Einigkeit & Krach & Freizeit


Stell Dir vor, es gibt eine neue gesamtdeutsche National-Hymne - und Du sollst sie schreiben. Angesichts der historischen Tragweite unserer Frage zuckten die Kandidaten naturgemäß erstmal zusammen. Um ihnen die Scheu vor der übermenschlichen Aufgabe zu nehmen, gab ME/Sounds mit folgenden Fragen Hilfestellung: Wie ist Deine erste Reaktion auf das Angebot? In welchem Genre wird Dein Werk angesiedelt sein? In welchem Rahmen konntest Du Dir die Erstaufführung vorstellen? Wer könnte die Hauptrolle in dem (natürlich unvermeidlichen) Videoclip spielen? Hier die Antworten unserer Hoffnungsträger:

GOTTHILF FISCHER

Er ist voll dabei, denn „das ist eine große Aufgabe für uns alle.“ Genauso groß wie Gesamtdeutschland soll die Hymne des Chor-Vaters werden, sich gleichzeitig aber auch vor dem bewährten Wessie-Lied verbeugen: „Ich würde eine Kopie anfertigen von unserer alten, ehrwürdigen Hymne ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘.“ Gotthilf kommt bei der Uraufführung groß raus – als Dirigent des gesamtdeutschen Mega-Chores. In Berlin stimmen „links und rechts der ehemaligen Mauer Tausende von Menschen die Hymne an.“

RUDOLF SCHENKER

Der Ober-Scorpion, seit Wochen genervt vom gesamtdeutschen Gedudel in den Medien, erweist sich als wahrer Kosmopolit: „Ich fühle mich als Weltbürger und finde, daß nationales Denken, dieses plötzliche Rasseln mit dem nationalen Säbel, in der heutigen Zeit Schnee von gestern sein sollte. Schon allein deshalb würde ich mich lieber an der Komposition einer Welthymne beteiligen.“

STEFAN REMMLER

In seiner Musik ist er zwar eher dem volkstümlichen Witz verpflichtet, doch beim Thema Nationalhymne hört für den Ex-Trio-Mann der Spaß auf: „Ich finde das vorhandene Deutschlandlied (die Strophe ‚Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland‘) durchaus zufriedenstellend und möchte dem nichts hinzufügen und fühle auch keine Motivation, hier etwas Neues haben zu wollen oder zu kreieren. Darüber hinaus hoffe ich, daß mir eine neue deutsche Nationalhymne mit der dazugehörigen Präsentation und der damit verbundenen peinlichen Feierlichkeit erspart bleibt.“

CAMPINO

Als wir die Tote Hose um eine Hymne baten, wurde sie bleich: „Was habe ich falsch gemacht?“ Wenn er es aber doch richtig machen sollte, dann nur als Fetzer im Stil „der Neuen Deutschen Welle. Der Refrain heißt ‚Heidewitzka, Herr Kapitän‘. Und die Uraufführung machen wir im Rahmen einer Würstchen-Wettessen-Veranstaltung.“

Als Hauptdarsteller für das dazugehörige Video schlägt die rheinische Punk-Natur ausgerechnet einen typischen Grantler aus Bayern vor: „Es gibt nur einen, der diese Aufgabe würdig lösen kann: Gerhard Polt.“

RIO REISER

Auch Rio, als „König von Deutschland“ erster Anwärter für die große Aufgabe, sieht in Gerhard Polt den adäquaten Video-Star, wenn auch seine erste Reaktion eher entsetzt ist: „Ach du Scheiße!“ Nach kurzem Nachdenken schlägt Reiser als Musik „einen Schuhplattler“ vor, “ weil man danach nicht so gut marschieren kann“. Die Uraufführung seines Werkes wird „Anno Domini 2010 bei der Olympiade in Berlin“ sein, der Refrain lautet „Von der Maß bis an die Resi/Von dem Scheck bis an das Geld.“ Natürlich Blanko.

PHILLIP BOA

Der Pop-Avantgardist aus Dortmund: „Lieber würde ich je eine Hymne für eine freie DDR und eine freie BRD komponieren.“ Auf jeden Fall wird es ein Stück Krautrock, Rudi Dutschke spielt im Video die Hauptrolle, im Text geht es ums Geld: „I want my fuckin‘ royalties/from two different countries/if you increase my tax-bill/invest it not in dollars/kill your Ideals, kill your ideols, kill your ideals now!“ Die Ideal-Uraufführung fände für Boa anläßlich „der Eröffnung einer McDonald’s-Megafiliale auf dem Dresdener Stasi-Hochhaus.“ statt. „Es spielen auf: Die Fliegenden Hängematten, eine gesamtdeutsche Fun-Punk-Band aus Landshut und Pommern. Alle deutschen Bürger dürfen die Band mit Familyburgern bewerfen. Allemal ein würdiges Szenario für ein gesamtdeutsches Mordsspektakel.“

HEINZ RUDOLF KUNZE

„Rein zufällig“ hat der schlaue Brillenträger die neue Nationalhymne schon fertig: „Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern) – Version ’90“. Der Rock-Philosoph bevorzugt „Country & Western a la Springsteens „I’m On Fire‘ als geeignete Stilrichtung, damit von vornerein klar wird, daß wir ein kulturell besetztes Land sind.“ Den Text für sein Deutschlandlied entlehnt Kunze einfach seiner aktuellen Single „Heul mit den Wölfen“: eine „Hymne für Wendehälse.“

DR. GEORO RINGSGWANDL

Arg irritiert reagierte der schräge Punk-Arzt aus Oberbayern auf unsere Offerte: „Das muß ein Irrtum sein. Ausersehen zur Erschaffung eines dergestalt dimensionierten Werkes sind die Priester ernsthaften deutschen Liedgutes, das heißt: alle außer Ringsgwandl – Tote Hosen, Remmler, Erste Allgemeine Verunsicherung etc.“ Beste Gelegenheit für die große Priester-Messe ist für Ringsgwandl „die Wiedervereinigungsfeier. Als Chor der Rest der Nationalen Volksarmee plus Bundesgrenzschutz und die Fischer-Chöre. Als Orchester die Berliner Philharmoniker plus James Last plus Ernst Mosch plus Max Greger. Dirigent ist Justus Frantz, der gleichzeitig dirigiert, Klovier spielt und singt, und zwar am gleichen Klavier wie Konstantin Wecker, der auch dirigiert, spielt und singt.“

WOLF MAAHN

Der engagierte Vegetarier schwört .auf einen flotten Charleston“, Hauptdarsteller in Maahns Hymnen-Video ist „immer nur Ludwig Erhard“. Die Erstaufführung seines Werkes will er „im Bundestag“ erleben. Das Hohe Haus müßte dann das Hohelied auf die große Kohle singen: „Deutschmark und Dollars und ein bißchen ‚Schützt den Wald‘.“