Ein Mann für gewaltige Stunden


Clint Eastwood sieht zwar nicht ganz so rot wie Charles Bronson, doch mit Samthandschuhen schlägt er sich auch nicht gerade durch die Welt. Seine "Dirty Harry"-Filme, so erfolgreich sie auch an der Kinokasse waren, lösten bei pazifistischen Zeitgenossen eher Unwillenaus. Im Gespräch mit ME/Sounds legte der Super-Mann die harten Bandagen für eine Weile ab...

In „Der Wolf hetzt die Meute“ spielt Clint Eastwood mal wieder einen Polizisten, allerdings einen eher zwielichtigen. Wie reagieren eigentlich echte Polizisten auf eine derartige Darstellung?

„Eine Gestalt wie ,Dirty Harry‘ haben Polizisten, soweit ich es mitbekomme, immer gemocht. ,Dirty Harry‘ war eine Phantasiefigur, der große Individualist – ein Polizist, der so war, wie man selbst einmal gerne sein würde… aber nie ist.

Aber auch diesmal habe ich erstaunlich viele Briefe bekommen, in denen Polizisten die Vielschichtigkeit des Porträts loben; das ist eben nicht der Super-Polizist, sondern ein Mensch, der sich mit Problemen herumschlägt und gleichzeitig auch seinen Job tun muß.

Man hätte natürlich erwarten können, daß dieses wenig schmeichelhafte Porträt einem Polizisten mißfallen könnte. Aber das stimmt nicht, denn auch Bullen können halbwegs intelligent sein …“ (lacht).

Wenn man sich diesen Film ansieht, aber auch die Arbeiten, die du als Regisseur machst wie etwa „Honkytonk Man“, in dem der Star Eastwood Tuberkulose hat, säuft und raucht und schließlich stirbt (der Film kam in der BRD nie ins Kino) – dann hat man das Gefühl, daß du oft geradezu gegen dein eigenes Image als Supermann anarbeitest.

„Schon, aber nicht so sehr mit der Absicht, ein bestimmtes Image zu zerstören. Ich mache das schlicht wegen der Abwechslung, der Bandbreite der Rollen. Ich habe immer wieder mein Image geändert. Und warum soll man sich nicht weiter verändern?“

Es könntelemand sagen, daß sei nicht so gut für die Kasse.

„Ja, der Mann hätte recht. ,Honkytonk Man‘ war denn auch kein Riesenerfolg. Dennoch betrachte ich diesen Film als persönlichen Erfolg.“

Wolltest du eigentlich schon immer auch selbst Regie führen oder entwickelte sich dieser Wunsch erst mit dar Karriere als Schauspieler? 1 „Nein, das war an sehr früher Wunsch; der stammt schon aus meinen Tagen als Fernsehdarsteller. Aber erst 1970 war es soweit, als ich ,Play Misty For Me‘ machen konnte.“ (Deutscher Verleihtitel: „Sadistico“). Diesen ersten Film als Regisseur könnte man auch so beschreiben: Viele Frauen sind hinter dem Charakter Eastwood her. Wenn der dann „Nein, danke“ sagt, werden sie wütend und greifen notfalls auch zur Axt. War der Film auch eine Reaktion des Superstars Eastwood, an dem plötzlich alle möglichen Menschen herumzerrten?

„Es ist zunächst einmal Unterhaltung, aber die Situation war mir schon bestens vertraut. Ich glaube, die meisten Menschen waren schon in einer Situation, in der ein anderer die Tiefe und Reichweite eines persönlichen Engagements mißinterpretiert.

Das führt natürlich zu Problemen. Die Situationen, die ich kenne, endeten zwar nicht gerade mit Mord, aber sie waren immer mit Drohungen, Selbstmorddrohungen und ähnlichem verbunden.

Die Autorin der Geschichte kannte tatsächlich ein Mädchen, das so ungefähr alles bis auf Mord versucht hatte – den Mann niederzustechen, die Kleidung zu zerschneiden etc.

