Feuer Teufel


Nach der Auflösung von Jane's Addiction avancierte Perry Farrell als Festival- Organisator zum großen Zampano der amerikanischen Alternativ- Kultur. Ein Jahr hinter den Ku- lissen war genug. Der Pre- diger der Liebe hat mit Porno For Pyros wie der eine lodernde Leidenschaft.

Sie sind wieder wer. Fast hätte man sich Sorgen gemacht, um ein Krisen-geschütteltes, Rezessions-geplagtes und Virus-bedrohtes amerikanisches Volk, das, mit der schrecklichen Wahrheit der Welt plötzlich im eigenen Land konfrontiert, so gar nicht mehr an sein Colasüßes Lebensgefühl glauben wollte. Doch jetzt ist alles anders. Die „Jugend“ regiert, schwenkt Fähnchen der Hoffnung: Amerikas neuer Präsident ist, wie ein Sony-Funktionär lakonisch vermerkte, „der erste Präsident der USA, der jünger ist als Mick Jagger“.

Überflüssig zu erwähnen, wem von beiden das zu denken geben sollte.

Nüchterne Geister nennen so etwas einen Generationswechsel. Der endet in glücklichen Fällen in der Wahlurne, eben dort, wo Bill Clinton eine außergewöhnlich hohe Beteiligung der Jungstimmen für sich verbuchen konnte. Aber er fängt dort nicht an. Die stille Machtübernahme in Amerikas Gesellschaft ist ein lange geschmiedetes kulturelles Komplott langhaariger Lederjackenträger, körnerkramender Lebenskünstler oder auch wenig machtgieriger Musiker. Die positive Konsequenz einer Alternativkultur, die so alternativ nicht mehr ist, seit Nirvana Millionen Platten verkauften.

„£5 bewegt sich was, ich weiß es ganz sicher. Zweifelst du da etwa dran?“ Die ersten Frühlingssonnenstrahlen ertasten sich ihren mittäglichen Weg durch die angegilbten Fenster einer Hamburger Hafenkneipe. Das Licht blendet, und ein Paar Augen strahlen mit ihm um die Wette. „Wenn ich die Macht hätte, würde ich versuchen, unsere Gesellschaft zur glücklichsten der Geschichte zu machen. Jede Gesellschaft hat einen unkontrollierbaren Unterbau, in einer repressiven Gesellschaft ist der immerhin schon besser als die Oberfläche. Aber stell dir vor, wie aufregend der Unterbau einer wirklich glücklichen Gesellschaft sein könnte. Wir sind auf dem Weg, man darf nie aufgeben.“

Perry Farrell hat eine Berufung zu verteidigen. Er ist Begründer und Organisator des Lollapalooza-Festivals, jenes perfekt geschnürten Alternativ-Pakets aus Mainstream-feindlicher Musik von Ice T. bis Ministry, aus Polit-Programm, bewußter Ernährung und vor allem viel Spaß für wenig Geld, das jetzt schon im zweiten Jahr als klarer Sieger aus einem lauen amerikanischen Konzert-Sommer hervorgeht.

Er war Künstler des Jahres 1991 in meinungsbildenden amerikanischen Musikmagazinen wie „Rolling Stone“ und „Spin“. Eine euphorische ¿

US-Journaille stilisierte ihn zur Leitfigur einer aufbrechenden Jugend, zur Symbolfigur der „Generation X“, die, von den Medien benannt nach dem gleichnamigen Buch von Douglas Copeland, wie dessen Protagonisten in einer sinnentleerten Welt mit Lust und Liebe nach Tiefsinn suchen.

Er war Sänger und kreativer Kopf von Jane’s Addiction, der kalifornischen Kultband, die vor fünf Jahren als eine der ersten Untergrund-Formationen den Geldhahn einer Major-Firma für ihren guten Zweck anzapften. „Wir arbeiten innerhalb des Establishments gegen das Establishment,“

vermeldete Farrell damals und produzierte mit Warner-Geld eigene Mal-Kunst auf LP-Cover, die regelmäßig amerikanische Elternverbände auf die Barrikaden riefen. Auf der Innenhülle der letzten Jane’s Addiction-LP „Ritual De Lo Habitual“ fand er auch für diese eine passend provokante Antwort: „Wir haben mehr Macht über Eure Kinder als ihr, aber wir lieben Eure Kinder.“

Ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte, „Ritual De Lo Habitual“ verkaufte sich in den USA über eine Million mal, zur Feier des Platinerfolges löste sich Jane’s Addiction auf. Gegen den Verlust ihrer Kultgruppe fanden Anhängerschaft und Medien einen wirksamen Trost: Man feierte Perry Farrell als wahren Helden einer neuen Kultur der Ehrlichkeit, der seine Band vor dem letzten Sprung zum ganz großen Erfolg lieber auflöste, als unweigerlich dem Ausverkauf anheimzufallen. Die tragische Komponente verstärkten düstere Zukunftsprognosen, die Farrell schon zur Veröffentlichung der letzten Jane’s Addiction-Platte unheilsschwanger äußerte: „Dies wird meine letzte Platte sein, danach verabschiede ich mich … Ich will kein Rockstar sein.“

