Ein Star wird gemacht


Sie ist laut. Daß Brigitte Nielsen nicht zu übersehen sein würde, war mir klar. Heute morgen ist sie auch nicht zu überhören. In leichtem amerikanischen Akzent ergreift sie Partei für die Freiheit der lesbischen Liebe.

Wie sie das tut, erinnert weniger an eine überzeugte Frauenrechtlerin, eher an Politiker vor der Fernsehkamera. Brigitte Nielsen sitzt in einem weiten Polstersessel am Eingang zur Halle eines Luxushotels in Rom. Sie hebt die Stimme zu einem fordernden, durchdringenden Ton und sagt: „Ich respektiere Lesbierinnen.“ Das zu wissen, ist natürlich erst einmal beruhigend. Toleranz ist eine Tugend. Auch die anderen Gäste in der Halle, die jedes Wort mithören können, spitzen angetan die Ohren. Gefragt allerdings hatte Frau Nielsen niemand danach. Gefragt hatte ein italienischer Journalist nach den Gerüchten um die Affäre der Noch-Ehefrau von Sylvester Stallone mit ihrer persönlichen Assistentin Kelly Sahnger. Da sei aber rein gar nichts dran, versichert Brigitte Nielsen und schiebt noch eine Verlautbarung hinterher: „Ich habe nichts gegen Lesbierinnen. Ich finde, jeder Mensch soll das tun, was er gern will.“ — Schön gesagt, vielen Dank für das Gespräch, Frau Minister.

Ich war nach Rom gekommen, um für ein paar Stunden einzutauchen in eine andere Welt. Die schöne Brigitte aus Dänemark, so stellte ich mir das vor, die auf ihren langen Beinen geradewegs hineinspaziert in die Märchenwelt der Musik-Szene, die ihre Popularität aus einem anderen Bereich und aus anderem Grund nutzt zum Sprung in die Hitparaden. Genau wie vor ihr Samantha Fox, Audrey Landers, Prinzessin Stephanie, AI Corley, Mandy Smith und, und, und.

Aber von wegen Märchen! Was sich mir bietet, ist das Bild einer Frau, deren Leben geprägt ist von harter Arbeit und von einem Terminkalender, der keine freien Tage kennt. Wie sehr sich Brigitte Nielsen für ihre erste LP und auch für ein zusätzlich aufgenommenes Duett mit Falco ins Zeug legt, wird mir von ihr selbst und von allen Menschen, die mit ihr arbeiten, wieder und wieder bestätigt.

Die Situation in Rom zum Beispiel: Für vier Monate hat Brigitte Nielsen sich aus Hollywood verabschiedet und in einem Hotel-Appartement nahe der römischen Villa Borghese Quartier bezogen. Seit dem

25. September ist sie Dauergast und Co-Moderator der erfolgreichen Fernsehshow „Festival“. An 14 aufeinanderfolgenden Freitagen zur besten Sendezeit um 20.30 Uhr wird sie jeweils einen Song vortragen.

Ich habe das Glück, am richtigen Tag in Rom zu sein, um in den Genuß der Premiere von „Festival“ zu kommen. Ein Fernseherlebnis, wie es in Deutschland nicht vorstellbar wäre: Das Bühnenbild wird dominiert von einer gigantischen Dixan-Schachtel, die vier Meter über den Köpfen der Akteure thront und die selten aus dem Bild gehoben wird. Unter der Schirmherrschaft des Waschmittels Dixan also gibt es eine bunte Mischung aus Ballett, Ratespielen, Sketchen und viel, viel Werbung.

Moderator Pippo Baudo begrüßt Brigitte Nielsen, die in einem extravaganten schwarzen Kleid auftritt. Im Publikum sitzt der dazugehörige Schneider: Nobel-Designer Valentino steht auf, will sich zum Publikum verbeugen, kommt aber nicht mehr dazu, bevor der nächste Werbespot hernieder saust. Ein Nudel-Fertiggericht aus der Dose wird angepriesen. Das ist Privatfernsehen nach italienischem Muster, vorgeführt vom Branchenführer: dem Canale 5 des Medien-Moguls Silvio Berlusconi, der sich kürzlich in die deutsche Music Box eingekauft hat und ab Januar daraus den Sender Tele 5 machen wird.

Zurück im Studio hat sich Brigitte Nielsen umgezogen, was nur möglich ist, da die Sendung am Abend zuvor aufgezeichnet wurde. In einem nun grünlich-grauen Kleid, ebenfalls von Valentino, singt sie zum Playback den Titel „It’s A Strange Love““aus ihrer LP EVERYBODY TELLS A STORY. Das ist ordentlicher Euro-Pop mit unbestreitbaren Disco-Qualitäten. Wie Brigitte Nielsen den Song vorträgt, erinnert ein bißchen an Modenschauen, wo die Models sich sehr elegant bewegen und etwas weniger elegant in ein totes Mikro Mundbewegungen zur Musik machen. Aber Brigitte Nielsen wird das noch in den Griff kriegen, kein Zweifel. In den kommenden 13 Wochen in Italien wird sich die Routine schon noch einstellen.

