Funksoulbrothers


Nein, Rosenheim ist nicht der Nabel der Welt, aber ein wichtiger Punkt auf der Landkarte der elektronischen

Musik. Im Studio bei Funkstörung, Innerstädtische Samstagnachmittags-Tristesse. Michael Fakesch steht in der Fußgängerzone in Rosenheim. Es sind nur wenige Menschen unterwegs, weil es ungewöhnlich kalt ist für einen Tag im März und der Himmel sich in Grautönen gefällt. Die Stimmung wäre gedrückt, wenn da nicht Fakesch wäre, der mit einem sonnigen Gemüt ausgestattet ist und dem Besucher, den er gerade vom Bahnhof abgeholt hat, ein bisschen über seine Heimatstadt erzählen will, das heißt, ihm erzählen will, dass es eigentlich gar nichts über seine Heimatstadt zu erzählen gibt. „Es gibt wirklich nichts hier“, sagt er, „obwohl Rosenheim eine Studentenstadt ist. haben wir nichtmal einen coolen Studentenclub hier. Alte orientieren sich nach München. Du gehst in München weg und triffst nur Rosenheimer „Da ist natürlich ein gewisses Maß an Koketterie im Spiel. Rosenheim hat immerhin den Eishockeyverein „Starbulls“ hervorgebracht, Nick McCarthy, ein Viertel der jetzt schon legendären Franz Ferdinand, und Funkstörung natürlich, eines der wenigen Elektronikprojekte aus Deutschland, das sich einen Namen in der Welt gemacht hat. Fakesch hat Funkstörung mit seinem Jugendfreund Chris de Luca 1994 gegründet. De Luca ist der eher introvertierte Part von Funkstörung. Er sitzt im großräumigen, relativ schmucklosen Studio an seinem Laptop, verabschiedet seine Freundin mit Küsschen, nimmt ein Vinylweifimuster in die Hand, geht zu den Turntables und legt die Platte auf den Teller. Die TeStpreSSUng des neuen Funkstörung-Albums disconnected ist heute angekommen. Die beiden sitzen andächtig im Raum. De Luca zündet sich eine Zigarette an, während die ersten Töne aus den Lautsprechern kommen, Fakesch stützt den Kopf auf seine Hand, merkt dann kurz auf und sagt: „Das ist schon ein bisschen ein bewegender Moment“. Eineinhalb Jahre lang, täglich zwischen sechs und acht Stunden haben Funkstörung hier in diesem Studio verbracht, um an ihrem Album zu arbeiten. Und jetzt ist es fertig. Überhaupt: dieses Studio. Warum sieht das nicht nach Studio aus, sondern eher nach Versicherungsagentur? Weil Funkstörung bei den Aufnahmen ihrer Musik kaum noch Hardware benutzen, die Tracks entstehen am Computer. Zwei stationäre PCs und ein Apple-Laptop sind die auffälligsten Einrichtungsgegenstände in diesem Raum. OK Computer?“.Weil es einfacher ist. „sagt Fakesch, „und billiger, und weil es dir viel mehr Möglichkeiten eröffnet. Früher musstest du direinen Synthie erstmal kaufen, um festzustellen, ob du was mit ihm anfangen kannst oder nicht. Dann hast du ihn eine Woche lang ausprobiert und eventuell festgestellt, oh, alles Scheiße und2000 Euro waren verhauen. „

Es war um das Jahr 1990 herum, als Fakesch vom Techno-Virus infiziert wurde.“.Bei einer der ersten Parties von DJ Hell im Chiemgou, vorzehn Leuten, da war ich so geflasht. Dann habe ich selber Partys veranstaltet. Chris worder einzige DJ in der Gegend, der bei uns so Zeug gespielt hat. Meine Freundin kam irgendwann mal an, drückte mir ein Tape in die Hand und meinte, ‚Mensch Michael, du musst dir das unbedingt anhören, das ist von DJBaze, der ist super, den müsst ihr auf euren Partys auflegen lassen ‚.Und so haben wir uns dann kennen gelernt.“

Danach geht alles relativ schnell. Fakesch, der sich mittlerweile einen Namen als Partyveranstalter gemacht hat, wird von einem völlig Unbekannten eingeladen, dessen Studio zu besuchen. „Er wollte mir zeigen, wie Musik gemocht wird. Er hatte den ganzen Fuhrpark von Roland. Ich war so geflasht, ich habe sofort Chris angerufen und ihm gesagt, dass wir unbedingt solche Geräte koufen müssen. Wir haben dann olle Drumcomputer ausprobiert – das war ja so simpel! “ DeLuca: „Als wir gesehen haben, wie einfach es ist, elektronische Musik zu machen, hoben wir uns gesagt, so jetzt schmeißen wir unser Geld zusammen und kaufen uns ein paar Geräte. ‚ I hre ersten Tracks nehmen Funkstörung mit einem billigen Taperecorder auf und schicken sie an das legendäre Bunker-Label in Den Haag. „Die sind total ousgeflippt“, kichert Fakesch, „die haben dann wirklich die allerersten Sachen, die wir jemals aufgenommen haben, veröffentlicht. “ Unter dem Namen Musik aus Strom. Mit der Trennung von Bunker, der Gründung ihres eigenen Labels „Musik aus Strom“ und dem Namenswechsel zu Funkstörung, entwickeln Fakesch und de Luca ihren Trademark-Sound: Minimalistisches, ungerades Gefrickel ist das, das in den neunziger Jahren zeitweise zum heißesten Scheiß der Elektronikszene erklärt wird, was den beiden aber immer wieder einen Vergleich einbringt, den sie mittlerweile nicht mehr hören können.- mit den Briten Autechre.

