Es ist der Song, der zählt


Er ist die Antithese zum "Star", für dessen 15 Minuten Ruhm manchmal allein ein bisschen Medienpräsenz ausreicht. Will Oldham aka Bonnie "Prince" Billy ist ein Star in his own right, in gewissem Sinn auch hoffnungslos altmodisch, weil er sein Werk über seine Person stellt.

Der Prince ist ungehalten. Sehr ungehalten. Gerade eben ist er zur Tür des Berliner Büros seines Plattenlabels Domino hereingekommen – das er vor etwa 25 Minuten zusammen mit Fotograf Erik Weiss und dessen Assistenten verlassen hat. Weiss hatte hier im Stadtteil Prenzlauer Berg einen alten Hinterhof entdeckt, der ihm als perfekte Kulisse für das Fotoshooting mit Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy erschien. Jetzt, eine knappe halbe Stunde später, scheint die Fotosession schon beendet zu sein. Oldham steht wie Rumpelstilzchen mit hochrotem Kopf in der Mitte des großzügigen Vorraums, der als Küche, CD- und LP-Lager dient, und lässt einen Monolog an Hasstiraden auf die Institution „Fotosession“ ab. Wie unangehm er sie fände und wie peinlich und überhaupt: „Ich hasse Fotosessions!“ Das Publikum – Mitarbeiter von Domino und Journalisten – schaut bedröppelt aus der Wäsche. Bonnie „Prince“ Billy gilt als schwieriger Fall im Umgang mit den Medien. Ja, er hasst Fotosessions, das wissen wir jetzt. Und Interviews kommen gleich danach. Will Oldham, der bedeutendste Singer/Songwriter seiner Generation, ist die Antithese zum neuzeitlichen „Star“, für dessen 15 Minuten Starruhm manchmal allein ein bisschen Medienpräsenz reicht. Oldham ist ein Star in his own right, in gewissem Sinn auch hoffnungslos altmodisch, weil er sein Werk über seine Person stellt und weil er seine Person zu verstecken versucht. Was ihm mit seinem mächtigen Vollbart nur unzureichend gelingt, mit den zahlreichen Pseudonymen, denen sich der Musiker Oldham bemächtigt (hat), umso mehr: Palace, Palace Brothers, Palace Music, Palace Songs, Bonnie „Prince“ Billy, Bonny Billy. “ Es muss eine Distanz und einen Unterschied zwischen dem Sänger und dem Menschen geben“, wird er später im Interview sagen. Und die Persona Bonnie „Prince“ Billy „ist eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen den beiden zu erkennen“. Warum, fragt man sich, tut er sich das dann alles an. Den Medienzirkus? Die Interviews? Die Fotosessions? Das ganze verhasste Zeugs, das nichts mit seiner Musik zu tun hat? Oldham unterscheidet zwischen „little records“ und „big records“. Sein aktuelles Album BEWARE ist eine „big recom. Und er möchte seinen Labels – Drag City in den USA und Domino in Europa – den Gefallen tun, die „big records“ zu promoten.

Will Oldham wird am 24. Dezember 1970 in Louisville, Kentucky, geboren. Als Kind fängt er mit der Schauspielerei an. Ende der 80er-Jahre geht er nach Hollywood. Nach einer kleineren Rolle in dem Bergarbeiterdrama „Matewan“ (1987) bekommt er zwei Hauptrollen in den Filmen „Everybody’s Baby: The Rescue Of Jessica McClure“ (1989) und „Thousand Pieces Of Gold“ (1990). Danach hängt er die Schauspielerkarriere an den Nagel. Er ist desillusioniert vom Traumberuf, will mehr Kunst und weniger Business. Das aber kann ihm Hollywood nicht bieten – erst seit Mitte des aktuellen Jahrzehnts dreht Oldham wieder (Independent-) Filme, darunter „The Guatemalan Handshake“ (2006) und „Old Joy“ (2007). Im Sommer 1992 zieht er nach Bloomington, Indiana. Sein Freund Todd Brashear aus Louisville-Tagen ermuntert ihn, Musik zu machen. Oidham nimmt zahlreiche Songs auf und schickt ein Demo an vier Labels. Eines davon, Drag City aus Chicago, nimmt ihn unter Vertrag. Seine ersten Platten erscheinen unter dem Namen Palace (Brothers/Music/Songs) und werden wegen ihrer DIY-Ästhetik sofort in die gerade aufgemachte Schublade LoFI gesteckt. Ende der 90er-Jahre erfindet Oldham das Alter Ego Bonnie „Prince“ Billy, das gleichermaßen auf den britischen Exil-THronanwärter Bonnie Prince Charlie (1720-1788), den Outlaw Billy The Kid, bürgerlich William Bonney (1859-1881), und den amerikanischen Jazzsänger Nat „King“ Cole (1991-1965) zurückgeht.

