„England Ist Sauöde“


"... und moderne Musik ist scheiße!" Anti-Haltung? Aber klar. Resignation? Aber nicht doch! Jamie T sieht seine betrübliche Bestandsaufnahme als Aufgabe, dem ungeliebten Status quo etwas entgegenzusetzen. "Etwas Neues, Großartiges!" Etwas wie sein zweites Album Kings & Queens.

Zosch! Jamie T öffnet sein drittes Bier an diesem Nachmittag. Wir sind soeben von der Dachterrasse des Kölner EMI-Towers vor dem einsetzenden Gewitter in den Raum geflüchtet, wo er sein Reisegepäck – eine abgewetzte lederne Umhängetasche – abgestellt hat. „Guck dir das an, das ist alles, was ich unterwegs dabeihabe. Das ist derzeit mein Leben.“ Dann, als fiele ihm auf, dass er gerade etwas selbstmitleidig geklungen hat, bemüht er sich, den Eindruck sofort wieder zu korrigieren: „Aber ich liebe das so. “ Er zündet sich eine Benson & Hedges an, fläzt sich aufs Sofa und zeigt auf die Bilder an der Wand: „Art or crapf, fragt er rhetorisch mit seinem ruppigen Londoner Pommesbuden-Akzent, nur um sich selbst rasch mit „probably crap“ zu antworten. Dann nimmt er einen beherzten Schluck Bier, rülpst und wirft sich wieder ins Sofa zurück.

Was für eine Fresse, ach, was für ein Typ! Am liebsten möchte man sich Jamie T packen und mit ihm auf der Stelle eine englische Arbeiterklassenkomödie drehen. Mit seiner halb kindischen, halb angeberischen Rotzlümmel-Art hat der 23jährige James Treays aus dem bürgerlichen Wimbledon seine Landsleute vor gut zwei Jahren im Sturm erobert: Auf PANIC PREVKNTION, dem an allen Enden rappelnden Debüt, kombinierte er seine Liebe zu frühem Reggae und Ska mit der straßenklugen Raubeinigkeit eines Joe Strummer, der Folk-Punk-Attitüde eines Billy Bragg und dem Eklektizismus von Beck und den Beastie Boys. Doch es waren mindestens so sehr seine alltagsprallen Texte über lange Londoner Nächte, die ihn zum Liebling aller coolen Mädchen mit Gitarrenband-Überdruss machten-und die ihm arg oberflächliche Vergleiche mit anderen nationalen Pop-Heiligtümern wie Mike Skinner alias The Streets oder Lily Allen einbrachten.

Treays schrieb sein Debüt, das er mit seinem Kumpel Ben Bones kostengünstig zu Hause aufnahm, noch als Teenager in seinem Jugendzimmer. Entsprechend verwirrt war er, als dann der große Erfolg über ihn hereinbrach: „Calm Down Dearest“ wurde ein Top-10-Hit, das Album vergoldet, und für den Mercury Award war er auch noch nominiert. Mancher, der damals zu einem seiner Konzerte ging, rechnete mit einer Bauchladung des hochgejubelten Debütanten, doch die Shows gehörten zum Erfrischendsten, was man in den vergangenen Jahren auf der Bühne erleben konnte – auch wenn seine Band, bestehend nur aus „best friends“, den Eindruck einer wandelnden Selbsthilfegruppe für Grasund Playstation-süchtige Kapuzenpulliträger erweckte. Aber spielen konnten die Burschen, dass es eine echte Freude war: Fast alle Songs wurden doppelt so schnell serviert, und zwischendurch parlierte Treays charmant und ungestüm mit seinem Publikum.

Nach der Tour jedoch fühlte Jamie T sich ausgebrannt: Er kam nach Hause und stellte fest, dass dort kein Leben, kein Alltag auf ihn wartete. Er kaufte sich ein Haus in Wimbledon und versuchte, sich auszuruhen. Doch schon nach einem Monat sprudelte er wieder über vor neuen Songs. Wie so oft bei Jamie T war er auf neue alte Musik gestoßen, die ihn begeistert und inspiriert hatte. Diesmal aber war es ein besonders schwerwiegender Fall -Jamie T hatte Bob Dylan entdeckt. Er grinst begeistert und zeigt seine schiefen Zähne:

„Die Leute haben mir jahrelang Scheiße über Dylan erzählt: dass er nicht singen kann usw. Und dann gab es diesen Moment, es war ein Zufall, wie so oft, und er hatte mich am Haken.“ Es war Dylans zweites Album THE FREEWHEELIV BOB DYLAN, das ihm den Einstieg in die alles erklärende Wunderwelt Dylans verschaffte. „Was ich daran liebe, ist, dass er so dreist, so vorlaut und so jung ist. Er verarscht sie alle, aber die Leute kapieren die Ironie bei Dylan meistens nicht. Er hat die Situation, in der er sich damals befand, genau durchschaut: Er sollte ein Sprachrohr sein. Und damit hat er gespielt.“

Ob er einen Lieblingssong hat? Treays muss nicht lange überlegen: „,Bob Dylan’s Blues‘: (fängt an zu singen) ,Well, The Lone Ranger and Tonto / They are ridin‘ down the line I Fixin‘ everybody’s problems / Everybody’s except mine / Somebody musta tol’em / 1 was doin‘ fine.‘ Er ist so ein faszinierender Charakter, von dem Kaliber gibt’s ja nichtviele. Ich liebe die Tatsache, dass niemand wirklich weiß, wer Bob Dylan eigentlich ist“.

