Giorgo Moroder


Hoch oben in den Hügeln von Beverly Hills, in einem Traum aus Glas und Marmor, lebt einer der cleversten Selfmademen der Plattenindustrie. Die klaren Linien, der nüchterne, coole Look des Hauses passen ideal zum Image des Produzenten und Komponisten, der in den 70er Jahren den Synthesizer ins Rampenlicht holte und einen neuen Trend „erfand“: Disco. Heutzutage natürlich ein alter Hut, nicht zuletzt auch in Moroders Karriere.

Einen Disco-König nennt ihn inzwischen keiner mehr. Keine Spekulationen mehr, daß er mit Donna Summer „nur Glück“ gehabt habe. Inzwischen ist der zweifache Oscar-Gewinner („Midnight Express“, „Flashdance“) vielgefragter Hit-Doktor und nicht minder erfolgreicher Filmproduzent. In der Ellenbogen-Gesellschaft von Hollywood wird Giorgio Moroder respektiert, gefeiert und … unendlich beneidet.

Doch der überdimensionale Erfolg bringe mehr Nachteile als Vorteile, behauptet der Gentleman aus den Dolomiten – genauer gesagt, aus St. Ulrich, Grödental, Südtirol. „Der Nachteil besteht darin, daß man immer mehr unter Druck gerät. Ich bekomme massenhaft Angebote – und die sind teilweise auch finanziell so verlockend, daß ich nicht nein sagen kann – oder will… und dadurch immer mehr in Druck komme.

Die Vorteile sind natürlich die finanziellen: Ich kann mir einen 1. Klasse-Flug leisten oder im besten Hotel absteigen und mir Jugendträume wie dieses Haus in Beverly Hills und einen Ferrari und einen Rolls Royce leisten.

Aber die Nachteile überwiegen. Es ist eine Zwangslage: Je mehr Erfolg man hat, umso mehr arbeitet man. Es sei denn, man wäre imstande, rigoros zu sagen: ‚Nein, ich will nicht‘.“

Was treibt ihn denn noch weiter, er hat doch alles erreicht?

„Erstens: Finanziell sicher ist man nie, selbst wenn man glaubt, man habe viel Geld. Und zweitens, weil die Arbeit einfach interessant ist. Wenn man einmal einen Oscar gekriegt hat, will man einen zweiten und dritten. An meinem ‚Metropolis‘-Projekt habe ich zwei, drei Jahre gearbeitet, weil es für mich eine neue Herausforderung war.“

Giorgios Familie wundert sich noch heute über ihr vom Himmel gefallenes „Musik-Genie“. Denn ursprünglich sollte er in Bozen einen „vernünftigen“ Beruf erlernen: Vermessungstechniker. Doch Moroder hing die Ausbildung an den Nagel,

schloß sich lieber als Bassist einer Gruppe mit dem Namen „Happy Trio“ an und tingelte in den 50er Jahren durch die Bars und Hotels der Schweiz, Italiens und Deutschlands.

Aufgewachsen ist Moroder im Grödental von Südtirol. Seine Eltern führten eine Pension; der Vater ist inzwischen verstorben, die Mutter verbringt jeden Winter bei ihrem Sohn in Californien. Giorgio wollte raus aus den Bergen, seine Brüder blieben; zwei sind Hergott-Schnitzer, einer ist Maler.

Ende der 60er Jahre ließ sich Moroder in Berlin nieder und begann in einem Studio als Tonmeister-Assistent seine abenteuerliche Karriere. Hier war es auch, wo er ein schlummerndes Talent zum Komponieren zu entdecken glaubte.

Giorgios erster deutsche Hit war „Looky Looky“ 1969, den er der Einfachheit halber auch selbst sang. Drei Jahre später war es dann auch im Ausland so weit: Mit „Son Of My Father“ landete er seinen ersten internationalen Hit. Es ging aufwärts.

1974 entdeckte er Donna Summer in München. Die Amerikanerin war mit dem „Hair“-Musical nach Deutschland gekommen, blieb hängen und verdiente sich ihre Brötchen als Background-Sängerin im Studio. „Mit der Donna, das war ein Zufall. Aber die Voraussetzungen stimmten. Sie war Amerikanerin, eine exzellente Sängerin, gutaussehend, sehr talentiert es war nur ein Problem der Zeit. das richtige Material zu finden.