Am Ende von Oldhams Entwicklung vom LoFi der Palace-Tage über den frühen Bonny Billy mit seinem fragilen Minimalismus bis hin zum teilweise manierierten Country der jüngeren Vergangenheit steht Bonnie „Prince“ Billy als Referenzmodell des zeitlos-klassischen Singer/Songwriters – man ist versucht, die im Wochenrhythmus annoncierten neuen, hoffnungsvollen Singer/Songwriter dem unfairen und popkulturfaschistischen Oldham-Test zu unterziehen: Was kann Bonnie „Prince“ Billy, was der nicht kann? Die Antworten sind immer die gleichen: Songs schreiben. Melodien, Arrangements und Texte. Vor allem Texte, die über dem Befindlichkeitsblues des Standard-Folk-Sängers stehen. Oldhams Kunst ist formvollendet auf dem 2003er Album MASTER AND EVERYONE zu bewundern, einem zerrissenen Folkalbum von minimalistischer Schönheit und maximaler existenzialistischer Aussagekraft.

Im Interview spricht Will Oldham langsam und bedacht. Seine Sprache wirkt wohlüberlegt, fast konstruiert, so dass ihm die Worte, die er wählt, nicht immer sofort einfallen.

Du magst Interviews nicht.

Das ist das erste Mal in fünf Jahren, dass ich wieder eine Reihe Interviews gebe. Ich kann Fotoshootings nicht ausstehen. Sie können überhaupt nichts von der Musik vermitteln. Ein Interview ist in dieser Hinsicht viel wichtiger, weil es Inhalte vermittelt. Die Fotogeschichten führen in die falsche Richtung, weil sie sich in keiner Weise auf die Musik beziehen. Jedesmal wenn ein neues Shooting angesetzt ist, wenn ein neues Foto von mir in den Magazinen veröffentlicht wird, bedeutet das, dass ich härter arbeiten muss, um die seltsame Verstörung zu überwinden, die mich befällt. Das ist mein Problem, (lacht) Interviews genieße ich größtenteils, aber ich finde sie auch sehr erschöpfend. Ich werde in den Tagen danach von Selbstekel und Selbsthass erfüllt. Interviews sind wie seltsame kleine One-Night-Stands. Es ist nett, es ist irgendwie intim, aber es entwickelt sich nichts daraus. Das verunsichert mich manchmal.

Du hast deine Schauspielkarriere dann 1989 an den Nagel gehängt. Warum?

Zu dieser Zeit wurde ich mit der Realität des Schauspielerlebens konfrontiert. Es schien im krassen Gegensatz zu stehen zu dem, was ich mir vorgestellt habe. Danach habe ich gelernt, damit umzugehen.

Vorher hatte ich gewisse Vorstellungen und Träume, wie das Schauspielerleben aussehen würde, und ich musste feststellen, dass diese nicht mit der Realität übereinstimmten. Innerhalb der Grenzen von Regie und Schnitt konnte ich keine Freiheit finden. Ich wusste, dass ich damit aufhören musste.

Du drehst seit 2003 wieder regelmäßig Filme …

… regelmäßig unregelmäßig.

Was hat dich bewogen, wieder anzufangen?

Leute, die ich kannte, haben mich gefragt, ob ich mit ihnen zusammen was machen würde. Ich glaube, ich arbeite nicht sehr gut, wenn Mittelsmänner eingeschaltet werden. Die sind aber die Grundvoraussetzung für viele Arten des Schauspielerns.

Dann hast du dich entschlossen, Musiker zu werden.

