Genesis: Vom Pomp zum Pop


Für die Mehrzahl der Kritiker galten sie bislang als rotes Tuch: Die Worte "Pomp" und "Bombast" wurden geradezu mit "Genesis" gleichgesetzt. Um so größer die Überraschung, als ihre neue LP in diesem Monat Platz 1 der "Kritiker-Tips" belegte. Was war geschehen? Tony Banks, gewöhnlich der Schweiger der Band, zeigte sich gesprächig und erläuterte die große Wende.

Warum die Dinosaurier einst ausstarben, weiß niemand so recht. Eine jüngere Hypothese nimmt als Ursache einen gewaltigen Vulkanausbruch an, dessen gigantische Staubwolke jahrelang den kreidezeitlichen Himmel verdüsterte, so daß ein beträchtlicher Teil der Vegetation abstarb -, und mit ihr die pflanzenfressenden Monster. Nach landläufiger Meinung hingegen sind die Viecher einfach über alle gesunde Proportion groß geworden, quasi wider die Natur, und an ihrer schieren Größe eingegangen.

Das gleiche Schicksal prophezeite man auch etlichen Rockbands, sogenannten Supergruppen wie ELO. Supertramp, Stones und dergleichen, die im Englischen als „Dinosaurs“ gescholten werden.

Doch im Unterschied zu ihren Namensvettern aus der Urzeit wandeln diese Rock-Echsen noch ganz munter unter uns, allen Unkenrufen, allen Punkund New Wave-Stürmen zum Trotz. Sie sind anscheinend nicht umzubringen, auch nicht totzuschweigen.

So macht jetzt, nach fast 18 Monaten Funkstille, auch Genesis wieder von sich reden: mit einem neuen Album, schlicht und phantasielos GENESIS genannt, und vor allem mit der Single „Mama“, die nun ganz und gar nicht angestaubt klingt und mit dem Pathos früherer Tage herzlich wenig gemein hat. „Mama“ kam denn auch gleich auf Platz vier der britischen Charts, höher als jede andere Genesis-Single zuvor.

Eine Tatsache, die Tony Banks, Gründungsmitglied und Tastenspieler des Trios, verständlicherweise mit Genugtuung erfüllt. Der smarte, mit besten englischen Middle Class-Manieren ausgestattete Mitdreißiger: „Das beweißt doch, daß Genesis immer noch seine Berechtigung hat. Was mich vor allem freut, ist, daß wir mit „Mama “ einen recht komplexen und mit sechseinhalb Minuten verhältnismäßig langen Song in die Charts gebracht haben. Schließlich sind wir ja nach wie vor eine Album-orientierte Band.“

Auf jeden Fall sieht s so aus, als ob wieder Leben in Genesis sei, als ob die Neuorientierung, die vor vier Jahren mit DUKE noch recht zögerlich angesteuert wurde, abgeschlossen sei.

Tony Banks: „DUKE war sicher ein wichtiger Schritt für uns. Da haben wir zum ersten Mal wieder einige Songs als Band zusammen geschrieben, während auf den zwei, drei vorangegangenen Mike (Rutherford) und ich sämtliche Songs komponierten. Mit ABACAB sind wir dann noch einen Schritt weitergegangen, haben noch enger zusammengearbeitet und unser neues Album ist eine totale Gemeinschaftsproduktion. Wir hatten überhaupt kein Material vorbereitet, bevor wir ins Studio gingen; nichts. Alles ist erst im Studio entstanden, aus einer Jam Session-Situation heraus. Deshalb klingen die Songs vermutlich auch sehr frisch, sehr spontan.“

Womit ihr eventuell denjenigen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmt, die euch nach wie vor des Pomp-Rock bezichtigen ?

„Wir selbst haben uns nie als Pomp-Rockband gesehen. Natürlich haben wir diese gewaltigen Akkorde benutzt, bestimmte klassische Strukturen. Nun ja, vielleicht kann man das Pomp-Rock nennen. Aber wir haben auch immer andere Sachen gebracht. Ich meine, ein Stück wie „Back In New York City“ kann man kaum als pompös bezeichnen.“

Es ist ja nicht nur der Sound, der einigen Genesis-Kritikern sauer aufstößt. Für einen Teil der Presse – und vielleicht auch der Fans, wer weiß – ist Genesis weniger eine Gruppe von Musikern als ein musikalischer Gewerbebetrieb, der alle anderthalb Jahre eine Platte auf den Markt bringt, in zwei Dutzend Stadien spielt, um sich dann wieder zurückzuziehen und die unternehmerische Bilanz zu ziehen.

„Das ist die alte Sache mit dem Geld, nicht wahr? Nun, finanziell haben wir es nicht nötig, weiterhin Platten zu veröffentlichen. Wir tun es, weil es uns Spaß macht. Ich weiß, das klingt abgedroschen, aber so ist es nun mal. Ich bin in diesem Geschäft, weil mir Musik zufälligerweise Freude macht. Wenn das nicht wäre, dann gäbe es Genesis nicht mehr. Wir haben nie die Absicht gehabt, Genesis bis in alle Ewigkeit am Leben zu halten.

