Ginger Baker


Vom Rock'n'Roll ausgezehrt, vom Heroin halb zerfressen, hatte sich der ehemalige Cream-Drummer als Olivenbauer nach Italien verkrümelt. Ausgerechnet Punker Johnny Lydon holte den sichtlich genesenen 50jährigen aus der Versenkung in einen zweiten Musiker-Frühling zurück. Steve Lake ging ihm für ME/Sounds an die Trommel.

Kürzlich feierte er seinen 50. Geburtstag, etwas zum Verdruß der Sensationspresse, die ihn vor zwei Jahrzehnten mit einem Bein im Grab sah. Der Schlagzeuger, der in der nur drei Jahre währenden (1966-69), intensiven Phase mit Cream, der ersten sogenannten „Supergroup“, neue Maßstäbe für sein Instrument setzte, erfreut sich bester Gesundheit und lebt auf einer Ranch in Kalifornien. Außerdem spielt er besser denn je.

Die hartnäckigen Gerüchte um eine bevorstehende Cream-Reunion werden von Baker abwechselnd bestätigt und dementiert. Die anderen – Eric Clapton und Jack Bruce – brauchen Cream mehr als ich, kalkuliert er. Rein künstlerisch betrachtet, könnte er recht haben. Baker ist wohl der einzige aus dem alten Trio, der in der kreativen Musik immer noch zur Speerspitze zählt – eine überraschende Wendung, wenn man bedenkt, daß er eigentlich Anfang der 80er Jahre unwiderruflich aus dem Musikgeschäft ausgestiegen war.

Was noch seltsamer anmutet, ist die Tatsache, daß wir Bakers Renaissance ausgerechnet Johnny Rotten verdanken. Während der Vorbesprechungen zu Public Images 85er Produktion ALBUM fragte Produzent Bill Laswell John Lydon nach seinem Wunsch-Drummer. Lydon, wie immer um Sarkasmus bemüht, sagte “ Ginger Baker“ – ein Musiker, der in seinem Punk-Hirn in der Schublade „alter Hippie“ abgelegt war. Laswell hingegen hielt es für eine geniale Idee, ließ die Fahndung anlaufen und spürte Baker schließlich auf einer Olivenfarm in Italien auf.

Dorthin hatte sich Baker zurückgezogen, allein in der Obhut von 200 Ersatz-Therapeuten – Olivenbäumen, um die er sich zu kümmern hatte, fest entschlossen, der Musikszene, ihrem Lebensstil und einer daraus resultierenden Heroinsucht zu entkommen, die ihn bereits seit 1959 in den Klauen hatte. Er war daher nicht sonderlich interessiert, nach New York zu fliegen und auf der Platte irgendeines Punkers zu spielen. Als Rock-Drummer verstand er sich sowieso nicht:

„Es nervt mich, wenn die Leute mich so bezeichnen. Rock habe ich nur ein einziges Mal für ein paar Monate bei Hawkwind gespielt, und das fand ich ätzend. Ansonsten kann alles, was ich jemals gespielt habe, auf Jazz oder Blues zurückgeführt werden. Für mich waren Cream eine Jazzband. Eine sehr laute, improvisierende Jazzband.“

So leicht ließ sich Laswell jedoch nicht abschütteln. Er packte den Baß ein, nahm das nächste Flugzeug nach Italien und brachte Ginger dazu, das Schlagzeug aus der Rumpelkammer zu holen. In den folgenden Wochen wurde nur gespielt; die dabei entstandene musikalische Verbindung ist seitdem nicht abgerissen.

Die PIL-Session, für die Laswell eine ganze Reihe höchst ungewöhnlicher Musiker engagiert hatte (unter anderem den indischen Geiger L. Shankar, den afrikanischen Talking-Drum-Spieler Ayib Dieng, David Lee Roths Gitarristen Steve Vai und den Free Jazz-Bassisten Malachi Favors) war so herrlich kreativ, daß alle Beteiligten auf einen Nachschlag bestanden. Bakers HORSES AND TREES (auf Celluloid Records) kann man getrost als ALBUM II bezeichnen, eine PIL-Platte ohne Lydon.

