Eloy


1978 sollte das Eloy-Jahr werden. Die Umsätze ihrer LP „Ocean“ und die des Vorgängers „Dawn“ zeugten von einem erstaunlichen Popularitätsgrad. Euphorisch bereiteten die fünf aus Hannover mit Riesenaufwand ihre Deutschlandtournee vor, die sie nun endgültig im erlauchten Kreise der respektierten deutschen Acts etablieren sollte. Doch wie es schien, droht all der sorgsam konstruierte Bombast im Konzertsall über ihnen zusammenzubrechen.

Götterdämmemng in Mainz: es war als hätten sich die Geister von Atlantis und Altägypten, die Eloy für ihr aktuelles Album „Ocean“ auferstehen ließen, gegen die hannoversche Gruppe verschworen. Weder „Goldregen“ noch Magnesiumbomben durften gezündet werden. Die feuerpolizeilichen Auflagen für die Rheingold-Halle waren aber nicht der einzige Abtörn des Abends. Frank Bornemanns Gitarrenverstärker brannte gleich zweimal durch, und der PA-Mixer zerhackte die hochtrabenden Lyrics aus der Feder von Jürgen Rosenthal zu einer lachmuskelreizenden Wortsuppe. Es scheint indessen nicht nur die „Tücke des Objekts“ zu sein, die der Gruppe bei der Verwirklichung eines ihrem Studiosound entsprechenden Live-Programms hinderlich im Wege steht.

Optimismus

Hier, auf offenener Bühne, rächt sich vielfältig, was Frank Bornemann und seine Mannen nicht wahrhaben wollen und schließlich nur ungern zugeben! Eloy haben sich mit ihrem Konzept, einer gewagten Promenadenmischung aus Mythos und Technologie, hoffnungslos verheddert. Die geplante Veröffentlichung eines Live-Albums könnte diesen Mißstand für alle offenkundig machen.

Empfindlich reagieren die Gruppenmitglieder auf Fingerzeige in dieser Richtung. Vor allem Jürgen (drums) und Klaus-Peter „Matze“ Matziol (Baß) sind unbeirrbar in ihrem Optimismus, daß Eloy’s „konzertante Rockmusik“, die, so Frank, einen romantischen Touch hat, verträumt ist und Kopf und Gefühl gleichermaßen ansprechen soll, die Welt erobern wird. Bislang scheint ihnen der Erfolg rechtzugeben: von ihrer LP „Dawn“ und deren Nachfolger „Ocean“ wurden zusammen über 150.000 Stück verkauft. Eloy-Fans, während des Konzertes in Mainz befragt, was die Songs dieses Quartetts bei ihnen an Gefühlen auslösen, meinten: „Ich entspanne mich bei dieser Musik“ (ein etwa 17jähriges Mädchen), oder: „Ich lege ihre Platten zu Hause auf wenn, ich in mieser Stimmung bin, dann laß ich den Sound so richtig in mich ‚reinlaufen.“

Durchhänger

Das Publikum ist beim Konzert eher indifferent als enthusiastisch. Egal, ob sich Eloy bei den „up-tempo“ Passagen von „Poseidon’s Creation“ oder „Dance in Doubt and Fear“, meiner Meinung nach eins ihrer besten Stücke, zur Tagesbestform aufrappeln oder Frank von Synthesizergelispel und pseudosakralen Orgeltönen begleitet, uralte Menschheitsgeheimnisse ausflüstert, die Leute verharren in Durchhängerpose. Applaudiert wird brav und gepfiffen wird nur, wenn Eloy in ihrer Kulturgeilheit den Bogen überspannen: das weihevoll rezitierte Gedicht „Morgendämmerung“ („L‘ Aube“) des französischen ‚poete maudit’Arthur Rimbaud (1854-91), überfordert auch die Geduld der engagiertesten Fans. Zum Schluß, es ist inzwischen „13 P.M. Gregorian Earthtime“, richten die Götter ihre Spezialrakete auf die Erde. Dieses Geschütz wird – „especially“ – gelenkt von „Emnasut – the first genius of the sunsphere und noch drei anderen Hausgöttern aus Eloy’s Pantheon. Erich von Däniken was here!

Nach dem Konzert zeigen sich die Vier ratlos und niedergeschlagen. Detlev Schmittchen zeigt erste Anzeichen von Tournee-Streß, sein Kreislauf rotiert. Die Diskussion während des Essens entzündet sich, wie erwartet, an den Pannen des vorhergegangenen Konzertes. Besonders Frank tut mir leid, denn seine überschäumenden Erwartungen haben einen herben Dämpfer abgekriegt. In Hannover war von einer außergewöhnlichen Laser-Show und von eingeblendeten Filmsequenzen, die die atlantischen Flutwellen auf die Leinwand bringen sollten, die Rede gewesen. Die Filme sind aber nicht mehr fertig geworden, und der Mann an der Laserkanone war neu und dementsprechend unbeholfen.

Ersatzreligion

Ich fragte: „Wieso eigentlich immer dieser Wechsel von prätentiös-lyrisch-ruhigen Passagen zu pathetischen Crescendi mit sich überschlagendem Orgeleinsatz und theatralischen Paukengewittern?“ Das ist eine schwarz/ weiß-Dynamik, ohne die offenbar Rosenthals heroische Lyrics nicht zur Geltung kommen. Jürgen erklärt, er wolle mit einem konzertanten Sound in der Rockmusik das erreichen, was die großen Symphoniker des 19. Jahrhunderts im Bereich der E-Musik geschaffen haben. Dahinter steht eine etwas verquaste Philosophie, der Eloy’s Percussionist einige Seiten im sogenannten „Prolog“ zum „Ocean -Album widmet. Für die Richtigkeit eines Gymnasiasten-Eklektizismus, der sich da eine Art Behelfsreligion zur Errettung der Menschheit zusammenzimmert, werden Platon, Sophokles, Pindar, Pythagoras, aber auch Sartre und die Pharaonen als Eideshelfer auf den Plan gerufen.

Wortkomik

Die Gruppe hat sich in ihren Möglichkeiten, ein derartig umständliches und ehrgeiziges Lyric-Programm in Musik umzusetzen, schlechthin übernommen. Mühsam wurden zudem die tiefschürfenden deutschen Texte in ein hölzernes Englisch übertragen. Für das anglophone Publikum (Eloys Platten werden auch in Amerika veröffentlicht) geht daher manches ernsthafte Anliegen der Gruppe in ungewollter Wortkomik unter.

Frank Bornemann gibt schließlich zu, daß Eloy mit ihrem Missionseifer in eine Sackgasse geraten sind. Der Mangel an persönlichen Erfahrungen in Texten, die sie dem angeblichen Marktgesetz folgend noch nicht einmal in ihrer Muttersprache verfassen, die humorlose Schwerblütigkeit, der monolithische Pomp,die psychedelischen Klangmalereien, die über die Seelenlosigkeit ihrer Musik hinwegtäuschen sollen, dies sind Probleme, denen sich die Gruppe stellen muß. Hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, ihr Heil in „Materialschlachten“ zu suchen und einer Musik mit menschlicheren. Zwischentönen, hat sich Frank entschlossen, ein Soloalbum aufzunehmen. „Mit viel akustischer Gitarre,“ sagt er.