Groove im Gras


Der Mann, der mit einer süffigen Mischung aus Soul und Funk, verhaltenen Ethno-Elementen und Rhythm’n’Blues die Popmusik in der Vergangenheit kräftig zum Swingen brachte, meldet sich zurück. Jason „Jamiroquai“ Kay (31) empfängt uns auf seinem weitläufigen Landsitz in Buckinghamshire, um mit uns über sein neues Album „A Funk Odyssey“ (erscheint am 3. September; Anmerkung der Redaktion) zu reden. Doch dabei bleibt es nicht. Der medienscheue Star-Jay Kay hat bisher rund 16 Millionen CDs an den Mann gebracht – spricht freimütig über Biolandbau und Boogie, Funk und Verwirrung, italienische Sportwagen und ökologisches Denken.

Rückblickend betrachtet, wie waren die letzten Jahre so für dich?

Das letzte Album (gemeint ist der Topseller „Synkronized“ von 1999; Anmerkung der Redaktion) entstand in einer schwierigen Zeit. Ich hatte gerade erst das Studio fertiggestellt, und dann erwartet man auch von sich selbst, gleich ein erfolgreiches Album zu schreiben. Es war nicht einfach, die Dinge wieder aus der richtigen Perspektive zu sehen. Außerdem hatten wir Probleme mit der Struktur von Jamiroquai. Für „A Funk Odyssey“, die neue Platte, haben wir musikalisch einiges geändert, vor allem die Gitarre macht einen riesigen Unterschied. Ich wollte ein paar unserer alten Fans zurückgewinnen, die mir etwas vernachlässigt vorkamen. Es war an der Zeit, mal etwas zu verändern. Mir kam es so vor, als hätten wir mit der letzten Scheibe einige unserer alten Fans verprellt.

Wie lief die Arbeit an „A Funk Odyssey“?

Auf alle Fälle ganz anders als bei den letzten vier Platten, weil ich mir eine kleine Programming-Suite habe einbauen lassen, die mit dem großen Studio verbunden ist. Ich wollte ein bisschen Abstand zu dem gewinnen, was wir bisher gemacht haben, einerseits meiner eigenen geistigen Gesundheit zuliebe, andererseits aber auch, um diese ewigen Retro-Vorwürfe zu entkräften. Wir haben viel mehr mit Maschinen gearbeitet, und das fand ich deutlich interessanter, als noch eine Platte wie die anderen zu machen, auf denen wir praktisch ohne Maschinen auskamen. Jetzt wird es allerdings schwierig, die Geschichte für die Bühne umzusetzen. Wir sind einfach nicht daran gewöhnt, uns an ein vorgegebenes Set zu halten und im Takt einer Maschine zu spielen. Das wird lustig. Letztlich haben wir uns vor allem selbst gesampelt und das dann weiter bearbeitet. Wir sind immer noch dieselben, wir haben uns nur ein Stück weiterentwickelt. Mir gefällt das. Ich glaube, Tracks wie „Feel So Good“ haben das Potenzial für einen tollen Remix. Ich könnte mir vorstellen, Chocolate Puma mal zu fragen, obwohl das eigentlich eher was für „Little L“ wäre (die erste Auskopplung aus „A Funk Odyssey“; Anmerkung der Redaktion). Ich hätteja lieber“Feel So Good“ als Single gehabt. Deshalb würde ich mich auch freuen, die Nummer in den Clubs zu hören. Ich glaube, mit der kann jemand was richtig Fettes anstellen.

Du kannst dir also vorstellen, Leute wie Daft Punk auf die Plätze zu verweisen?