Das sagt natürlich nichts über die Mehrheit der Frauen, es sagt auch etwas über Männer; auf jeden Fall ist es immer eine interessante Filmstory.“

Als Star und Über-Mann löst man nun mal zum Teil sehr extreme Gefühle beim Publikum aus. Wie fühlt man sich, wenn man dann hautnah mit solchen Gefühlen konfrontiert wird?

„Ich weiß nicht. Einerseits will

man mit einem Film ja wohl genau das erreichen. Ich persönlich aber ziehe es vor, wenn ein Film in sich als Ganzes funktioniert.

Andererseits sind viele Leute mit mir älter geworden. Menschen, die jetzt Ende Zwanzig sind, haben vielleicht seit ihrem zehnten Lebensjahr meine Filme gesehen; Leute in den Dreißigern sind damals das erste Mal mit ihrer Freundin in einen meiner Filme gegangen… Filme werden so auch Teil eines Lebens, Teil einer persönlichen Nostalgie, die man empfindet, wenn man als Erwachsener zusammen.

Insofern weiß ich nie, was sich da wirklich auf mich richtet. Ich habe da keine Antwort.“

Aber ungestört in der nächsten Kneipe einfach ein Bier trinken, wenn man es gerade will, das ist vorbei?

„Das hängt von dem Lokal ab. In manchen Städten sagen die Leute nur,Hallo‘, anderswo wollen sie ein Autogramm und mehr…“.

Also gar nicht so schlimm?

„Manchmal bedauert man es schon. Als Schauspieler lernt man, indem man andere Menschen beobachtet. Plötzlich geht man in eine Kneipe und ist selbst derjenige, der beobachtet wird. Die Möglichkeit, einfach dazusitzen und das Leben als Beobachter an sich vorbeiziehen zu lassen, geht verloren. Man zieht Aufmerksamkeit auf sich, und das verändert die Atmosphäre des Orts. Und das ist schade.

Das kann durchaus auch einen negativen Einfluß auf die Arbeit haben. Man kann sein Gefühl dafür verlieren, wo auf diesem Planeten man eigentlich steht. Wenn man mit den Füßen vom Boden abhebt, dann wird das zwangsläufig Veränderungen auslösen – die Art, wie man spielt… weil man vergessen hat, wie das Leben wirklich ist, wie normale Menschen miteinander verkehren.

Was bedeutet denn Erfolg in Zuschauerzahlen für dich?

„Man wünscht sich natürlich immer viele Zuschauer – und für bestimmte Arbeiten besonders viele. Aber man sollte auch realistisch bleiben. Man macht einen Film so gut, wie man nur kann. Und wenn ein Film dich selbst zufriedenstellt und dann auch noch andere Menschen kann man nicht mehr verlangen.

Manchmal wird es eben keine Menschenschlangen vor einem Kino geben. Besonders Leute, die erwarten, daß ich die da oben auf der Leinwand immer zusammenschieße, werden eher enttäuscht sein als ein Zuschauer, der sehen will, wie ich einen Menschen porträtiere.“

Beim Stichwort „Zusammenschießen“ wie steht’s denn mit der Gewalt in deinen Filmen?

„Da ist zuerst die Frage: Was war zuerst da? Der Film oder das Leben? Seltsam ist, daß gerade Zeitungen solche Fragen problematisieren; dabei verkaufen sie immer auf Seite eins die Gewalttaten – sonst könnten sie auch gar nicht konkurrieren. Irgendwie beutet jeder Gewalt aus – so oder so.

Die Menschen sind nicht dumm. Viele Intellektuelle, oder sagen wir Pseudo-Intellektuelle, wollen einem erzählen, wie Gewalt wirkt. Das sind fast immer Spekulationen. Oft stellt man sich dünkelhaft über andere Menschen und sagt: .Also, ,die Masse‘ wird so und so reagieren; ich selbst sehe das natürlich differenzierter.‘ Ich sage dazu immer: Woher nimmt man sich das Recht zu glauben, daß man der einzige ist, der Zusammenhänge durchschaut? Und woher das Recht, andere zu bevormunden? Eines der großen Probleme dieser Welt besteht für mich darin, daß es zu viele Menschen gibt, die anderen vorschreiben wollen, was sie zu tun haben. Jeder will etwas erzwingen – religiöse Gruppierungen, politische. „Ich sehe da immer nur gigantische Egos herumspazieren. Die ganze Menschheit ist auf einem gigantischen Ego-Trip, der gegenwärtig außer Kontrolle gerät.

