur Kanalisierung der jeweiligen Trennungsgeschichten und luden schließlich eine Handvoll Songs bei Soundcloud hoch. Aus dem Projekt wurde eine fünfköpfige Band („Philipp meinte auf einmal, er hätte jetzt auch andere Musiker dabei“, sagt Pühs), aus der Handvoll Songs ein ganzes Album. Eine unwahrscheinliche Geschichte, und trifft man Pühs und den Gitarristen Dennis Danowski, der einzige Berliner in der Band und einer, der wiederum vom Surfsound kommt, so scheinen sie selbst noch nicht ganz daran zu glauben.

Zumal die Umstände anders sind als bei den meisten Bands. Pühs, der keinesfalls von der Musik leben möchte, sitzt tagsüber vor einem Computerbildschirm in einem Bürohaus in Berlin-Mitte. 40 Stunden die Woche, 25 Urlaubstage. Touren ist für ihn nur eingeschränkt möglich, ganze fünf Konzerte spielten Ecke Schönhauser bisher. Aber die Zukunft, so sagt er, die sei trotz dieser Umstände und der doch auf zwei Musiker konzentrierten Entstehungsgeschichte erkennbar, im Übrigen schon auf dem Album. Zum Beispiel im Song „Mixtape“, dem ersten Stück, das nicht der Dualität der beiden Chef-Ecker entspringt, sondern dem Zusammenspiel der ganzen Gruppe. Inhaltlich wird man indes anbauen müssen: „Ein zweites Mal werden wir sicher keine Trennungs-Platte aufnehmen. Das wäre dann doch ein wenig langweilig“, sagt Pühs. Aber keine Sorge, happy wird’s auf dem Nachfolger nicht werden. „Selbst wenn ich im Zustand äußerster Harmonie wäre, würde ich noch genug Anlass finden, traurige oder wütende Texte zu schreiben.“

CD im ME S. 19, Albumkritik S. 78

* Der Name der Band lässt sich auf einen Film zurückführen: „Berlin – Ecke Schönhauser“ ist ein DEFA-Klassiker aus dem Jahr 1957 über Halbstarke im Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg.

* Florian Pühs mögen manche noch von den quengelnden Post-Punks Herpes kenne, die 2011 bei Tapete ihr Album Symptome und Beschwerden veröffentlichten. Auch das Ecke-Schönhauser-Debüt Input erscheint bei dem Hamburger Label.

* Als Teil einer Szene sehen sich Ecke Schönhauser nicht, gut bekannt sind sie allerdings mit den Münsteranern von Messer. Ansonsten entdeckt Pühs eher die Musik der Nullerjahre. Momentan auf dem Plattenteller: die 2009 gegründete Punk-Allstar-Band Off! und Kantes Zombi von 2004.