Klar, wir hatten Phillipe Tzar von Cassius hier, und der hängt auch mit Daft Punk ab, also kenne ich die, und ich finde sie echt stark. Ich finde auch Air richtig gut, die sind großartig. Vor einiger Zeit war ich in Paris, und die stehen da ja voll auf Disco. Das ist natürlich was ganz anderes als unser Material. Aber ich finde die Sachen sehr intelligent. Sehr schick und sexy. Ich denke, wir werden das erste Video in Paris drehen. Phillipe kam rüber, um „Twenty Zero One“ zu produzieren, aber dann wollte er wohl doch lieber mit seinen eigenen Sachen weitermachen. Aber er hat mir einen seiner Songs dagelassen, den soll ich singen. Die Nummer ist echt abgefahren. So sind die Franzosen, das gefällt mir.

Wann hast du dich das letzte Mal so richtig happy getanzt?

Das war auf Ibiza, da war ich wirklich supergut drauf, vor allem als Erick Morillo auch noch „Supersonic“ spielte. Das war echt irre, als die ganze Disco zu Jamiroquai abtanzte. Voll cool.

Wieso heißt das neue Album „A Funk Odyssey“?

Also, ganz offensichtlich ist das ja von „2001 A Space Odyssey“ (dtsch. Titel: „2001 – Odyssee im Weltraum“, Anmerkung der Redaktion) beeinflusst. Ich wollte das Album eigentlich „2001“ nennen, aber die Plattenfirma meinte, das sähe wie ein Verfallsdatum aus, also dachte ich mir „A Funk Odyssey“ aus.

Welche Stücke auf der neuen Platte sind aus deiner Sicht ganz besonders wichtig?

Ich glaube, „Corner Of The Earth“ ist entscheidend. Die Nummer fasst eigentlich zusammen, wo ich mich gerade befinde, wo ich stehe. Und ich glaube, der Song spricht jedem aus dem Herzen, der glücklich ist. Es ist ein beinahe spiritueller Song. Ich bin wirklich stolz darauf, denn auch textlich ist er sehr gelungen. Und musikalisch… man merkt,dass ich Astrud Gilberto gehört habe, aber so was mache ich gern, auch schon auf den anderen Alben. Ich glaube bloß, „Corner Of The Earth“ ist besser. Es macht Spaß, einen Song ohne Drums aufzunehmen, nur mit Maracas. Außerdem finde ich, „You Give Me Something“ und „Little L“ sind wirklich klasse Nummern für eine Band, wie wir es sind, weil diese Tracks einfach und geradeheraus angelegt sind.

Der Text zu „Picture Of My Life ist sehr persönlich, es geht darin um Verwirrung. Was ist der Hintergrund dieses Stückes?

Na ja, bei mir geht es auch rauf und runter, wie bei jedem anderen. Im Augenblick geht es wieder rauf.

Bei der Veröffentlichung des letzten Albums interessierten sich die Medien sehr für deine Beziehung zu Denise Van Outen. Die ist inzwischen beendet. Welche Bedeutung hat das für dich?

Die Leute fragen danach. Ich meine, „Picture Of My Life“ wird seinem Titel gerecht, so habe ich mich gefühlt. Eines Tages musste ich dieses Album machen und versuchte mich zu erinnern:Scheiße,wie schreibt man noch mal einen Song? Man will ja nicht immer alles von sich preisgeben. Also fragt man sich, was will ich den Leuten erzählen-und was nicht? Wenn man so will, geht es um meine Schwächen. Ich kann toll Sachen anfangen, aber ich kriege sie nicht immer gut zu Ende. „Hence this can never end, it’s infinitely sad/Somebody teil me when something good became so bad…“ – ehrlich gesagt, ich habe geweint, als ich das schrieb. Ich hätte beinahe beim Einsingen des Tracks im Studio geweint, so ehrlich sind diese Worte. Und sie erwischen mich jedes Mal. Aber das ist wunderbar, denn es ist keine einfache Liebesballade, sondern eine über die eigenen Fehler. Aber das sollen die Leute selbst rauskriegen. Meine Fehler behalte ich für mich. Und die anderen Songs? Nun ja, „Stop“ handelt von dem ganzen Druck, unter dem ich stehe, und „No Doubt“ habe ich erst kürzlich geschrieben, nachdem ich eine ganze Woche lang jeden Tag in der Zeitung war, das ist einfach pure Wut. Ich mag diese Songs wirklich gern. „Twenty Zero One“ packt einen echt bei den Eiern!