Als ich zwischen 19 und 22 Jahre alt war, hatte ich keine Vorstellung davon, was ich einmal werden sollte. In diesen Jahren rügten sich bestimmte Dinge. Ich hatte ja schon eine Vergangenheit in der Musikszene von Louisville. Ich hatte zwar keine Musik gemacht, aber ich war immer mit Bands zusammen – bei Proben, Aufnahmen Konzerten -, habe mit ihnen Musik gehört, mich über Musik unterhalten. Ich habe das alles aufgesaugt. Und da haben die Leute zu mir gesagt, wenn du nicht weißt, was du tun sollst, kannst du mit mir ein bisschen an meiner Musik arbeiten. Oder: Warum schreibst du keinen Song? Irgendwie habe ich gelernt, Songs zu schreiben und Gitarre zu spielen und diese Songs zu singen. Eines Tages, als wir ein paar Songs aufgenommen hatten, schickte ich sie mit einem Begleitschreiben an ein paar Labels. Und Drag City schrieb zurück: „Wir würden gerne eine Single mit dir machen.“ Ein paar Monate später fragten sie mich, wann ich ein Album machen würde. Das war unglaublich, (lacht) Die frühen Palace-Aufnahmen klingen sehr lofi. War das eine Notwendigkeit aus Geldmangel oder ein künstlerisches Statement?

Es war eine Notwendigkeit. Mir war ja damals nicht einmal bewusst, dass diese Musik einen LoFi-Aspekt hatte. Das war der beste Sound, den wir erreichen konnten.

Die Journalisten haben gleich ein Genre daraus gemacht.

Richtig. Damals wie heute hör(t)e ich so viel unterschiedliche Musik, bei der auch die Qualität der Produktion sehr unterschiedlich ist. Und jemand wird dir erzählen, dass das daran liegt, dass die Produktion sehr teuer oder sehr billig war, oder lofi. Bedeutet das dann, dass meine Emotionen lofi sind, wenn ich diese Musik höre? Das ergibt keinen Sinn.

Ist Bonnie „Prince“ Billy eine Rolle, die du verkörperst? In mancher Hinsicht ähnelt es ganz bestimmt einer Rolle. Die Songs sind geschrieben, und sie verändern sich nicht mehr. Zumindest verändert sich der Text nicht mehr. Bonnie „Prince“ Billy muss als Rolle angesehen werden, weil er vorgefertigte Worte interpretiert. Es ist nicht der spontane Ausdruck auf sprachlicher Ebene.

Ist es schwerer, vor einer Kamera zu schauspielern oder auf der Bühne?

Vor einer Kamera zu schauspielern, ist eine äußerst unbefriedigende Erfahrung. Weil die Szenen zerhackt sind. Es gibt keine Kontinuität, nicht einmal innerhalb ein und derselben Szene. Bei Filmaufnahmen stehen viele Leute herum, und es herrscht immer Kostendruck. Wenn du einen Fehler machst, heißt es: Wie viel wird das kosten? Eine Rolle auf der Bühne zu spielen, zieht viel mehr nach sich, als eine vor der Kamera zu spielen.

Ist die Persona Bonnie „Prince“ Billy ein Mittel, um die Distanz zwischen dem Menschen Will Oldham und der Bühnenperson zu wahren?

Es ist eine Art, den Unterschied zwischen den beiden zu erkennen, und zwar zu Bedingungen, die dem Hörer vertraut sind. Es muss einen Unterschied zwischen dem Sänger und dem Menschen geben, und das muss dem Publikum bewusst sein. Es gibt einen Unterschied zwischen singen und eine Straße entlanglaufen. Oder so: Wenn ich meine Mutter anrufe, tut das nicht die Person, die die Lieder singt. Wir können intime Beziehungen mit der Musik haben, aber nicht mit den Musikern. Für den Fall, dass ich mit dem Publikum darin übereinstimme, mit wem es diese intime Beziehung haben kann, gibt es Bonnie „Prince“ Billy.

Glaubst du, dass es möglich ist, den Künstler unabhängig von seiner Kunst zu sehen?