Die Fernsehshows sind aber nicht alles, was Brigitte Nielsen momentan tut. Nach den Ablaufproben im TV-Studio verschwindet sie abends in ein Musik-Studio. Da ihre LP nur zehn Titel hat, muß sie für das Nielsen-Festival in „Festival“ noch vier Nummern aufnehmen, unter anderem eine Marylin Monroe-Parodie.

Den Vertrag für den Fernseh-Marathon in Italien hat Brigitte Nielsen übrigens nur unter einer Bedingung unterschrieben: Freitag, Samstag und Sonntag jeder Woche will sie frei haben, um anderweitig Werbung für ihre Musik machen zu können. Vergangenes Wochenende etwa war sie in München, drehte in den Arri-Studios das Video für ihre erste deutsche Auskoppelung „Every Body Teils A Story“.

Kommendes Wochenende, so erzählt sie, wird sie nach London fliegen und von dort mit der Concorde weiter nach New York. Da wartet schon ein Kamerateam, das extra aus Los Angeles eingeflogen sein wird, um Brigitte Nielsen auf halbem Weg zu treffen. Drei Stunden lang soll dann gedreht werden für die Fernsehshow „Legendary Women Of Our Time“ (Legendäre Frauen unserer Zeit).

Als ich diesen Titel höre, fällt mir ein Zitat von Sylvester Stallones Mutter Jacqueline ein, die Brigitte Nielsen noch nie so recht leiden mochte. „Female impersonator“ hat sie sie genannt. Frauen-Darstellerin bedeutet das, höflich übersetzt. In Amerika wird dieser Begriff gebraucht für Männer, die in Frauenkostümen auftreten, für Travestie-Nummern also.

Der Unmut von Mutter Stallone ist natürlich verständlich, wo jetzt die Scheidung bevorsteht, aber diese Einschätzung geht wohl doch zu weit. Millionen Männer in aller Welt würden entschieden widersprechen. Gerade vor einer halben Stunde habe ich selbst noch mit Brigitte Nielsens Chauffeur und ihrem Bodyguard die neuesten Papparazzi-Fotos von ihr begutachtet: Brigitte Nielsen am Strand, von hinten geschossen, in einem G-String bekleidet. Ich spreche nicht italienisch, die beiden Männer kaum englisch, aber diese Sprache braucht keine Worte. Handzeichen genügen, Daumen nach oben, Top! Every Body teils a story und so …

Andererseits ist Gitte, wie sie von Freunden genannt wird, natürlich alles andere als das nette Mädchen von nebenan. Mit ihren 24 Jahren hat sie schon mehr hinter sich als viele Menschen nach einem ganzen Leben. Fünf Jahre Fotomodell für die Agentur Elite, die als eine der besten gilt. Drei Jahre mit Sylvester Stallone, vier Filme.

Während des Interviews zum Lunch lacht Gitte kein einziges Mal, die ganze Stunde nicht. Wenn sie über ihr Leben redet oder über ihre neue Karriere, dann hört sich das todernst an. Und wenn ich mir überlege, wie oft heute schon betont wurde, wie hart die Arbeit sei, frage ich mich, warum Brigitte Nielsen denn den ganzen Streß auf sich nimmt. Warum sie sich nicht auf ihren bisherigen Erfolgen, ihrem Vermögen ausruht? Warum sie, wie ihr Produzent stolz berichtet, nach 12 Stunden Dreharbeiten zu „Beverly Hills Cop II“ noch ins Tonstudio eilt, um an ihrer Platte zu arbeiten?

Brigitte Nielsen blickt mich mit ihren großen braunen Augen lange an, greift an mein Handgelenk und gibt mir die Antwort: „Egal ob du eine Million Dollar hast oder nur hundert, das wird das Lächeln auf deinem Gesicht nicht ändern.“

Und singen sei eben schon immer ihr Traum gewesen.

Die Szenerie: Hollywood. Zuhause bei Stallones. In die Villa im französischen Stil hat Brigitte ein Lieblingsspielzeug aus ihrer Jugend mitgebracht. Einen Cassettenrecorder mit Playback-Vorrichtung, in Amerika „Music-Machine“ genannt. Brigitte kauft speziell für das Gerät hergestellte Bänder mit den Musik-Tracks zu aktuellen Hits. Was fehlt, ist die Singstimme. Brigitte hört die Musik über Kopfhörer und singt selbst dazu. Heraus kommt ihre ganz persönliche Cover-Version zum Beispiel von Donna Summers „On The Radio“. Auf Parties dann kommt das Gespräch schon mal auf ihr heimliches Hobby.

Und mit Sylvester Stallone wird Brigitte Nielsen auf viele Parties eingeladen. Zu einem Dinner im Weißen Haus etwa, das Ronald und Nancy geben. Im Sommer 1986 begegnet Brigitte Nielsen auf einer dieser Parties einem alten Bekannten aus ihrer Model-Zeit. Ein Haar-Stylist aus Mailand, der nach Amerika umsiedelte, erinnert sich an Brigittes musikalische Leidenschaft, schaltet schnell und macht Brigitte mit einem Freund bekannt: Christian de Waiden, Musikverleger in Los Angeles. Mit seinem deutschen Partner Michael Holm (Genau, der aus „Mendocino“) konnte de Waiden schon beachtliche Erfolge in der US-Country- und Rock-Szene verbuchen. De Waiden lädt Brigitte Nielsen in sein 24-Spur-Studio in L.A. ein. Erste Demos werden gemacht und Brigitte zum Sing-Unterricht geschickt.