Wie kommst du eigentlich auf die Weltraum-Analogien in Songs wie „Feels So Good“?

Ich fände es klasse, ins All zu fliegen. Ich würde zu gerne die Planeten besuchen.

Für 60 Millionen Mark bist du dabei.

Mann, die hab ich aber nicht. Und die würde ich dafür auch nicht bezahlen!

Du hast dich schon immer für ökologisches Denken eingesetzt, liebst aber schnelle, benzinfressende Autos. Ist dieser Widerspruch immer noch ein Thema?

Puh. Ich bin doch auch nur ein Mensch, und keiner von uns ist perfekt. Ich glaube zwar an das, was ich schreibe, aber ich werde ja auch älter. Und trotzdem bleibe ich irgendwie auch ein Kind. Ich bin ja auch nicht der einzige, der ein schnelles Auto hat. Ich könnte 25 Wagen haben, aber man kann ja sowieso immer nur einen fahren, also was soll’s? Andererseits wissen die Leute einfach nicht, wie ich lebe. Ich baue mein eigenes Gemüse an. Ich versuche, aus dem Wasser auf meinem Grundstück meinen eigenen Strom zu gewinnen. Ich halte mich viel hier auf. Ich sorge dafür, dass alles gepflegt wird, dass keine Unkrautvernichter versprüht werden, dass wir so viel wie möglich recyceln. Ich fahre nicht zur Arbeit, also stehe ich auch nicht im Stau und verpeste tagtäglich die Umwelt. Jeder fliegt mit dem Flugzeug in den Urlaub. So ist das einfach. Ich versuche bloß, dass die Leute eine Perspektive entwickeln. Einer der Gründe, das dritte Album „Travelling Without Moving“ zu nennen, war, dass ich mich frage, wann es endlich soweit ist,dass wir reisen können, ohne uns zu bewegen. Wann verfügen wir über die Technologie, irgendwo hin zu gelangen, dabei aber die Umwelt nicht mehr zu verschmutzen? Aber was die Leute völlig vergessen: Das größte Problem auf der ganzen Welt ist, dass Menschen scheinbar gerne kämpfen, gerne Kriege führen. Die Leute müssten endlich mal begreifen, welcher Schaden entsteht, wenn Bomben abgeworfen werden. Da ist es doch wirklich scheißegal, ob ich am Sonntag mal den Ferrari raushole.

Was hältst du von handfesten Protesten wie zum Beispiel in Seattle?

Ich bin natürlich gegen die Gewalt. Und ich fände es auch besser, wenn die Demonstranten nicht nur gegen etwas wären, sondern uns Alternativen aufzeigen würden, was man stattdessen machen könnte. Außerdem sind das Problem doch nicht die Leute, die jeden Tag zur Arbeit fahren, die wollen doch auch nur irgendwie ihr Geld verdienen. Viel schlimmer sind die Waffenfirmen und die Leute, die deren Waffen kaufen -wie stark der Dollar dadurch wird. Kriege lassen Amerika Geld verdienen, und deshalb verhungern Menschen. Daran besteht kein Zweifel. Ich kann das aber nicht ändern. Ich dachte früher, ich könnte die Welt verändern. Aber das kann ich nicht. Ich kann bloß meine Songs schreiben. Ich meine, es weiß doch auch jeder,dass Schokolade ungesund ist, aber dann und wann braucht man eben einfach mal eine Tafel. Außerdem tue ich ja niemandem weh. Mit etwas Glück freuen sich die Leute über die Musik, das ist alles. In meinem Herzen trage ich eine andere Welt, aber ich kann nichts ändern. So ist das nun mal.

Du kriegst bestimmt mehr als jeder andere auf den Deckel, weil du Autos so sehr liebst?

