Element Of Crime


Wenn es um die Frage geht, wer Deutschland mit den besten Liedern versorgt, sind Element Of Crime die üblichen Verdächtigen. Unser Songkommissar Peter Felkel bat mit Sven Regener und Richard Pappik zwei Hauptverdächtige zum Verhör.

STOP! AUGENBLICK MAL! DAS IST JETZT SPASS, ODER? „NEIN, NEIN“, beteuert Sven Regener mit todernster Miene, aber einem verräterischen Funkeln in den Augen. „Es war wirklich so: Die Mitglieder von Element Of Crime haben sich kennengelernt, als wir vier uns gleichzeitig als Pächter für eine Tankstelle beworben haben. Hier in Berlin war das, nur ein paar Straßen entfernt.“ Okay, okay, und weiter? „Nun, den Job hat ein anderer bekommen, der einzige außer uns, der sich auch auf die Anzeige gemeldet hatte. Wir dagegen haben uns überlegt, was die Menschheit noch braucht außer Benzin. Die Lösung war: Musik.“ Spätestens jetzt ist es mit der Contenance aller Beteiligten vorbei. Schallendes Gelächter sorgt für irritierte Blicke der Mütter am Nebentisch, die offenbar um die Gemütsruhe ihrer Kleinen bangen. Ein Stück weiter hebt ein älterer Herr hinter seiner Zeitung indigniert eine Augenbraue.

Gläserklirren, Stimmengewirr, die plüschige, leicht angestoßene Eleganz von Sofas, Vorhängen und Teppichen, große Fenster, die den Blick freigeben auf einen verwilderten Garten: Das Cafe Einstein in Berlins Kurfürstenstraße könnte in seinem liebenswerten Fin-de-siecle-Charme einem Song von Element Of Crime entsprungen sein. Oder? „Vielleicht war’s ja auch umgekehrt“, schlägt Sven Regener vor und rätselt, wie oft er, als er noch ganz in Berlin lebte, eigentlich hier war. Und Richard Pappik, den es vor lahren der Liebe wegen in die ehemalige Frontstadt verschlagen hat, erinnert sich noch ganz genau, daß er mal eine italienische Freundin hatte, die hier ganz in der Nähe …. naja, gehört nicht hierher.

Aber man sieht: Für die Verabredung mit einer Hälfte jener Gruppe, für die selbst abgebrühte Journalisten schwärmen und dabei von einer „Band für Dichter und Denker“ und den „Kreuzrittern deutschen Liedguts“ schwafeln oder die „postmoderne Variante des europäischen Kunstliedes“ preisen und Vergleiche mit Tom Waits oder Kurt Weill anstellen, ist dieser Ort hier wie geschaffen. Regener und Pappik, die glücklicherweise so gar nichts Postmodernes-Kreuzritterhaftes an sich haben, sind geradezu entwaffnend gut gelaunt und ergänzen sich trefflich: hier der gesten- und wortreich Geschichten und Anekdoten erzählende Sänger Regener, dort der zurückhaltende, abwägende Schlagzeuger Pappik, ein völlig uneitks, intelligentes und ausgesprochen sympathisches Gespann, das sich gekonnt die Bälle zuspielt und gar nicht mehr aufhört zu erzählen.

Die Geschichte vom Ausflug nach London beispielsweise, wo die Band unter Anleitung des legendären John Cale einst ihr zweites Album („Try To Be Mensch“) aufnahm. „Zwei Tage vor dem Abflug bekam ich einen Anruf von John Cales Manager“, erinnert sich Sven Regener. „War ziemlich eigenartig.“ Besagter Anruf sollte die Krauts nämlich darauf vorbereiten, daß sie im feudalen Belsize Square Guesthouse logieren dürften und deshalb – bitte schön – darauf verzichten sollten, dort selbst „die Vorhänge abzureißen, auf den Teppich kotzen oder gar illegale Suchtmittel zu konsumieren“. Regeners Versicherung, daß „wir das ohnehin nicht so gerne tun“, beruhigte den nervösen Insulaner erst mal. Im Londoner Stadtteil Camden angekommen, staunte die deutsche Reisegruppe dann nicht

schlecht, als sich ihr Quartier als jugendherbergsähnliche Beinahe-Bruchbude entpuppte. Und warum die ganze fernmündliche Aufregung im Vorfeld? „Wir haben später herausbekommen, daß ein paar Tage vor uns die Happy Mondays hier residiert und den ganzen Laden komplett auseinandergenommen hatten. Meiner Meinung nach zu Recht“, feixt Regener. Doch auch Richard Pappik hat unvergeßliche Eindrücke von dem einwöchigen Aufenthalt in der Themse-Metropole mit nach Hause genommen. „Ich hatte ein Zimmer mit Jakob (Frükrichs, dem Element-Cikuristen; Anm. d. Red.), und der ist ein leidenschaftlicher Hobbykoch. Damit das mit dem Strom funktionierte, mußte man allerdings andauernd lO-Pence-Münzen in so einen Automaten werfen. Ich sehe lakob noch heute vor mir, wie er mitten in der Nacht in meiner Hose nach Coins kramt, weil er sich um halb zwei Uhr morgens noch etwas brutzeln will.“

