Hier spricht Zeltinger, euer Chef!


Exakt ein Jahr nachdem der MUSIK EXPRESS die damals als kleine Sensation gefeierte Zeltinger Band vorstellte, nehmen wir sie uns ein zweites Mal vor.Auf unserer Folie präsentiert sich die Plaat, wie es wohl jeder von ihm erwartet: nämlich als Original. Das Betriebsklima erscheint nach wie vor rauh aber herzlich, auch die Songs -— soweit gehört —- besitzen zum Teil noch das bewährte Prolo-Rock-Feuer. Trotzdem tauchen erste Bedenken auf, inwieweit das Image möglicherweise schon an die Substanz geht.

Es kommt meistens anders, als man denkt. Als ich im Dezember ’79 nach Köln fuhr, um mir das Gastspiel der damals relativ neuen Zeltinger Band anzusehen, traf ich am Tag darauf einen draufgängerischen Haufen angriffslustiger Musiker. Das Interview in einer Kölner Kneipe war laut, lustig und nicht immer ganz jugendfrei. In Erwartung eines ähnlich witzigen Gemetzels macht ich mich nun knapp ein Jahr später wieder auf den Weg. Die zweite LP war fällig.

Kurz nach 12 Uhr gehe ich zum vereinbarten Treffpunkt ins Cafe Fleur (wohin sonst?) und laufe eher zufällig in den zierlichen Drummer Cay hinein, der gepflegt gestylt an der Bar einen Kaffee trinkt. Ralph, den Gitarristen, erkenne ich erst auf den vierten Blick. Vielleicht, weil er sich so ruhig verhält. Der Meister selbst wird vermißt. Er sei nachts irgendwo in einer Kneipe zusammengebrochen, Kreislaufkollaps. Als man ihn per Krankenwagen fortbrachte, sollten seine letzten Worte gewesen sein: „12 Uhr, Fleur!“ Das gibt uns Hoffnung.

Eine Viertelstunde später taucht er tatsächlich auf. Ein Indianer kennt eben keinen Schmerz. Was folgt, ist ein kölsches Gewitter aus Gelächter und belustigter Rückschau auf das, was der Plaat nachts widerfahren war. Ich verstehe nur bruchstückweise, reime mir aber irgendwie zusammen, daß unserem „Asi mit Nivoh“ möglicherweise nach einem verdorbenen Glas Sekt mulmig geworden war und daß er — als ihn die Sanitäter von der Bühne des Geschehens getragen haben — noch für einen filmreifen Abgang gesorgt haben muß. Wenigstens ich will mich da in Anteilnahme üben und frage, ob er sich denn fit fühle; die liebevolle Boshaftigkeit seiner zwei Musiker stellt die Einsatzbereitschaft ihres Chefs offenbar überhaupt nicht in Frage. Wenig später sitzen wir in der Wohnung der Malerin Rune Milds um den Recorder herum, Jürgen Zeltinger muß tatsächlich erst warmlaufen, liefert zum Ende aber noch ein Meisterstück von Klimbim-Loriot’scher Qualität: die öffentliche Generalprobe einer Ansprache an den ME-Leser findet Ihr als Auftakt auf unserer Schallfolie. „Hier spricht Zeltinger, Euer Chef…!“ Mit dieser bedeutungsschwangeren Einleitung hatte er kurz zuvor wieder einmal seine Band entlassen. Als die Musiker ihn anriefen, kam ihnen die geladene Kündigung über den Anrufbeantworter entgegen. Einer der Gründe, wegen der die Band so gut funktioniere, erklart Cay, sei eben der, daß derartige Liquidierungen in regelmäßigen Abständen über die Bühne gingen. „Wenn ich besoffen bin, löse ich die Band grundsätzlich auf,“ schmunzelt der Boß, und Cay liefert eine lebhafte Beschreibung dessen, was sich abzuspielen pflegt, wenn die Zeltinger Band in ihrem „Reise-Limousinchen“ (O-Ton Chef) zu Auftritten fährt. Da falle dann jeder über jeden her und wenn sich diese kultivierte Anmache nicht von selbst entzünde, müsse sie eben „gekitzelt“ werden. So käme halt alles gleich auf den Tisch, keiner müßte seine stille Wut über die anderen zu lange mit sich herumtragen.