Der Sound von Funkstörung wareheraus Versehen entstanden – die Musik des Zufalls. „Als wir uns am Anfang das Equipment gekauft hatten, hatten wir null Ahnung davon, wir haben einfach nur herumgedrückt“, erinnert sich de Luca. „Wir haben alles ausprobiert. Das war eine so unschuldige Herangehensweise. Weil wir so wenig Ahnung davon hatten, kamen auch immer so ganz komische Sachen dabei raus. Diese ganzen verstörten, fiesen Sounds.“ Diese ganzen verstörten, fiesen Sounds verschaffen dem Duo aus der Provinz einen sehr prominenten Fan: Björk. Die Isländerin, so erfahren Fakesch und de Luca über Umwege, „stand höllisch auf unsere Musik“. Irgendwann klingelt das Handy von Fakesch. Es ist Derek Birkett, der Chef von Björks Labet One Little Indian. Er will wissen: „Habt ihr Lust, Björk zu remixen? Sie würde unglaublich gerne eine Remix von euch haben. Ihr könnt euch was aussuchen von homogenic „. Wie jetzt? „Erst habe ich gedacht, da will mich jemand verarschen“, sagt Fakesch. Weil die Zeit drängt, schlagen sich Funkstörung die Nächte in ihrem Studio um die Ohren. Sie dekonstruieren das Björk-Stück „All Is Füll Of Love“ dabei ensteht einer der ungewöhnlichsten und legendenumwobensten Remixe der neunziger Jahre, der auch dafür verantwortlich ist, dass Rosenheim zu einem Punkt auf der Landkarte der elektronischen Musik wird und Funkstörung zu einem international beachteten Act. Was den beiden allerdings zu keiner Zeit zu Kopf gestiegen ist. Im Gegenteil. Fakesch und de Luca gefallen sich im Tiefstapeln, betonen immer wieder während des Gesprächs, wie amateurhaft, wie unbedarft sie an ihre ersten Aufnahmen herangegangen seien. „Selbst, wenn wir dieselben Ideen gehabt hätten“, meint Fakesch, „hätten wir ein Album wie disconnected vor zehn Jahren einfach nicht machen können. Du musst lernen, mit dem Equipment umzugehen, und das geht nicht mit dem Lehrbuch.“ Lernfähigkeit, Entwicklung wichtige Themen für Funkstörung. Wobei gerade der Entwicklungsanspruch zu den ironischen Details der postmodernen Musikform Elektronik zählt: Hörer und Journalisten fordern von den Künstlern eine permanente Weiterentwicklung und wenn die dann stattfindet, ist das Gemaule groß: „Früher waren sie besser“. Funkstörung mussten erst die ein oder andere Arbeitsstunde in disconnected investieren, um zu dem Schluss zu kommen, „dass das alles noch wie früher klingt“. Aber das wollten sie nicht. Sie warfen das Konzept über den Haufen, arbeiteten mit einer Reihe von Gastvokalisten und -musikern zusammen, nahmen endlose „Jamsessions“ auf, bis disconnected zu dem wurde, was es ist: ein funky, souliges Album, bei dem das Markenzeichen-Geknisper noch da ist – allerdings mehr im Hintergrund. Nicht umsonst reden die beiden von „Songs’und nicht von „Tracks“, wenn sie von ihren neuen Stücken sprechen. Einmal nOCh in der Rosenheim-Wunde bohren? Bitte! Niemand kann verstehen, wieso die beiden immer noch dort leben, wie so eine derart urbane Musik in der Provinz entstehen kann. Dabei hat es ganz profane Gründe: beide haben Kinder, und „da ist es fast unmöglich, woanders hin zu ziehen“, meint de Luca. Und Fakesch sinniert darüber, dass „das vielleicht Seltsamste an uns die Totsache ist, dass wir letztendlich immer noch Landeier sind.“ Nein, Landeier sind Fakesch und de Luca sicher nicht, aber auch keine autistischen Knöpfchondreher, die das Tageslicht scheuen. Im Gegenteil, die beiden sind so zuvorkommend, so höflich, so bodenständig, dass es kaum zu glauben ist. Beispiel? Fakesch betont öfters an diesem Tag nicht ohne Stolz, dass er seit elf Jahren mit seiner Freundin zusammen ist. Trotzdem: Manchmal sei das Leben in der Provinzstadt mit ihren 60.000 Einwohnern schon sehr frustrierend, sagt er. „Du kannst nicht mal ausgehen, es gibt nur ein Restaurant, wo man hingeht. Da gehst du einmal hin. zweimal, dreimal und vielleicht auch noch zehnmal und dann langweilt s dich. Es gibt keinen Club hier, außer du magst halt…“- Faschingsmusik“ wirft de Luca ein. Wer permanent in der Welt unterwegs ist gerade kamen Funkstörung von einer Interviewreisen nach Tokio, Paris, London und New York zurück – kann es sich leisten, in der bayerischen Provinz zu wohnen. Michael Fakesch und Chris de Luca können stundenlang erzählen, sie kommen vom Hundertsten ins Tausendste. Dazwischen zeigen sie gerne ihr Studio, erklären die Arbeit an ihren Computern, kramen in ihrem Plattenschrank, ziehen ein rares Vinyl mit einem unveröffentlichten Remix für eine sehr bekannte Band aus den siebziger Jahren hervor, das sie ihrem Gast mitgeben. Und da ist ja auch noch die Geschichte mit dem anderen Björk-Remix, den niemals jemand hören wird. Da saßen Funkstörung in einer zehnstündigen Session am Computer. Sie hatten noch wenig Erfahrung mit dem postmodernen Musikinstrument. „Wir waren so gut wie fertig“, erinnert sich Fakesch, „dann ist der Computer abgekackt und wir hatten nicht gesichert. Jetzt schwirrt der Remix irgendwo im Universum von Bill Gates herum.“