Wer weiß denn, welchen gewalttätigen Effekt es auf Kinder hat, das Alte Testament zu lesen? Gleich zu Beginn des Lebens pumpt man all diese gewalttätigen Geschichten in die Kinder rein… Glieder ausreißen, köpfen, verstümmeln, foltern, schlagen.

Als mein kleiner Sohn gerade begann, Zusammenhänge zu verstehen, kamen wir einmal in ein Zimmer mit einem riesigen Kruzifix. Und wie Kinder so sind, fragte mein Sohn: .Was hat der denn Böses gemacht?‘ Nägel durch die Hände und Füße, die Seite mit dem Speer geöffnet das ist der erste Eindruck, den man zumindest in der westlichen Welt Kindern vermittelt.

Über was für Gewalt diskutieren wir also? Shakespeare? Griechische Tragödien? Das ist alles enorm gewalttätig, gewalttätiger als jeder Film, in dem ich je mitgespielt habe.“

Hierzulande möchte man gerade Horror-Videocassetten vom Schlage „Maneater“ per Gesetz verbieten lassen…

„Glauben die wirklich, daß ein erwachsener Mensch solche Dinge ernst nimmt? Ich sehe nicht, wie man das für Realismus halten kann. Bei der Schießerei in ,Der Mann, der niemals aufgibt‘ beispielsweise wäre ich in Wirklichkeit nach zwei Sekunden tot …

Wer solche Dinge per Gesetz verbietet, der verbietet erst ,Maneater‘, dann kommt sehr bald ein Eastwood-Film, dann Walt Disneys ,Schneewittchen und die sieben Zwerge‘; denn wenn eine Hexe verbrannt wird…

Das kommt alles aus einer Ecke, in der Menschen sitzen, die sich selbst für die einzigen halten, die zu einem differenzierten Urteil fähig sind Da sitzen dann die Zensoren zusammen, schauen sich heiße Filme sagen dann: Aber für die Öffentlichkeit ist das nichts!‘ Das muß sicher mächtig Spaß machen.

Sicherlich ist es einfacher, einen Film zu verbieten, als etwas in der Gesellschaft zu ändern. Wenn man es richtig durchdenkt, ist das alles ein schlechter Witz.“

Du arbeitest nicht mehr fürs Fernsehen?

„Nein. Ich habe nichts gegen das Fernsehen als Institution; ich habe dort viel gelernt. Aber es gibt dort halt viele festgefahrene Mißstände. So sind die Zuschauer an dieses langweilige, flache Fernsehlicht konditioniert worden. Das ist wie Gehirnwäsche.

Für mich müssen der optische Eindruck und das Thema eines Films zusammenfallen. Im Fernsehen aber gibt es immer tonnenweise Licht; Fernsehen ist einfach häßlich. Man muß das nicht so machen.

Ich sehe oft im Fernsehen sehr dunkel ausgeleuchtete alte Spielfilme, und die sehen immer gut aus. Es besteht kein Grund, fürs Fernsehen zu arbeiten, wenn man Kinofilme machen kann.“

Was hat dich eigentlich ursprünglich zum Film gebracht?

„Ich weiß nicht. Als Kind war das nicht mein Interesse. In der Schule habe ich mal in einer Theateraufführung mitgewirkt; und das fand ich damals gar nicht so toll.

Ich kannte ein paar Leute in der Filmbranche, als ich aus der Armee kam. Ich war sehr sportlich, also machte man mit mir einen Filmtest. Dann kam ein Vertrag…

Ich weiß nicht, wie ich da hineinkam. Ich fing an. Und wenn man einmal anfängt, dann geht’s einem ins Blut. Wie eine Droge.“