Gewisse Skepsis hatte sich eigentlich bei mir schon breitgemacht, als ich die erste, live eingespielte, LP der Band hörte. Mit höchstem Vergnügen zwar, aber mit den Bedenken, daß ein uriger Haufen wie dieser doch wohl von der Response aus dem Publikum lebe und daß vieles von ihrem ungeschliffenen Charme im Studio möglicherweise untergehen würde. Die wenigen Titel, die ich bislang von der neuen Platte, SCHLEIMICH, hörte, fand ich jedoch wieder recht erfrischend. Dies mag nicht zuletzt das Verdienst von Conny Planck sein, unter dessen Regie die Studio-LP entstand. Wer Zeltinger auf der ersten LP mochte, wird kaum enttäuscht sein. Und wer sowieso nicht auf diese Art von Prolo-Humor steht, dem wird auch die dynamische Musik wenig weiterhelfen.

SCHLEIMICH wurde unter Live-Bedingungen im geräumigen Can-Studio eingespielt, wo Conny Planck Raum-Mikrophone installiert hatte. Bei der Produktion von „Asi mit Nivoh“ (diesmal von der Band für ihren Anführer getextet) bewies er außerdem, daß keine Idee abwegig genug sein kann, um einer Single zu einem effektvollen Ausklang zu verhelfen. Ehe die Klospülung in Aktion tritt, vermischen sich Rock’n’Roll, eine Mozart-Sinfonie und ein vierzigstimmiger Frauen-Choral zu einer Wolke, in der Zeltingers Gesang und Holger Czukays Hörn eingebettet liegen. Wer sich nicht vorstellen kann, wie so etwas klingt, kann ja mal die Folie zur Hand nehmen.

„Ich bin en Asi mit Nivoh, lese Lyrik auf dem Klo/Ich poliere Kritikern die Fresse…“ Also mir gegenüber benahm sich Zeltinger immer wie ein Gentleman, aber wer weiß? Mit welchem Lustgefühl singst du sowas, Jürgen? „Das muß man alles nicht so ernst nehmen,“ schmunzelt er wieder. Richtig. Schließlich ist das nur ein Lied, das humorvoll mit dem Asi (Asozialen)-Image von Jürgen Zeltinger und der Band umgeht. Ein Image, das von den Jungs am Anfang wohl bewußt und starker gepflegt worden war, jetzt für Jürgen selbst nicht mehr nur komisch ist. So schätzt es sein Musikverleger Walter Holzbauer zum Beispiel nicht mehr sonderlich, wenn überall nur im Zusammenhang mit der Plaat lustig verpackte Anekdoten die Runde machen, die ihn ausschließlich als originellen Trunkenbold schildern. Aber wer kennt Jürgen Zeltinger, wenn er cool und geschäftsmäßig mit seinem Verleger verhandelt? Das Publikum kennt ihn von der Bühne und von Platte, die Kölner sehen ihn in seinen Stammpinten, und seine Musiker haben ein Heidenvergnügen daran, sich in Vorkommnissen zu baden, wie Jürgens geradezu gefeierten Zusammenbruch, von dem er sich jetzt beim Interview langsam erholt. Der öffentliche Jürgen Zeltinger ist ein Original, das niemand anders haben will. Wer hätte uns an dieser Stelle auch abgenommen, wenn wir ein stures, ernstes Interview abgedruckt härten? Wenn wir plötzlich einen Zeltinger auf Folie „verkauft“ hätten, den keiner kennt? Dann wäre das, was er auf Bühne und Platte bringt, plötzlich nicht mehr echt gewesen, sondern reines Theater. Aber noch kann er sich schlecht verstellen, und so pfeift er auch im Gespräch auf diplomatische Umschreibungen, wenn ihm irgendetwas stinkt. So zum Beispiel ein Artikel aus der Jugendzeitschrift ‚ran‘, in dem der Zeltinger Band einige Dinge nachgesagt werden, die so, wie sie da stehen, kein gutes Licht auf die Band werfen.

Unter der Headline „Ohne Whisky-Marke Southem Comfort kein Aufritt —- Zeltinger im Höhenrausch“ ging es schonungslos zur Sache: den Musikern wurde unter anderem vorgeworfen, extravagante Verpflegung verlangt und mit Abreise gedroht zu haben, nachdem Nektar, die vor ihnen spielten, ein paar Minuten überzogen hätten. So, wie es heißt, geschehen bei einer von den Jungsozialisten organisierten Veranstaltung in Essen.

