Haindling


Mir hom da a neie Gruppn eich vorzumstelln, den Buchner Hansl und die Böglmüller Uli, wo Haindlinger san und a pfundige bayrischasiatische Misch-Musi mochn. Und rocknrolln tuns die Zwoa a no! Host mi?!

Eine Hinterhof-Idylle mit Kastanienbäumen, Kindern, die auf malerischen Außentreppen sitzen, Katzen und Hunden, eine Garage, die aussieht wie ein bayrisches Försterhaus, ein „open-air“-Büffet mit Spanferkel, Kartoffel- und Krautsalat, Schnittlauchbroten und Apfelstrudel, Bierfässern und handgemachten Keramikkrügen. Darüber ein bilderbuchblauer Himmel und die Töne des „Erzherzog Johann“-Jodlers – die Kulisse für ein bayrisches Bürgerfest?

Mitnichten, das heißt, Bürger sind natürlich da, Hausbewohner, Nachbarn, ein Fest ist es auch und der Schauplatz ist in der Tat München an der Isar.

Was nicht so ganz stimmt, ist das Aussehen mancher Gäste: Alternative, Künstler, Handwerker, Promotion- und Presseleute. Und auch mit dem Jodler ist irgendwas nicht in Ordnung. So schräg klingt der, so seltsam. Er stammt von Gastgeber Hans-Jürgen Buchner, der gerade die Tuba beiseite legt und mit bayrischer Hinterfotzigkeit verkündet:

„Das zweite Schwein kommt gleich!“ So ein Satz kann ja innerhalb der Musikbranche falsch verstanden werden, doch Buchner geht’s wirklich nur um das Spanferkel und daß der Herrgott es verdammt gut mit ihm meint. Jedenfalls bei der Präsentation der ersten LP „Haindling 1″ von Jürgen Buchner, 37, und seiner Freundin Ulrike Böglmüller aus Niederbayern. Skurrile Visionen auf dem Hochsitz: Herbert Achternbusch, Alexeij Sagerer, Gerhard Polt. Wer nicht bayrofil ist auch Karl Valentin nützt als Hinweis. Die langsame Akzentuierung der Sprache, die gedehnten Konsonanten, die Situationskomik, eine Art Doppelbödigkeit des Simplen. Die Musik besteht nicht allein aus Worten, Bauernschläue, Anarchismus, Humor und Kindheitserinnerungen, sie besteht aus Volksmusik, Rock’n‘-Roll, Indien, Elektronik, aus Herz und Schmerz und Wehmut. “ Wo i geh und steh, duad mia mei Herz so weh…“ Eine grobe Beschreibung der Buchner-Musik, grob deshalb, weil zu viel zusammenkommt.

„Alles, was ich in meinem Leben bisher gehört habe, ist bei mir im Hirn gespeichert – eine bodenlose Goldgrube.“ Buchner ist kein Folklore-Bayer, auch wenn er Mundart-Gstanzl singt. Trotz Land-Idylle ist die Welt nicht intakt auf dem niederbayrischen Dorf in der Nähe von Landshut. Der 300 Jahre alte ehemalige Gasthof neben der Kirche ist seit fünf Jahren seine Heimat. Der gelernte Keramikmeister, der 1978 den Staatspreis für seine Arbeit bekam, hat seine Basis, seine Existenz für die Musik liebevoll und fachmännisch ausgebaut. Einrichtung und Umbau verraten Können, Ehrgeiz, Liebe zum Detail und einen sehr eigenwilligen Geschmack. Asien & Bayern, eine luxuriöse und dennoch ökonomische Verbindung und überall wunderschöne selbstgemachte Keramiken.

Die ehemalige Gaststube ist Büro und Empfangsraum, in der Küche kreischt ein temperamentvoller Vogel, Betten und Schränke in geräumigen Kemenaten voller Licht. Dazwischen das umfangreiche Instrumentarium: Konzertflügel, zwei Synthesizer, Schlagzeug und Perkussionsinstrumente, Pauken und Trompeten, Tenorhorn, Sopran- und Tenorsaxophon. Im ehemaligen Schulhaus gegenüber wohnen Freunde, ebenfalls kreative Handwerker: Kunstmaler, Schreiner, Hinterglasmaler. Und der Biergarten am Dorfplatz gehört Buchner. Eine heile Welt?

Der grüblerische Hausherr schüttelt den Kopf, kämpft gerade um eine Kastanie, die einer Sanierung zum Opfer fallen soll.

„Der ‚Erzherzog Johann‘ ist keine Parodie, ich habe das Lied so aufgenommen, weil ich damit sagen will:Damals war die Umwelt und Natur noch in Ordnung und wenn ich dieses Lied hör, muß ich daran denken und auch daran, wies jetzt überall aussieht. Außerdem erinnert es mich an meine Kindheit, meine Eltern haben es bei Spaziergängen immer gesungen. Das war eine schöne Zeit.“ Ein bißchen Paranoia hat er auch, daß sein ruhiges Dorf zu einer Art Wallfahrtsstätte für Touristen werden könnte, weil die Plattenfirma den Ort so detailliert beschrieben hat. Dabei ist er mit Freundin Uli von Straubing weggezogen, um seine Ruhe zu haben.

Der Zufall spielt bei Buchner eine große Rolle, „schon fast unheimlich ist das“. Vor genau 100 Jahren gehörte der Gasthof zum Beispiel einem Wirt, der Büchner hieß. Und zufällig zogen ein paar Freunde von ihm in die Schule und zufällig hat er Kevin Coyne kennengelernt.

Früher war es für den Sohn eines Tierarztes nicht so einfach. Aus jeder Schule ist er geflogen, erst die Keramik-Schule in Landshut hat er abgeschlossen. Aber die Musik hat nebenbei immer eine große Rolle gespielt. Zuerst Klavierunterricht, dann bekam er für eine gute Französisch-Note eine Trompete, die Blasmusik hatte es ihm auch angetan – und im Kloster schließlich gründete er eine Jazz-Gruppe. Dann kamen Bands, “ da wollte einer immer wie limi Hendrix spielen und der andere ohne Wah-Wah-Pedal.“ Da hat er nur noch für sich selbst gespielt, Bänder aufgenommen, mit Uli zusammen lustige Abende veranstaltet. Bis er Kevin Coyne in Wien traf. Dem gefielen die Bänder ausgezeichnet. Kevin besuchte Buchner auf dem Land, der machte inzwischen Theatermusik für Alexeij Sagerer und für die Fernsehserie „Die Grönlandflieger“. Mit Coyne trat er in der Münchner Alabama-Halle und in Regensburg auf.

Jetzt ist die Platte da, die anfangs keine Plattenfirma haben wollte. Buchner zu seiner Musik im Presse-Info: „Die Musik fließt ins Hirn und bleibt hängen oder nicht. Wer sie hören will, muß fühlen!“ Zwischen kreativer Betriebsamkeit macht er bisweilen einen Gig in einer Land-Disco. “ Vollplayback, das ist eine Frechheit, aber ich steh auf Frechheiten.“ Deshalb will er eigentlich keine richtige Live-Band. „Das ist unnötige Zeitverschwendung, alte Lieder einzuüben. In der Zeit kann man was Neues machen. “ Niederbayrische Weisheiten krieg ich zuhauf um die Ohren. Spätabends in der nächstgelegenen Pizzeria meint Uli, die Frau mit Geist und Mutterwitz: „Wenn man sich mit etwas beschäftigt, dann kommt dabei auch etwas heraus.“ In Niederbayern ist die Welt doch noch in Ordnung, zumindest die im Kopf.