Was fehlt, ist ein Produzent. Ein Image, das helfen soll, Platten zu verkaufen, hat Brigitte Nielsen ja bereits. Die „weiße Grace Jones“ wird sie genannt oder auch „Rambolina“. Nach einigen wenig erfolgversprechenden Versuchen anderer Produzenten entschließt sich Christian De Waiden, erstmal selbst Hand anzulegen (Coproduzent: Steve Singer).

Die ersten Aufnahmen von Brigitte Nielsen machen jetzt die Runde. Über die Verlags-Achse nach Deutschland kommt Dieter Bohlen ins Gespräch, jettet nach L.A. und reist nach zwei Tagen unverrichteter Dinge wieder ab. Die Songs, die er mitbrachte, entsprachen nicht den Vorstellungen von Frau Nielsen.

Auch Sylvester Stallone tut wieder, was er kann, wie schon für Brigittes Filmkarriere. Giorgio Moroder bastelt gerade den Soundtrack für den Stallone-Flop „Over The Top“. Eine gute Gelegenheit, ihm ein Nielsen-Tape vorzuspielen.

Bis er zum Zuge kommt, vergehen allerdings einige Monate. Dafür wird das Projekt noch heißer: Nielsens deutsche Plattenfirma Teldec schlägt ein Duett vor mit einem anderen Künstler aus dem Hause, mit Falco. Moroders ursprünglicher Titel für das Duett, „Sexy Lady“, wird zwar von Falco schleunigst in „Body Next To Body“ bereinigt, aber es bleibt ein echter Moroder-Coup.

Die Aufnahmen finden dann allerdings so spät statt, daß die Nummer nicht mehr auf die Nielsen-LP (Veröffentlichung: 15. November) kommt. Auch Elton John hat inzwischen einen Song geschrieben für Brigitte. Der kommt dann aufs nächste Album.

Brigitte Nielsen blickt so optimistisch in die Zukunft, daß sie schon von eigenen Live-Shows träumt. Nicht so sauber wie die von Whitney Houston sollten sie sein, lieber verrückt wie Cyndi Lauper — oder wie David Bowie, den sie am meisten verehrt. Auch Supertramp gehörten zu ihren Jugendidolen, ELO, Sweet und Slade, von denen sie sogar die Star-Bildchen aus den Kaugummis gesammelt hat.

Als Brigitte Nielsen mir dies erzählt, wie sie mit ihrem jüngeren Bruder Jan ein Zimmer teilte, wie sie es gemeinsam mit Postern tapeziert haben, da scheint das Bild der unnahbaren, „legendären Frau unserer Zeit“ wie weggewischt. Aber nur ganz kurz. Dann ist sie schon wieder Brigitte Nielsen, die so groß ist und so auffällig, daß alle sie mit offenem Mund anstarren. Brigitte Nielsen, an der nichts Unschuldiges, nichts Ungeformtes zu sein scheint.

Wer über viele Jahre hinweg immer nur gesagt bekommt, wie schön er sei, entwickelt natürlich leicht ein Defizit an Selbstvertrauen in seine sonstigen Qualitäten. (So gesehen waren Brigitte und Sylvester vielleicht das ideale Paar). Vielleicht sagt mir Brigitte deshalb im Interview so oft den Satz: “ Verstehst du, was ich meine. “ Ohne Fragezeichen, ohne daß sie eine Antwort erwartet. Vielleicht ist es ihr deshalb ein Bedürfnis, Dinge zu erklären wie — wiederum durchaus ernst gemeint: „Ich weiß, daß ich nicht dumm bin. Das kannst du schreiben!“ Und vielleicht scheint es deshalb eine fixe Idee von ihr zu sein, daß man nur hart genug arbeiten müsse und dies auch deutlich genug mitteilen müsse, dann werden sich Erfolg und Hochachtung beim Publikum schon einstellen?

Für Brigitte Nielsen eröffneten sich in den letzten acht Jahren außerordentliche Möglichkeiten. Sie mußte nur zugreifen, was sie oft genug tat. „Go for it!“ lautet ihre persönliche Maxime — pack die Chance!

Die Chance zur Musikkarriere hat sie jetzt schon fast im Würgegriff. Und wenn’s läuft, sinniert sie, wäre sie sogar bereit, alles andere aufzugeben. Aber andererseits: „Bis Weihnachten weiß ich, ob meine Platte läuft. Wenn nicht, dann laß ich’s wieder und mache was anderes. Es gibt so viele Musiker, die jahrelang rumprobieren, auf keinen grünen Zweig kommen und ihr Leben verschwenden. Das mache ich auf keinen Fall. — Verstehst du, was ich meine.“