Nicht allzu lange vorher, so Mitte der achtziger lahre, war es zur Gründung von Element Of Crime gekommen – ob so, wie eingangs beschrieben, sei einmal dahingestellt: mit Uwe Bauer am Schlagzeug (der nach dem Debütalbum „Basically Sad die Sticks an Richard Pappik weiterreichte), mit Paul „Veto“ Lukas am Bass (dem 1995 Christian Hartje folgte), mit Gitarrist Jakob II ja Friderichs und – last but not least – mit Sänger Sven Regener, der die Nase davon voll hatte, daß so um 1984 herum „jeder, der in C-Dur spielte, als Antichrist galt“. Seither sind 15 lahre ins Land gegangen, und mit Nächten in verwanzten Jugendherbergen und Tourneen in alten, klapprigen Kleintransportern, die schon mal von der Straße kippten, scheint es bei Element Of Crime ein für allemal vorbei zu sein. Nach 10 Alben und dem Aufstieg von der obskuren Underground-Band zur konsensstiftenden Lieblingsgruppe von Menschen mit den unterschiedlichsten musikalischen Präferenzen hat man sich bessere Hotels und komfortable Tourbusse weißgott verdient. Und wie sieht’s mit der Chemie in einer Band aus, die lange sinnstiftend am Hungertuch genagt, vieles gemeinsam durchgestanden und es jetzt endlich geschafft hat? „Ach, weißt du“, sagt Richard Pappik gelassen, “ 14, 15 lahre unterwegs sein und wirklich nicht den ganz großen Reibach machen, das würde nicht gutgehen, wenn wir bloß Geschäftspartner wären. Wenn man nicht auch zusammen vom Barhocker kippen und den Fußgeruch der anderen ertragen könnte, hätte das doch keinen Sinn.“ Und Sven Regener? Der sagt fast feierlich, doch frei von Pathos: „Ich liebe die Leute in dieser Band. Für mich sind die Elements nie Arbeit gewesen, nie ein Geschäft.“ Wie er das so sagt, nimmt man es ihm ab, Wort für Wort. Launige Bemerkung am Rande: „Am 1. Februar 1999 hatte ich Jubiläum: zehn lahre ohne Arbeit, ohne ein einziges Mal irgendeinen Scheißjob zu tun.“ Beneidenswerter Mensch.

Zeit, sich allmählich zum Kern der Sache vorzutasten, und der heißt im vorliegenden Fall „Psycho“ und ist das neue Album von Regener, Pappik & Co. Bekanntlich hatten Element Of Crime ihre chansoneske Phase 1994 mit „An einem Sonntag im April“ „ein bißchen an den Rand gefahren“, wie man es in Bandkreisen zu formulieren pflegt. Prompt waren „Die schönen Rosen“ 1996 ein großer Schritt zurück zum Rock. Und dann war erst mal nichts mehr, drei Jahre lang, für Element Of Crime eine sehr lange Zeit. Was war los? „Nun, du bringst eine Platte raus, dann machst du neTournee, spielst ein paar Festivals, und schon sind eineinhalb Jahre vorbei“, schildert Sven Regener den Gang der Dinge. „Und dann hatten wir eine Pause, was, wie ich glaube, bei einer Band, die neun Alben gemacht hat, auch legitim ist. Man muß auch mal fragen dürfen, warum überhaupt das Ganze? Nur zu sagen, wir brauchen Geld oder Hilfe, mir ist langweilig, laßt uns mal wieder eine Platte machen, so läuft das nicht, nicht bei Element Of Crime. Dazu war die Gruppe immer zu stilbewußt, zu wenig wurschtig.“