Es war nicht wie bei vielen Künstlern, wo man sich sagt: ‚Na ja, sie sieht gut aus. hat auch eine gewisse Stimme, vielleicht wird’s etwas!‘ Bei Donna wußte man: „Wenn es nicht die erste Platte ist, dann ist es die zweite oder dritte‘.“

Giorgios Grundkonzept war schon damals, „internationalzu denken. Deswegen habe ich immer schon in Englisch produziert.“

Mit Donnas erster Platte aber kam er damals in Amerika trotzdem nicht weit. „Ich erinnere mich, daß ich nicht über die Sekretärin gekommen bin – und das bei einer kleinen Plattenfirma! Damals war die Zeit für europäische Produkte noch schwieriger als heute. Erheblich schwieriger. Mit der zweiten Platte hab ich’s dann erst gar nicht mehr versucht.

Die dritte war ,Love to Love you, Baby‘. Da haben wir gedacht: ‚Das müßte eigentlich was für Amerika sein! Teilweise hat man uns die Türen zugeschlagen, grade bei den großen Plattenfirmen. Größere Firmen sind halt generell etwas abgeneigt zu experimentieren. Und Donna war nun mal ein unbekanntes Gesicht, ein neuer Sound, dann der gewagte Text…“

„Casablanca Records aber, eine kleine, ambitionierte Plattenfirma in Hollywood, brauchte neue Talente – und der Rest ist Geschichte.

1978 packte Giorgio seine Sachen und zog ganz nach Amerika. Mit Donna Summer produzierte er insgesamt acht LPs – alle inzwischen vergoldet, meist gar platin, 30 Millionen verkaufte Scheiben. Moroder zählt seine goldenen Schallplatten schon lange nicht mehr; er hat weit über 100…

„Mit einem Rhythmus im Kopfhörer fängst du meist an“, beschreibt er das Entstehen seiner Hits. „Man muß sich hinsetzen und arbeiten, das ist die einzige Möglichkeit. Jeden Tag am Klavier sitzen und einfach komponieren, komponieren! Von zehn Liedern sind dann vielleicht ein oder zwei gut. Ich brauche keine bestimmte Atmosphäre, sondern nur die innerliche Bereitschaft. Ich habe auch festgestellt: Wenn nach einer Stunde Arbeit nichts rauskommt, dann hat es keinen Sinn. Dann soll man lieber aufhören und am nächsten Tag weitermachen. Man findet die Melodie entweder relativ schnell – oder man findet sie gar nicht.“

1979 wurde Giorgio mit seinem ersten „Oscar“ ausgezeichnet – für die Filmmusik von „Midnight Express“, einem Thriller über einen amerikanischen Hippie, der im türkischen Gefängnis um sein Leben kämpft. „Das war einer der größten Momente in meiner Karriere“, gesteht Moroder. „Es war schließlich meine erste Filmmusik, und ich war Ausländer. In der Oscar-Geschichte wurde bisher erst an vier Europäer der Preis für die beste Filmmusik vergeben.“

Der Hollywood-Rummel ist ihm – auch wenn das wie ein Klischee klingt – in keiner Weise zu Kopf gestiegen. Kein Ausflippen, kein Protzen, keine finanziellen Abenteuer… Der kreative Komponist ist nämlich ein ebenso guter Business-Man. Arbeit ist seine Leidenschaft.

Giorgios Schwächen sind Gourmet-Restaurants und schöne Frauen; Schönheiten wie Marisa Berenson, Christie Brinkley oder Sydne Rome werden das bestätigen. Der 44-Jährige gehört zu den gefragten Junggesellen von Hollywood: großzügig, aufgeschlossen, so angenehm normal, keine Drogen, so herrlich europäisch (er spricht fünf Sprachen) – heiraten aber will er zum Leidwesen so mancher Dame nicht.

Um sein leibliches Wohl kümmern sich ein Butler und eine Haushälterin; sie haben strikte Anweisung, kalorienarm zu kochen, Giorgio kämpft ständig mit seinem Gewicht: Frühstück in der Polo Lounge im Beverly Hills Hotel, natürlich mit Geschäftsbesprechung verbunden; Lunch oft im In-Restaurant „Pastel“ am Rodeo Drive; den Rest des Tages findet man ihn dann in seinem Studio in der Nähe der Universal Studios. „Oasis“ ist das technisch modernste in Hollywood und Giorgios bevorzugtes Spielzeug.