Bis zum Ende der Session hatte Baker keine Ahnung, daß er dabei war, eine Platte aufzunehmen („Bill hat mich da irgendwie reingelegt“), war aber mit dem Ergebnis überaus zufrieden („eine wunderbare Überraschung“). Sein Schlagzeug, von einer unnachahmlichen Körperlichkeit und Direktheit, bildet das Zentrum der Musik.

Dieser Tage kommen zwei weitere Platten heraus, an denen Baker maßgeblich beteiligt ist. Auf Virgin erscheint Nicky Skopelitis‘ NEXT TO NOTHING, wiederum eine Laswell-Produktion, und das Wuppertaler Independent-Label ITM veröffentlicht NO MATERIAL, Dokumentation der 1987 stattgefundenen Tour einer Ad-hoc-Band mit Skopelitis, Baker, dem deutschen Bassisten Jan Kazda und den Frontkämpfern der Band Last Exit, Gitarrist Sonny Sharrock und Saxophonist Peter Brötzmann. Außerdem gibt es mehrere Produkte aus der Zusammenarbeit mit dem schwedischen Bassisten Jonas Hellborg und, auf PALANQUIN’S POLE, Baker mit einer rein perkussiven afrikanischen Band (ebenfalls bei ITM). Verständlich, daß es Baker mit der Neuformierung von Cream nicht eilig hat. Obwohl Cream neben Hendrix‘ Experience die einflußreichste Band der späten 60er war, sieht Baker sie nur als eine Episode in seinem Leben und lehnt es ab, für immer damit identifiziert zu werden. Und was seine finanziellen Ansprüche betrifft – die sind bescheiden. „Reich und erfolgreich sein, dieser ganze Kram interessiert mich einen feuchten Kehricht. Ich will spielen, mit wem ich will. „

Es ist nicht sicher, ob Clapton und Bruce zu diesem erlauchten Kreis gehören, obwohl alle drei Cream Mitglieder – einzeln – auf Jack Bruces kommendem Solo-Album vertreten sind. Bruce und Baker, Schotte bzw. Anglo-Ire, sind leicht erregbare Gemüter, und ihre Gefechte datieren bis 1962 zurück, als beide im Bert Courtley Sextet spielten.

Bruce, den Ginger als „vollkommenen Musiker, großartigen Spieler“ lobt, liebt ungewöhnliche Taktarten, z. B. 7/8, die Baker als etwa so natürlich empfindet wie einen tanzenden Mann mit Holzbein, und denen er eindeutig den wuchtigen 4/4 vorzieht, über dem er dann gerne Polyrhythmen aufbaut.

Und Clapton? „Eine Zeitlang dachte ich, er sei der wunderbarste Gitarrist der Welt. Rückblickend und im Vergleich mit anderen Gitarristen, die ich bei Sessions traf, finde ich, daß er eine Menge Schwächen hat, besonders rhythmische.“

Privat versteht sich Baker trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit Bruce besser als mit Clapton. „Eric ist für mich ein Fremder. Er ist nicht mehr der Typ, den ich mal kannte.“ Vielleicht trägt auch die Tatsache, daß alle drei mittlerweile Ex-Junkies sind und jeder für sich auf einem extrem individuellen Weg von der Droge runtergekommen ist, zu dem gewandelten Verhältnis bei.

Ob Cream nun einen zweiten Frühling erleben oder nicht – zumindest konnte mit Hilfe der Band in den zurückliegenden 20 Jahren ein Großteil der Rechnungen bezahlt werden.

Baker, der den kleinsten Teil der immer noch fließenden Tantiemen erhält (er hat die wenigsten Songs geschrieben), kassiert alle sechs Monate etwa 40.000 Mark – genug, um seine Ranch in Schuß zu halten und die Pferde und Hunde zu füttern. Viel mehr verlangt Ginger Baker auch nicht.