Okay, kapiert: Reflektieren ist wichtig, und dann bekommt einer wieder Lust, Songs aufzunehmen, ruft die anderen an und fragt: „Habt ihr nicht irgendeine Idee? Was? Ihr auch nicht?“, wirft Richard lachend ein. Sven beugt sich nach vorne und ist fortan nicht mehr zu bremsen: „Wenn man eine Idee für ein Lied hat oder einen Text oder einen Song, den man covern möchte, dann kann man jederzeit mit Element Of Crime ins Studio gehen, und es kommt was raus dabei. Das ist Magie und hat auch mit unseren Erfahrungen zu tun. Wir sind im lauf der Zeit eben nicht zu einer abgewichsten alten Band mutiert, sondern wir sind extrem frei, können in jede Richtung gehen, sind an keine Szene gebunden, sind niemandem verantwortlich, nur uns selbst. Wir mußten nicht mal einen Scheiß-Single-Hit haben, um okay zu sein. Das ist eine extrem privilegierte Situation.“ Aber um dahin zu kommen, bedarf es Können, Stehvermögen, Selbstvertrauen – und Glück. Hey, hört zu, ihr Bands da draußen, die ihr fortwährend eure Seelen verkauft, ständig neue Strategien zur Welteroberung entwickelt und einen Masterplan nach dem anderen entwerft! „Ha, Masterplan“, ätzt Regener, „wir haben bestimmt fünf Masterpläne, und die sind alle komplett fürs Klo.“ „An Plänen mangelt es überhaupt nicht“, pflichtet Pappik bei, „unsere Papierkörbe sind voll davon.“ Sie haben’s halt lieber spontan, nehmen hier einen Song von Udo Lindenberg auf, dort einen Schmachtfetzen der Bee Gees, da ein Lied von Schlager-Ikone Alexandra. Alles andere wäre Sven Regener und wohl auch den anderen Beteiligten „zu langweilig, zu buchhaltermäßig, zu abtörnend“.

Und dann kam der Tag, da man für die „Psycho“-Sessions ein kleines Studio in Weilerswist wählte. Nachgeborenen sei hiermit verraten: Weilerswist ist ein Kaff in der Nähe von Köln, wo man in puncto Freizeitgestaltung entweder den örtlichen Italiener besuchen oder sich auf der Hauptstraße von I,astwagen überfahren lassen kann. Im Dezember 1971 richtete die deutsche Kult-Gruppe Can im ehemaligen Kino des Ortes ein Studio ein, das sie – ach, ihr seligen Hippiezeiten! – auf den Namen „Inner Space“ taufte. Bekanntlich avancierte Can alsbald zur – neben Kraftwerk – einzigen deutschen Band von (verdientem!) Weltruf, deren Bedeutung für die Rockmusik und diverse neuere Spielarten vor allem im Dance-Bereich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Can revolutionierten die Studioarbeit, weil ihre oft stundenlangen Stücke meist beim kollektiven Improvisieren entstanden und anschließend auf plattentaugliches Format zusammengeschnitten wurden. Alle ihre Alben mit Ausnahme von „Out Of Reach“ sind auch heute noch uneingeschränkt zu empfehlen, und seit dieser Zeit sagt man vom Studio in Weilerswist, es habe magische Kräfte. Übrigens: Ende des Monats stehen Can nach vielen Jahren erstmals wieder gemeinsam auf bundesdeutschen Bühnen. Ende des rockgeschichtlichen Intermezzos.

WAS DAS ALLES MIT ELEMENT OF CRIME ZU TUN HAT? DAS WORT HAT Richard Pappik: „Ich bin ein großer Fan von Can und insbesondere von Schlagzeuger laki Liebezeit. Als lugendlicher bin ich der Band hinterhergetrampt, seit ich Jaki zum ersten Mal habe trommeln sehen. Das erste Can-Album ‚Monster Movie‘ war einfach mein ein und alles. Als dann vor zwei Jahren die Idee aufkam, sich das Studio mal anzusehen, sind wir an einem freien Tag hingefahren. War natürlich hochinteressant und spannend, das zu sehen und zu wissen, da haben meine Helden gearbeitet.“ Richards Augen glänzen, wie er da – kurzzeitig ganz Fan – sitzt und erzählt. Diesmal ist es Sven, der dem Gespräch wieder den Dreh ins Sachliche gibt: „Das Studio ist einzigartig, weil sich alles in einem Raum befindet. Man kann sich der Musik in keinem Moment entziehen.“ Hinzu kam eine veränderte Arbeitsweise: Tüftelten die Elements und ihr heimliches fünftes Mitglied – der Gitarrist, Produzent und Ex-John-Cale-Sideman David Young – in der Vergangenheit immer an mehreren Songs gleichzeitig, führ man diesmal quasi für jeden Song eigens nach Weilerswist. Mit dem Effekt, daß „unheimlich schnell und konzentriert“ gearbeitet, „viel experimentiert und ausgelotet“ wurde, die Band „völlig unvorbereitet“ in die Aufnahmen hineinging und bisweilen in einen regelrechten Rausch geriet. Oft genug sollen die Zeiger diverser Gerätschaften im roten Bereich kleben geblieben sein, so lautstark gingen die Herrschaften zu Werke. Schließlich, so Sven Regener, „war Element Of Crime immer eine Rock’n’Roll-Band. Lieder wie ‚So wie du‘ oder ‚Ferien von dir‘, das ist unsere Art von Rock’n’Roll“.