Und was sagt die Band? Zeltinger: „Unser Auftritt sollte um 22 Uhr beginnen. Und das verzögerte sich nicht um ein paar Minuten sondern bis 1 Uhr nachts. Um 1 Uhr nachts sind wir auf die Bühne gekommen. Deshalb waren wir sauer und haben gedroht, wenn wu nicht bald an die Reihe kämen, würden wir wieder abreisen. Zumal unser Publikum sehr jung ist, und wir ihm nicht zumuten können, bis zwei Uhr nachts da auszuharren. Dazu kommt, daß um diese Zeit auch die Verkehrsverbindungen katastrophal sind.“ Und was die Spezialwünsche bei der Verpflegung betrifft, dazu meint Cay: „Wir haben ein Steak mit Fritten bekommen, ohne Besteck, und darüber haben wir uns mokiert; ob wir Schweine seien, die mit den Händen essen müßten. Und jemand hat gefragt, ob er statt Pommes Frites nicht Reis bekommen könnte. Und was die Getränke betrifft: wir haben eine Flasche Southern Comfort, einen Kasten Bier, zehn Flaschen Fruchtsaft und drei Flaschen Milch gekriegt. Und wenn man sich anguckt, was andere Bands für Verpflegungslisten haben, dann muß ich sagen, ist das mehr als dürftig.“ Außerdem würde die Band auch gar nicht darauf bestehen, daß unbedingt eine Flasche Whisky da stehe und auch die Beschränkung auf eine bestimmte Fruchtsaftmarke sei lächerlich.

Gift versprüht Zeltinger, wenn er von dem Ereignis spricht, das auch von ‚ran‘ aufgegriffen worden war: eine Woche nach dem Festival in Essen war die Band abgereist, weil laut ‚ran‘ „ihnen die Anlage nicht gut genug war.“ Die Band stellt es so dar, daß dabei wieder die typischen Schikanen im Spiele gewesen seien, die Headliner Bands bekanntlich gern mit ihren Vorgruppen treiben. Jürgen: „Es war uns vertraglich zugesichert, daß wir über die Anlage von Journey spielen können. Die verbaten uns dann jedoch, daß wir ihre Effektgeräte benutzen und stellten 50 Prozent der PA ab.“ Ralph: „Sie haben die Anpassungsregler am Mischpult zugeklebt, damit wir nicht dran konnten. Und für uns hat es die Nachteile, daß wir uns auf der Bühne nicht über die Monitore hören. Fazit: Wozu habe man den Tontechniker dabei, wenn der nicht mal den Sound kontrollieren darf? Die Zeltinger Band behauptet jedenfalls steif und fest, Journey habe sich sogar erfreut gezeigt, um nicht zu sagen dankbar, daß sie auf ihrem Aufritt verzichtet hatten, denn schließlich sei ein großer Teil „nur wegen uns gekommen.“

Naja, da sind wir wieder im üblichen Hickhack, ohne den es auf der Szene wohl nie laufen wird. Musiker contra Veranstalter oder umgekehrt, Headliner Band im Kleinkrieg mit dem sogenannten Support Act. Aber war es nicht auch beim Auftritt der Bluesband im Vorprogramm der Allman Brothers so, daß die Gitarren schmerzhaft ins Ohr schrillten?

Ansonsten geben sich die Mm Musiker jedoch recht gelassen, wenn es um das Konkurrenzgefüge geht. „Es gibt 50 000 Leute, die besser spielen als wir,“ meint Cay selbstbewußt, „aber erstens geben wir das zu und außerdem kommt es darauf an, was rüberkommt.“ Und Jürgen bekennt sich zur unprätentiösen Sprache der Straße. „Wenn man damit auch hin und wieder was ‚rüberbringen kann, ist es umso besser!“

Irgendwie sind sie jedoch verdammt ruhig geworden, oder liegt es am angeschlagenen Zustand Zeltingers und daran, daß dieses Mal nur drei Musiker da sind? Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, bei der Ralph und Cay wie aufgedreht vom Leder zogen. Damals war noch Bassist Norbert Zucker da bei, hitzig, hitzig, aber heute ist wirklich nicht viel Speed im Spiel. Wir verabschieden uns, nachdem Jürgen unter Gelächter der 1 Anwesenden seine charmanten Worte an die Musik Express-Leser sortiert hat, dann muß er heim ins Bett. Zuvor hat er mir noch Ralph als Begleitschutz zugeteilt. Ich könnte ja wohl schlecht allein drüben auf meine nächste Verabredung warten. Er weiß eben, was sich gehört. Wir verabreden uns für irgendwann im berühmten Peppermint. Ralph trottet brav mit mir zurück ins Cafe Fleur. Was für ein ruhiger, zurückhaltender Junge. „Entweder geht’s auf der Bühne los oder im Bett,“ hatte er damals posaunt, als wir scherzhaft über Groupies sprachen. Jetzt war er fast schüchtern. Er erzählt mir, daß er früher so etwas ähnliches wie Genesis-Musik gespielt habe, mit einem ungeheuren Anspruch dahinter. Cay und die Plaat vermitteln jeder eine eigene Art von Glamour. Doch Ralph wirkt fast verloren ohne die anderen.