Liveeindruck

Haken und Arschtritte: Ich war bei einem Faber-Konzert, ohne einen einzigen Song zu kennen


Indie, Folk, Klezmer, Balkanfolklore: Faber macht live und auf seinem kommenden Debüt etliche Schubladen auf, um selbst bloß in keine reinzupassen. Ein erster Eindruck.

Ein undankbarer Vergleich muss vorneweg genannt werden: AnnenMayKantereit. Wer Faber, so wie ich, erst dieser Tage zum ersten Mal hört, denkt unweigerlich an die ehemalige Schülerband aus Köln. Nicht wegen der Musik: AnnenMayKantereits Abiturienten-Poprock könnte nicht weiter weg sein von Fabers Roadmovie-Folklore, die er einem auf seinen Konzerten auch ohne ein einziges Album anderthalb Stunden um die Ohren und ins Mark haut. Nein, es sind bloß drei Äußerlichkeiten, aber dafür sehr markante: AMK-Sänger Henning May und Julian Pollina, wie Faber eigentlich heißt, sind beide Anfang 20, tragen braungelocktes Haar und singen wie alte Säcke, die schon alles erlebt haben. Während bei May aber nur die Stimme beeindruckt, beeindrucken bei Faber auch Texte, Attitüde und Werdegang.

Seine rastlose Musik und seine bisherigen Stationen lasse nur einen Schluss zu: Faber ist ein streunender Hund. Als Sohn des italienischen Liedermachers Pippo Pollina kommt er schon früh mit Musik in Berührung und lässt sie nicht wieder los. Nach der Schule, Julian Pollina besucht das Musik-Gymnasium an der Kantonsschule Stadelhofen, hängt er für ein paar Monate bei seinem Onkel auf Sizilien ab, danach tritt er in seiner Schweizer Heimat Zürich in italienischen Restaurants und auf Hochzeiten auf. 2013 lernt er seine Landsfrau Sophie Hunger kennen. Die nimmt ihn mit auf Tour, und von dort an geht alles ganz schnell. Die Berliner Bookingagentur Landstreicher Booking (K.I.Z., Casper, AnnenMayKantereit, Kraftklub, Milky Chance) nimmt ihn unter Vertrag, bucht ihn ins Vorprogramm von AnnenMayKantereit und auf etliche Festivals. Nach zwei EPs bringt Faber am 7. Juli 2017 sein Debütalbum SEI EIN FABER IM WIND heraus. Und wer nur ein paar der bisherigen und neuen Songs live erlebt, der ahnt: Nicht jeder wird Faber mögen, aber jeder sollte diesem Kerl mal zugehört haben.

Am Dienstag spielte Faber ein zweites ausverkauftes Konzert im Berliner Columbiatheater innerhalb weniger Tage. Seine Liveband besteht aus einem Percussionisten, der auch Posaune spielt, einem Bassisten, einem Gitarristen, einem Pianisten, „der lieber mit dem Motorrad durch Montenegro fährt und sich nur meldet, wenn er Geld braucht“ und, manchmal, einem Violinisten. Klassisches Folkrock-Instrumentarium, wenn man so will, und in ihren konventionellsten Momenten spielen Faber und Band auch genau das.

In Paris brennen Autos, in Zürich mein Kamin

Weil Faber aber kein Mann der Konventionen ist, schlägt er in seinem Set immer wieder Haken. Glaubt man als Faber-Novize während eines Liedes, es hier mit einer deutschsprachigen Version von Mumford & Sons zu tun zu haben – Bläser, Geigen, Handclaps, „Hey Hey“- und „Oh Oh“-Chöre -, vernimmt man plötzlich Textzeilen wie „Ein Nazi schießt auf ein Flüchtlingsheim“ oder „In Paris brennen Autos, in Zürich mein Kamin“. Da beobachtet jemand die Welt außerhalb der eigenen Studenten-WG, da hat jemand was zu sagen.

In „Wer nicht schwimmen kann, der taucht“ etwa werden Fabers Bequemlichkeitsbeschreibungen besonders unbequem: „Ich schaue euren Schlauchbooten beim Kentern zu / Im Liegestuhl am Swimmingpool am Mittelmeer / Kratze mich am Bart, kratze mich am Bauch / Wer nicht schwimmen kann, der taucht“. Sagt’s und entschuldigt sich für den kommenden Dschungelbuch-mäßigen Mitschunkel-Song, der im Grunde zum Weghören und Mittanzen geschrieben worden sei, so wenig Substanz habe er. „Die Plattenfirma hat uns das empfohlen, fürs Radio, sowas verbreite sich am besten“, erklärt Faber und lässt die Zuschauer im Unklaren darüber, wie viel Witz und wie viel Ernst in dieser Behauptung steckt.

Faber schreibt und singt aber auch private Lieder. „Die Tram ist leer und ich bin voll, falle in ein tiefes Loch und nichts zieht mich hoch“, lamentiert er hier, „Ich will nicht vergessen, ich bete zum Mond, ich lass Dich nicht mehr los“ singt er da, während die Posaune ihm in den Hintern tritt und umgekehrt. Und das ist der Punkt: Fabers Musik ist feurig, tragikomisch, politisch, privat, international, melodramatisch, sie klingt bisweilen wie der Soundtrack eines Berlinale-Zweitplatzierten aus Osteuropa und sie ist immer großes Referenzkino. Anderthalb Stunden Faber live auf der Bühne, das sind anderthalb Stunden Reminiszenzen an Folk, Rock, Klezmer, Balkan ohne Beats, an die 20er Jahre, an Sven Regener, Nick Cave und Hildegard Knef, das sind manchmal auch Schimpfwörter („Danke, wir können Nutte sagen“), für die Kraftklub mehr Kritik einstecken müssen. Das sind aber auch Zeilen wie „Ich hab Dich geliebt, 1000 Franken lang“ – und damit Momente, in denen man dann doch ganz kurz wieder an die Mittelklassen-Befindlichkeitslyrik von AnnenMayKantereit denken muss. Aber zum Glück nur ganz kurz. Bis Faber den nächsten Haken schlägt.

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