Texte und Aufnahmen können nicht zu jeder Zeit gleichermaßen wahrhaftig sein. Ihre Wahrhaftigkeit und Intensität nimmt zu und ab im Verhältnis zum Künstler. Zum Beispiel: David Bowie. Ich bin nicht unbedingt fasziniert von den Arbeiten, die er in den vergangenen 20 Jahren gemacht hat. Manchmal frage ich mich, ob ich deshalb die Qualität von HUNKY DORV in Frage stellen soll? Und sollte ich meine Beziehung dazu in Frage stellen? Manchmal weiß ich selber keine Antwort darauf. Manchmal denke ich, dass seine frühen Sachen in Misskredit gezogen werden von den Dingen, die er später gemacht hat. Und das ist ein Jammer. Manchmal höre ich die Songs und bin total hingerissen von ihnen, von der Macht, die sie auf mich ausübten, als ich sie zum ersten Mal gehört habe. In diesem Sinn: Ist David Bowie heute noch derselbe Künstler, der 1971 HUNKY DORY veröffentlicht hat?

Das glaube ich nicht.

Deshalb muss es einen Unterschied zwischen dem Künstler und seinem Werk geben.

Bowie ist heute nicht einmal mehr derselbe Mensch.

Richtig. Ich fühle mich immer noch verbunden mit dem Künstler, der ARISE THEREFORE und I SEE A DARKNESS aufgenommen hat. Es ist möglich, dass ich eines Tages diese Verbundenheit nicht mehr spüren werde. Ich weiß es nicht, und ich hoffe es nicht. Ich mag mich manchmal (lacht), und ich mag diese Arbeiten. Es könnte alles passieren, zum Beispiel könnte es bei jedem Künstler zu einer physiologischen Veränderung kommen. Oder zu einem Trauma, das mit seiner Familie oder seiner Beziehung zu tun hat, etwas, das ihn komplett verändert, so dass er nicht mehr länger derselbe Künstler ist. Die Arbeit eines Künstlers muss sicher vor solchen Veränderungen sein.

Manche Leute halten deine Version von R. Kellys „The World’s Greatest“ für Ironie. Du hast den Song gecovert, weil er ein guter Song ist?

Das stimmt.

Dasselbe gilt für Mariah Careys „Can’t Take That Away.“ Passiert es häufiger, dass die Leute deine Intentionen missinterpretieren?

Das passiert manchmal. Der Mariah-Carey-Song ist ein cooles Beispiel. Ich habe ihn vor ein paar Jahren mit dem HipHop-Produzenten Buddah Monk aufgenommen, für die Compilation GUILT BY ASSOCIATI-ON. Jahre später war die Compilation immer noch nicht veröffentlicht. Ich mochte die Aufnahme aber, deshalb nahm ich sie auf die B-Seite einer 7-Inch, ohne Credits, so dass nicht ersichtlich wurde, dass das ein Mariah-Carey-Song ist. Ich dachte, es würde Mariah Carey nicht viel ausmachen, weil die Tantiemen aus der Veröffentlichung einer B-Seite auf einer Bonnie-„Prince“-Billy-Single vernachlässigbar sind. Die Leute hörten den Song und mochten ihn, aber keiner kannte das Original. Ein halbes Jahr später wurde die Compilation dann veröffentlicht, und die Leute erfuhren, dass es ein Mariah-Carey-Song war. Manche fanden ihn dann immer noch gut, andere aber waren verärgert und fühlten sich betrogen, wieder andere waren der Meinung, dass da Ironie im Spiel war. Für mich ist „Can’t Take That Away“ einfach ein starker Song, vor allem im Zusammenhang mit Mariah Careys Erfolg und ihrem Kampf mit ihrer musikalischen Identität. Er entstand, als sie diesen schrecklichen Nervenzusammenbruch hatte. Als ich vor diesem Hintergrund den Song hörte, dachte ich, oh, das ist so heftig, einfach unglaublich. Wenn Britney Spears einen Song schreiben würde, der ihren Wahnsinn widerspiegelt, wäre das großartig, im Gegensatz zu dem Mist, den sie veröffentlicht. Ich glaube aber nicht, dass sie so ein tiefgründiger Charakter wie Mariah Carey ist.

Was fasziniert dich so an R. Kelly?

Für ihn gilt wie für die meisten Musiker, die ich sehr verehre und innig liebe: Ich weiß es nicht. Manche Musiker gehen übers rationale Denken hinaus und direkt in mein Herz und in meine Seele. Ich vertraue ihnen, obwohl ich weiß, dass es Menschen sind, die jede Menge Fehler haben. Mich fasziniert fast jeder Song von R. Kelly, weil es immer wieder diese Wendungen gibt auf einem Kurs, der einen Flow hat.