Aber warum sollen wir aufhören, solange wir gute Musik produzieren? Und das tun wir nun mal. Dabei folgen wir keinem bestimmten Trend und verkaufen trotzdem massenweise Platten. Die meisten Leute, die jetzt unsere Platten kaufen, haben vermutlich noch nie etwas von „Selling England By The Pound“ oder „Foxtrot“ gehört. Die kaufen unsere Platten, weil ihnen die Musik gefällt, die wir heutzutage machen. Wir haben vor anderthalb Jahren das letzte Mal was herausgebracht und daher glaube ich, daß die meisten Leute, die jetzt „Mama“ kaufen, den Namen Genesis überhaupt nicht oder nur ganz vage kennen. Insofern finde ich es gut, eine Top-Ten-Single zu haben, weil das doch beweist, daß wir immer noch relevant sind.“

Relevant, weil ihr mit der Zeit gegangen seid; zweifelsohne aber auch, weil ihr euch jetzt auch von anderen Musikstilen beeinflussen läßt.

“ Da stimme ich nicht ganz zu. Wir haben in den 70ern einen ganz unverwechselbaren Stil, den einige Leute gemocht und andere gehaßt haben. Dann kam ABACAB – und die Leute sagten, das sei eine total neue, andere Genesis. Und das stimmt nicht!

Vor allem der Sound von ABACAB war etwas, was wir schon seit Jahren anstrebten und nie erreicht hatten. Kürzlich erst habe ich mir wieder THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY angehört – und die würde ganz anders, viel harter, rüberkommen – hätten wir damals schon die Produktionstechnik beherrscht so wie heute.

Für mich ist auch „Mama“ ein ganz typischer Genesis-Song; da sind die großen Akkorde, der schwere Drum-Sound und noch vieles mehr, was schon immer spezifisch für Genesis war. Dann ist auf dem neuen Album wieder ein Zwölfminuten-Stück („Home By The Sea“), das mit Sicherheit in der Genesis-Tradition steht. Nein, ich glaube nicht, daß unsere Musik sich prinzipiell geändert hat. Unser Sound hat sich geändert und was die Produktion anbelangt, sind wir sehr viel besser geworden. „

Aber am Sound allein liegt’s jawohl nicht.

„Stimmt. Es liegt auch daran, daß wir drei viel enger zusammen arbeiten als etwa in den späten 70er Jahren. Es liegt auch daran, daß wir jetzt die Songs wieder gemeinsam schreiben. Da steht man viel mehr dahinter, weil jeder für jeden Song mitverantwortlich war. Das war früher anders, als Peter, Mike und ich das ganze Material schrieben, während Steve und Phil mit Songwriting kaum etwas zu tun hatten.“

Und inzwischen zieht ihr da eine saubere Trennung. Was jeder für sich schreibt, kommt auf die Soloalben, was ihr gemeinsam komponiert, bleibt für Genesis.

„Hm. Der Grund, warum wir mit Soloprojekten anfingen, war eigentlich der, daß Phil sich Zeit nehmen wollte, um seine Ehe zu kitten. Nun, das hat nicht geklappt, aber während der Zeit haben Mike und ich unsere ersten Soloprojekte gemacht. Dann kam Phil zurück, wir machten DUKE. Und als wir das fertig hatten, wollte auch Phil seine Soloplatte aufnehmen, vor allem weil er anfing, selbst Songs zu schreiben. Wie man weiß, hatte Phil einen Wahnsinnserfolg. Folglich braucht er mehr Zeit für seine Solokarriere.“

Was sind deine Gefühle, wenn du an Phil Collins Superstar denkst?

„Oh, ich bin eifersüchtig.“

Vor allem, wenn man bedenkt, daß weder deine noch Mikes Solo-Versuche besondere Wellen geschlagen haben.

„Das ist ein Understatement. Aber dann hat ein Sänger irgendwie eine bessere Ausgangsposition. Das gilt sowohl für Peter Gabriel als auch für Phil. Außerdem kam Phil gleich mit einem Wahnsinns-Song heraus „In The Air Tonight“. Das hat ihm den Weg geebnet. Aber zum Beispiel mit „You Can’t Hurry Love“ hätte jeder, der einen Namen hat, einen Hit gemacht. Das war nicht, weil Phils Version besonders toll war. Das ist der einzige Song von seinem zweiten Album, den ich nicht mag, obwohl ich es ansonsten sehr stark finde, besser als sein erstes.“

Eine letzte – und vielleicht unvermeidliche – Frage: Wie lange soll’s noch mit Genesis weitergehen?

„Wenn’s uns keinen Spaß mehr macht, hören wir sofort auf. Das hoffe ich wenigstens.“

Und du wirst als Solist weitermachen?

„Nein, das glaube ich nicht. Weist du, ich habe schon jetzt, mit meinem Background als Genesis-Mitglied, Schwierigkeiten genug, meine eigene Plattenfirma zu überzeugen, von mir ein Soloalbum herauszubringen, weil sich die Platten einfach so schlecht verkaufen. Nein, nach dem Ende von Genesis werde ich wohl das Handtuch werfen und mich ins Privatleben zurückziehen. „