„Ich bin Sänger, meine Stimme ist eine Gabe, ßr die ich sehr dankbar bin. “ Eineinhalb Jahre nach der Trennung von Jane’s Addiction, nach der Fertigstellung seines ersten Filmprojektes „Gift“, das demnächst auch in Deutschland auf Video erscheinen wird, nach der Organisation eines zweiten Lollapalooza-Fesrivals, stellt Multi-Media-Aktivist Perry Farrell sein neues Bandprojekt vor: Porno For Pyros. Und ist beflissen darauf bedacht, im neuen Verbund nicht mehr als alleiniges Heiligtum im Vordergrund zu stehen. Um Schlimmstes zu verhindern, läßt er sich auf Interviewreisen von Gitarrist Peter DiStefano begleiten.

Dessen Banderfahrung beschränkte sich bislang auf die kurze Mitgliedschaft in einer Venice-Beach-Surfband namens K-38. Als sich die begeisterten Surfer Farrell und Di Stefano am mexikanischen Strand von Porto Askadido zum ersten Mal begegneten, dachten sie nicht einen Wellenschlag daran, zusammen eine Band zu gründen. „Wir waren Freunde. Als ich erfuhr, daß Peter Gitarre spielt, wollte ich nichts davon wissen. Ich hatte Angst, ihn spielen zu hören und ihm dann sagen zu müssen, daß er dilettantisch und untalentiert ist.‘ Das Gegenteil war der Fall. „Als er das erste Mal meine Gitarre in die Hand genommen hat, war es, als würde er mit ihrschlaJen. Mit meiner Gitarre! Und ich habe ihm dabei zugesehen — es war wunderschön.“ Für Eifersucht war kein Platz in dieser Dreierbeziehung, wohl aber für den Jazz-bewanderten Ex-Thelonious-Monster-Bassisten Martyn LeNoble und den ehemaligen Jane’s Addiction-Drummer Stephen Perkins.

Perkins ist das einzige menschliche Bindeglied zu Perry Farrells musikalischer Vergangenheit. Den damaligen Scheideweg kommentiert Farrell heute schlicht und ergreifend: „Es gab keine Liebe mehr in dieser Band.“

Und fügt mit seliger Miene hinzu:

„Porno For Pyros ist wie eine neue Romanze.“ Ein kollektiver Stoßseufzer geht durch unsere traute Runde, Peter Di Stefano holt zum emotionalen Gegenschlag aus: „Ich war immer auf der Suche nach etwas Heiligem, etwas Wahrem, bis ich Perrys Stimme zum ersten Mal hörte. Ich liebe seine Musik, aber als ich ihn kennenlernte, hat mich seine Ehrlichkeit noch mehr beeindruckt als jeder Ton, den er jemals gesungen hat. „Während Perry Farrell beschämt die Schmuddelflecken auf dem Tischtuch untersucht („Oh, Peter, du machst mich so verlegen, „j, frage ich mich, ob uns irgend jemand freundlicherweise rosarote K.O.-Tropfen in den Kaffee gekippt hat. Doch der heiße Braune duftet nur nach Baileys, draußen scheint immer noch die Sonne, und vielleicht reduziert sich ja der Lauf der Dinge wirklich in der Basis nur auf dieses Gefühl mit fünf Buchstaben. Selbst Marcel Reich-Ranicki liest am liebsten Liebeslyrik, wie er einer Fauenzeitschrift unlängst gestand, und zwar von Ovid, weil Herzen vor gut tausend Jahren schon dieselben Schmerzen hatten wie heute.

„Ich habe solchen Liebeskummer, und muß noch all diese Interviews geben. Es sollte ein Gesetz geben, das einen in solchen Gemütszuständen automatisch von jeder beruflichen Verpflichtung befreit.“ Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit — dabei wollten wir eigentlich über Musik reden, aber wo ist da schon der Unterschied. Bei Perry Farrell ist der Mut zum Gefühl Gesamtkonzept, und so ist Porno For Pyros Debüt ein schillerndes Kunstwerk aus psychotischen Rockgitarren, staubigen Drums, verspielten Samples, schwüler Romantik und entfesselter Wut. „In unserer Musik sollen alle Emotionen leben.“

Janes Addiction mußte sterben, weil die Liebe gestorben war. Und vielleicht mußte die Liebe sterben, weil sie verkauft worden war. Perry Farrels Funkeln in den Augen bekommt eine neue Dimension: „Ich bin eine Hure, was macht das schon?“

Beim letzten Konzert mit Jane’s Addiction in Hawaii betrat er die Bühne unbekleidet. „Nackt vor 2000 Leuten zu stehen, ist ein großartiges Gefühl.“

Grund genug für Rationalisten, ihn wieder einmal als wirren Grenzgänger, als Narr der Neuzeit zu bezeichnen. Grund genug, ihn nach der Zukunft zu fragen, nach der Aufgabe von Lollapalooza, von Porno For Pyros, von unserer Generation? „Wir müssen Gott und den Teufel vereinen. Und im Moment sitzen sie noch nicht mal am selben Tisch.“