Bob Dylan, die Specials, The Clash, amerikanischer Post-Punk und alter HipHop: Jamie Ts Inspirationsquellen verweisen alle in die Vergangenheit, da verwundert es schon, dass er es schafft, so frisch zu klingen, dass man fast geneigt ist, seine Musik für etwas halbwegs Neues zu halten. Das liegt vor allem an dieser unglaublichen Leichtigkeit und Selbstverständliclikeit: KINGS & QUEENS ist deutlich songorientierter als der Vorgänger – und trotzdem ist es eine der tanzbarsten britischen Pop-Platten seit Langem. Vor allem vor dem Hintergrund der nicht eben unangestrengten Versuche britischer Indie-Streber wie Maximo Park und Franz Ferdinand, ihren nachgebastelten Waverock schwärzer und discoesker – und damit sinnlicher – klingen zu lassen, begeistert die Dreistigkeit und Nonchalance, mit der Jamie T schwarze Rhythmik und britische Plaudertaschenlieder Petting betreiben lässt. Auch wenn das Ergebnis natürlich ein ganz anderes ist.

Aber wie kann es sein, dass ein 23-Jähriger so gar nichts mit zeitgenössischer Musik anfangen kann? Jamie T versucht eine typische Erklärung:

„Vielleicht liegt es ja daran, dass moderne Musik scheiße ist (lacht). Es ist aber auch so leicht, sich in die alten Sachen zu versenken, du kannst da ganze Welten entdecken. Als ich 15 war, gab mir James, mein Bassist, eine Desmond-Dekker-Platte. Dann entdeckte ich Don Drummond. Ich war verfickte IS Jahre alt, hörte dieses Zeug und bin durchgedreht! All meine Freunde rannten in Nirvana-Shirts rum, und ich habe von Ska gepredigt das macht einfach viel mehr Spaß. Und wenn man einmal angefixt ist, findet man ja auch kein Ende. Ich habe immer noch nicht den Anschluss ans Heute gefunden, aber ich versuch ’s.“ Zosch! Das nächste Bier. Es ist aus hiesiger Perspektive nahezu unmöglich, Jamie Ts Musik nicht als Londoner Schmelztiegel-Pop zu hören und somit als durch und durch englisch zu empfinden – zumal bei diesen schnappschussartigen Texten aus dem englischen Alltag. „Meine größte Sorge ist, dass sich in England alle mehr und mehr zu Tode langweilen“, nuschelt Treays mit der nächsten Zigarette zwischen den Lippen. “ Mit Langeweile kommen viele sehr schlechte Sachen. England ist gerade extrem öde, aber aus dieser Ödnis kann, um es positiv zu sehen, nur etwas Neues, Großartiges entstehen. Es ist ein ganz natürlicher Prozess: Etwas bricht zusammen, und etwas Neues entsteht, ich glaube, an so einem Punkt sind wir gerade. Aberim Momentist es nur sauöde.“

Auch dieses Mal war wieder Jamies alter Freund Ben Bones extrem wichtig für das Album. Außer den beiden wurde wieder niemand ins Studio gelassen – von einem von Stephen Street produzierten Song abgesehen:

„Ben hat mir all das technische Gerät beigebracht. Er hat mir Logic(ein Computerprogramm zum Aufnehmen, Bearbeiten, Mischen und zur Notation von Musik – Anm. d. Red.) erklärt, womit ich ja meine Platten produziere. Er ist einer der wenigen, die sofort verstehen, was ich will, was ich meine, welchen Klang ich suche usw. Ben ist mein bester Freund, mit ihm zusammen erlebe ich meine euphorischsten Momente, l’m Robin andhe’s Batman.“

Mit seinen Band-Kumpels im Studio zu arbeiten, kam für den Einzelgänger nicht in Frage: „Ich bin noch nicht so weit. Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, wie man sich als Teil einer Band verhält. Ich bin gerne mit meinen Jungs auf Tour, wie gesagt, sie sind meine besten Freunde. Aber ich brauche es auch, allein zu sein. Und kreativ sein kann ich – außer mit Ben – sowieso nur allein. Ist eben so. Ich muss mein Ding durchziehen. “ Man hatte es natürlich längst geahnt: Bei Jamie T ist es wie bei allen wirklich Guten. Er kann schlichtweg nicht anders.