Sein erster Oscar war zwar bislang der Höhepunkt seiner Karriere, auf Lorbeeren ausgeruht aber hat er sich nie. „Ein wirklich zufriedenes Gefühl“ verspürt Giorgio, „wenn einer meiner Songs Nummer 1 wird. Da weiß man, jetzt hat man’s wieder mal geschafft.“

Und er schafft es, sich selbst immer wieder zu übertreffen. Filmmusiken zu „Scarface“, „Cat People“ (mit David Bowie), „Superman III“, „Electric Dreams“, „Die unendliche Geschichte“ (mit Limahl), „Flashdance“ (dafür bekam er den zweiten Oscar), „Metropolis“, dazwischen und nebenbei der Olympia-Hit „Reach Out For The Gold“.

„Metropolis“ ist bislang sein ambitioniertestes Projekt-nicht zuletzt deswegen, weil Metropolis als Klassiker des deutschen Stummfilms gilt. Fritz Lang, der den Film 1927 für fünf Millionen Mark in den UFA-Studios drehte, wanderte übrigens 1933 in die USA aus.

Ich hatte mir noch 15 andere Filme angesehen, als ich die Idee hatte, einen alten Stummfilm mit Musik neu zu veröffentlichen. Ich habe schließlich doch ‚Metropolis‘ gewählt. Einmal, weil ich Science-fiction mag, zweitens, weil ich noch nie Musik zu einem Science-fiction-Thema gemacht habe.“

David Bowie hatte doch vor drei Jahren die gleiche Idee…

„Ja, das stimmt“, lacht er. „Bei der Arbeit zu ‚Cat People‘ erwähnte ich einmal beiläufig, daß ich ‚Metropolis‘ vertonen wolle. Bowie meinte, er würde bereits über die Rechte verhandeln.

Ich habe daraufhin geblufft und behauptet, daß ich bereits kurz vor der Unterschrift stünde. Dann habe ich umgehend meinen Rechtsanwalt in München angerufen und gesagt: ‚Kaufen, kaufen‘!“

Für die Rechte allein mußte er 200000 Dollar auf den Tisch legen. „Insgesamt habe ich an die zwei Millionen Dollar in das Projekt gesteckt. Wenn ich noch meine Arbeitszeit und die Eigenleistungen einbeziehen würde, käme ich auf drei bis vier Millionen Dollar.“

Moroder hat den Schwarzweiß-Film nicht nur vertont, sondern auch mit verschiedenen Farben getönt. Warum?

„Nun, das war ein Zufall. Ich habe zunächst gealterte Nitrat-Kopien bekommen, die verfärbt waren. Das sah überhaupt nicht gut aus; die Farben wechselten ohne Grund.

Aber an manchen Stellen wiederum sah es gut aus. Dort habe ich es gelassen, den Rest ließ ich im Labor korrigieren. „

Viele Kritiker sind ihm deswegen an die Gurgel gesprungen…

„Ich habe das Original nie angefaßt, das Original hat nämlich bisher noch niemand aufgetan! Es ist nicht so, als ob ich ein altes Gemälde übermalt hätte. Wer immer ‚Metropolis‘ stumm und uncoloriert sehen will, kann das jederzeit.“

„Da fragt man sich: Was ist besser für einen Klassiker wie ‚Metropolis‘: Daß mindestens zehn verschiedene Versionen in Museen verstauben und nur von einer Handvoll Leuten gesehen werden kann ? Oder daß dieses Meisterwerk von Hunderttausenden neu entdeckt wird, von einer Generation, die wahrscheinlich noch nie einen Stummfilm gesehen hat?“

Giorgio hat Blut geleckt und brütet schon über einem neuen Projekt. Nun will er Regie führen. Davon hat er den MGM-Boss Frank Yablans jedenfalls in fünf Minuten überzeugt.

„Es wird ein Action-Film“, sagt er. Mehr will er nicht verraten – und zieht sich in seine Tiroler Bauernstube zurück. Die ist der größte Gag in Giorgios Glaspalast. Einen Raum hat er seiner Herkunft gewidmet. Ein Stückchen Heimat… zum Abschalten.