Grateful Dead


Der Schlußpfiff für die Sixties. "„Captam Trips" ist tot, und mit ihm stirbt der letzte musikalische Aktivposten der amerikanischen Hippie-Szene: The Grateful Dead. ME/Sounds zieht Bilanz. Und läßt Musiker, Deadheads und Freunde Jerry Garcias zu Wort kommen.

Um 4.23 Uhr wurde Mr. Jerry Garcia in seinem Zimmer im Serenity Knolls Therapiezentrum leblos aufgefunden. Eine hinzugezogene Schwester unternahm Wiederbelebungsversuche, die Notärzte des Marin County Fire Departments wurden umgehend benachrichtigt. Nachdem alle Revitalisierungsversuche gescheitert waren, wurde Mr. Garcia für tot erklärt. Mr. Garcia starb eines natürlichen Todes.“ Was hier in der nüchternen Amtssprache des Sheriff’s Department von Marin County mitgeteilt wird, läßt für Hunderttausende Deadheads eine Welt zusammenbrechen.

Keine Band konnte sich jemals auf eine treuere, verrücktere, besessenere Fangemeinde verlassen, als die Musikkommune aus Kalifornien. Dead-head zu sein, ist seit fast dreißig Jahren ein way of life. Man bildet das letzte, halbwegs organisierte Refugium für Hippies, zieht mit der Band um die Welt, trifft sich lieber im Internet als in irgendwelchen Kneipen, in denen auch ein Elvis-Fanclub und der örtliche Vete- ranenverein tagen. Dabei sind Deadheads ein heterogenes Völkchen: Banker, Trinker, Baggerführer, zusammengehalten von der Liebe zu einer Band, die man getrost als kulturelles Phänomen bezeichnen kann. Bill Graham, legendärer Impresario und Schlüsselfigur der Frisco-Szene, entwickelte dazu seine eigene Logik: „Bei dem was sie tun, sind sie sicher nicht die Besten. Aber sie sind die einzigen, die es überhaupt tun.“

Tragisch, aber wahr: das Ableben Jerry Garcias bedeutet wohl auch das Ende der Grateful Dead. Von offizieller Seite gibt es zwar – aus verständlichen Gründen – noch keine Stellungnahme zur Zukunft der Band, doch die Dead ohne Garcia kommen in etwa den Rolling Stones ohne Mick Jagger gleich. Manche Musiker sind eben unersetzbar, ein Mensch wie Jerry Garcia allemal. Der erzrechte, beängstigend prominente US-Radiomoderator Rush Limbaugh sieht das natürlich ganz anders: „Garcia hat sein Leben mit Drogen zerstört. Daß er dennoch wie ein göttliches Wesen verehrt wird, beweist doch nur, daß unsere Werte völlig den Bach runtergegangen sind.“ God’s own country berauscht sich eben lieber an Bier, und mit Gottesfurcht, Rassismus und krankhaftem Waffenkult konnten die Grateful Dead und ihre Fans noch nie dienen. Garcia konsumierte zeitlebens illegale Substanzen, doch wer ihn für ein schlichtes Drogenopfer hält, vergißt seine Diabetes, seinen unbändigen Nikotinkonsum und sein ungesundes Übergewicht. Gerade mit letzterem dürfte Limbaughs White Trash-Klientel doch bestens vertraut sein….

Garcia war der Hippie aus dem Bilderbuch. Er lebte zeitweise in einem Wohnwagen am Strand, experimentierte mit Drogen und Musik, gab spirituellen Erfahrungen ein paar Dol-Iars jederzeit den Vorzug. Als Vordenker der Grateful Dead genoß er bereits in den Sechzigern den Ruf des „Captain Trips“: einer Mischung aus Guru, Vaterfigur und gutem Kumpel. Garcia hinterläßt vier Töchter, Ehefrau Deborah Koons ist laut i7seitigem Testament seine Haupterbin. Was der Verlust lerry Garcias wirklich bedeutet, weiß niemand besser als die, die ihn kannten, schätzten und seinen Lebensweg von Anfang an verfolgten. ME/Sounds gibt Deadheads, Musikern und Freunden Garcias das Wort:

BOB DYLAN: „Mir fehlen die

Worte, seine Größe und Wichtigkeit zu beschreiben. Keine Lobrede wird ihm jemals gerecht werden. Jerry hat mir mehr beigebracht, als ihm selbst je bewußt war. Die Lücke, die er hinterläßt, ist nicht zu schließen.“ RUSTY JONES (Deadhead): „Die Gemeinde hat ihren Patriarchen verloren.“ STANLEY MOUSE (Illustrator der Grateful Dead): „Jetzt, wo Jerry tot ist, hält er sich wahrscheinlich im Cyberspace auf. Aber ein Mann ist ohnehin nicht tot, bevor er vergessen ist.“ WIL-LIAM WELD (Gouverneur des Staates Massachusetts): „Ein Verlust für meine Generation und die meiner Kinder.“ CARLOS SANTANA: „Wir haben einen ganz besonderen Menschen verloren.“ STEVE SILBER-MAN (Dead-Biograph): „Grateful Dead waren das Sprachrohr einer Generation, aber sie ließen nur die Musik für sich sprechen. Die Botschaft war: Man muß nicht das Universum beherrschen, um glücklich zu sein. Man muß lediglich aufgeschlossen sein und jeden Ton mit ganzem Herzen spielen, dann wird einen die Musik an Orte führen, von denen man nicht zu träumen gewagt hätte.“ EVAN KAPLAN (Deadhead): „Während einer Show stand ich neben einem 45jährigen Geschäftsmann, der mir seinen Joint reichte. Der Typ war doppelt so alt wie ich, aber er war cool. Man sah immer drei Generationen von Deadheads:

beispielsweise einen Vater und seine Tochter, die wiederum ein Kind auf dem Arm trägt.“ DAVID FRICKE (US-Journalist): „Sein Tod markiert das Ende einer Ära, denn Grateful Dead waren die einzigen Überlebenden des San Francisco-Rock der sechziger Jahre. Und Jerry Garcia war ihr Aushängeschild.“ DENNIS McNALLY (Pressesprecher der Grateful Dead): „Gerade als er dabei war sich wieder zu erholen, gab sein Körper auf. Ich bin deprimiert, enttäuscht, frustriert.“ KEN ZAMBELLO (Professor für Musikgeschichte am Bostoner Berklee College): „In ein paar Jahren werden die Leute auf der Straße nicht unbedingt einen Dead-Song auf den Lippen haben. Die Band als kulturelles Phänomen hingegen wird unvergessen sein.“ DIETER GORNY (Viva-Geschäftsführer): „Es ist immer tragisch, wenn Musik, die wir als unendlich angesehen haben, auf einmal Grenzen gesetzt bekommt. Obwohl dadurch auch deutlich wird, wie selbstverständlich wir sie in die Gegenwart herübergeholt haben. Trotzdem: Dead ist nie dead.“ LINDA KELLY (Deadhead): „Künstler. Pionier. Geschichtenerzähler. Brillanter Musiker. Einer der letzten echten Outlaws des Wilden Westens. Jerry Garcia ist in unerforschte Gebiete vorgedrung- en.“ PAUL McCARTNEY (Hat in den letzten zwölf Jahren an einem Film über Jerry Garcia gearbeitet, der demnächst erscheint): „Eine Tragödie.“ MARTIN GROH (Deadhead): „In Gedanken bin ich bei den Dead-Shows, auf Reisen von Stadt zu Stadt, von Show zu Show. Jedes Konzert war phantastisch: ein einziges großes Happening, ein verrückter Zirkus.“ SAMMY HAGAR: „Es ist schade, daß einige der talentiertesten Musiker so früh von uns gehen. Es wäre doch wirklich interessant gewesen zu hören, was für Musik Jerry in zwanzig Jahren gespielt hätte.“ TONY AGRUSA (Deadhead und Gefängniswärter in der „California Men’s Colony“): „Ich habe den ganzen Tag geweint.“ PATRICK LEAHY (Deadhead und US-Senator): „Sein Tod ist wie ein Tritt in die Magengrube.“ JAMES HENKE (Rock’n’Roll Hall Of Farne): „Man wird sich an Jerry Garcia nicht nur als hervorragenden Musiker erinnern, sondern auch an den Lebensstil und die Werte, die er repräsentierte: Freiheit und Experimentierlust.“ FREDERICK FISHER (Deadhead): „Die sechziger Jahre sind am 9.August gestorben. Ich kann jetzt nach Hause gehen und meiner Frau erklären, daß ich erwachsen geworden bin.“