Gruft-Cowboys


Gut möglich, daß sie die derzeit am lautesten verlachte Combo Britanniens sind. Schon wegen ihrer Kleidung: Wer nach Beispielen für ein besonders eleganzloses Pop-Outfit fahndet, deutet stracks in Richtung ihrer verstaubten Wegelagerer-Montur — und wiehert los. Dann aber auch wegen der Musik: Wer ein Paradebeispiel braucht für unmodische, abgesagte Rockmusik, frei jeglicher angesagter Tanzrhythmen, der schleudert (ungehört natürlich) die Nephilims in den Diskussionsring und erntet Lacher zu Häuf.

„77a, so ist es schon“, brummt Bassist Tony Pettit ins Bier, wohlverdiente Nachspeise nach einem schweißdurchsetzten Probenachmittag: „So schlimm ist’s inzwischen, daß wir echte Probleme haben, überhaupt eine Supportband ßr unsere Tour zu kriegen. Die haben alle höllische Angst, das ruiniere den Ruf auf immer und ewig.“

Dabei sind die Fünf allesamt umgängliche junge Herren, die sich für die gespendete Runde mehrmals mit ausgesuchten Höflichkeiten wie „Nice One!“ oder „Thanks!“ bedanken. Und dabei sind ihre Bühnenkleider bestimmt nicht komischer als die von Cult oder Michael Jackson. Und dabei hat sich ihre Musik in viereinhalb Jahren genug Fans ans Herz gespielt, daß ihre London-Gigs heutzutage in der 3000er-Halle „Brixton Academy“ stattfinden, daß ihre Debüt-LP DAWN RAZOR im vergangenen Jahr monatelang die Indie-Charts durchdröhnte, daß kürzlich mit der Single „Moonchild“ der erste Top 30-Pophit gelang, und daß das neue LP-Werk THE NEPHILIM ebenfalls nicht mehr bloß in den „unabhängigen“ Shops und Charts hängenblieb. In der Tat haben sich Fields of Nephilim dem bösartigen Volksmund zum Trotz ein so formidables Gefolge von freidenkenden Musikfans angeeignet, daß sie 1987 von den Lesern des „Melody Maker“ zur drittgrößten neuen Hoffnung gewählt wurden; DAWN RAZOR schaffte zudem eine Nennung unter den Top 10 LPs des gleichen Jahres. Tony: „Damit begannen auch die Medien ein gewisses Interesse an uns zu zeigen. Bis dahin hatte man wohl gehofft, wir verschwänden wieder von alleine. Letztlich hat sich das Desinteresse wohl aber zu unserem Vorteil ausgewirkt: Wir können tun und lassen, was wir wollen. Wir sind keinerlei Druck ausgesetzt und können auch ohne die Manipulationen der Presse und den Druck einer großen Plattenfirma leben. So erfreuen wir uns aller Freiheiten der Anonymität und kriegen dennoch große Hallen voll. “ The Neff (so der Kurzname) entstand aus verschiedenen Lokal Combos in einem drögen Londoner Satellitennest namens Stevenage. Erinnert sich Carl: “ Unser Zusammenkommen war ein absoluter Zufall. Trotzdem war uns sogleich klar, daß wir alle auf der selben Wellenlänge lagen. Um unser erstes Live-Set zusammenzustellen, brauchten wir gerade drei Monate. Da steckte keine großartige Planung dahinter, das kam einfach so.“

„Das kam einfach so“ — zweifelsohne eine Lieblingsphrase der Neffs, auch wenn’s um die so oft verspotteten Klamotten geht: „Solche Kleider hatten wir schon immer gesammelt“, möchte Carl festgehalten wissen, derweil Tony die Existenz gewisser Hintergedanken immerhin andeutet: „Die Hüte haben schon eine gewisse Symbolik. Wir interessieren uns alle für die Spaghetti- Western, die eine unglaublich dichte Atmosphäre haben.

, Once Upon A Time In The West‘ zum Beispiel, das war eine echte Alternative zu den üblichen Western. Da kamen keine Helden im herkömmlichen Sinne vor, da geschah auch nie das Offensichtliche. Schon die ursprüngliche Filmlänge von viereinhalb Stunden war außergewöhnlich. Die Handlung zog sich deswegen ganz langsam dahin — und das wiederum kreierte eine magische Atmosphäre. Und außerdem steckt in diesen Spaghetti-Western noch ein sattes Element der Verarschung.“

Ein „Element der Verarschung“, oder doch zumindest ein kumpelhumoriges Augenzwinkern glaubte dann auch mancher Beobachter im dunkeldüsteren Neandermetall von DAWN RAZOR zu sichten. THE NEPHI-LIM ist im Vergleich zum Vorwerk eine bedeutend abwechslungsreichere Sammlung von lauten, aber auch stillen Klängen, die auf einer beängstigend hohen Energiewelle dahergesurft kommen.

„Wir sind extremer geworden“, stimmt Tony bei. „Das musikalische Spektrum dehnt sich jetzt vom Rauhen, Manischen der frühen Aufnahmen bis hin zu öden, langsamen, atmosphärischen Songs.“

Carl: „Klar, daß auf NEPHILIM mehr Subtilitäten auftauchen. Wir haben gelernt, daß wir nicht mehr gleichzeitig drauflosdreschen müssen.

Wir haben ja auch doppelt so langfir äe Aufnahmen gebraucht wie noch für DAWN RAZOR: tanze 20 Tage!“