Ach, alte italienische Sportwagen sind doch wirklich geradezu Kunstwerke. Und wenn ich nie zugegeben hätte, sie toll zu finden, und wenn ich nicht das Glück hätte, mir welche leisten zu können, dann hätte ich jetzt meine Ruhe. Aber warum sollte ich lügen?

Hast du überhaupt noch Ziele oder Wünsche?

Ich würde gern eine Fremdsprache lernen, weil ich gerne Songs in Portugiesisch aufnehmen möchte. Und sonst? Ich hätte gern einfach ein gutes musikalisches Jahr. Sonst fällt mir nichts ein. Ich liebe diese Phase, wenn man etwas erschaffen hat: Die Musik ist aufgenommen, und dann sieht man die kleinen silbernen Scheiben,das Albumcover, und dann steht das Album in den Läden, und dann ist man in den Charts. Ich liebe diese Achterbahnfahrt. Und das neue Album ist wirklich super geworden. Das letzte fand ich nicht so toll, aber bei diesem bin ich ganz sicher. Das hat auch damit zu tun.dass ich jetzt wieder Single bin. Ich bin jetzt nicht mehr dauernd auf den Pärchenseiten der Hochglanzmagazine.

Da du gerne Sachen ausprobierst – würdest du lieber experimentelle Musik machen?

Ja, der Druck, einen weiteren Hit zu liefern, ist schon groß. Aber für experimentelles Arbeiten braucht man Zeit. Wenn man der-Plattenfirma mächtig Kohle für die Videos schuldet, dann muss man eben versuchen, ein erfolgreiches Album abzuliefern, um seine Schulden zurückzuzahlen. Außerdem habe ich einfach nicht die Zeit. Ich habe richtiggehend vergessen, wie man sich entspannt.

Gartenarbeit hilft.

Ja, Gartenarbeit! Klar. Das ist nichts für mich. Wenn man mal richtig Kohle gemacht hat, kann man drei Jahre am Stück frei machen – ein Jahr auschillen, ein Jahr lang ausknobeln, was man als nächstes macht, und dann hat man noch sechs Monate hinterher. Aber soweit bin ich noch nicht. Und was die Musik betrifft: Was heißt überhaupt: experimentell? Ist es experimentell, wenn man Gitarre spielt, sie durch tausend Filter jagt und dazu mit geisterhafter Stimme singt? Oder ist es experimentell, wenn man eigene Synthesizer baut, so wie Jean-Michel Jarre? So was kann ich nicht,da blamiereich mich nur.

Das also nicht. Was kommt denn dann als nächstes?

Jedenfalls kein Greatest-Hits-Album. Nach fünf Platten macht man doch noch kein Greatest-Hits-Album. Ein bisschen mehr steckt schon noch in mir drin.

Was bedeutet es dir, satte 16 Millionen Alben verkauft zu haben?

Erfolg ist für mich vor allem, wenn sich die Leute bei einem Konzert amüsieren – wenn es ein tolles Album geworden ist und ich daran genauso viel Spaß habe wie die Zuhörer. An dem ganzen Ding, nicht nur an einem Song. Unsere Platten sind weltweit erfolgreich,das ist cool. Inzwischen will ich.dass mein neues Album mindestens unter die fünf besten Platten des Jahres kommt. Das haben wir bisher noch nicht geschafft.

Wo stehst du im großen Plan der Dinge?

Ich hab neulich zum glühend roten Mars hochgeschaut und gedacht, wirstehen hierauf diesem kleinen Gesteinsbrocken, und trotzdem denken wir uns Wesen aus, Götter, über die wir streiten können. Ich kann das Jahr 2028 kaum erwarten, wenn ein fetter Komet 600.000 Meilen an der Erde vorbeirauschen soll. Aber das ist kaum so viel wie Staub auf einem Kricketball. Und wenn sie sich verrechnet haben, so wie bei der Sonde, die sie zum Pluto geschickt haben, dann sind wir alle am Arsch. Keiner von uns ist was Besonderes. Ich bin bloß ein Affe mit einem etwas größeren Gehirn.

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