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Hotlist 2023: Die spannendsten Newcomer*innen des Jahres


Von Domiziana und Nina Chuba über Armani White bis Tara Lily: Die folgenden 16 Newcomer*innen werden (oder sollten) das Popjahr 2023 geprägt haben.

Ethel Cain: Wer hat Angst vorm Hinterland?

Ethel Cains ätherischer Alternative Rock erzählt von den Schattenseiten des American Dream und den düsteren Geheimnissen hinter der Fassade christlicher Gemeinden. Eine weitaus dunklere Americana-Version als bei Kollegin Lana Del Rey.

Ethel Cain ist ein Alter Ego. Hayden Silas Anhedönia hat sie erfunden. Als Ethel bewegt sie sich in einem goth-angehauchtem Kosmos verfluchter Häuser, viktorianischer Kleider und dem Einfluss des Bibelgürtels. Angefangen hat das alles mit Anfang zwanzig. Da bewohnte Hayden gemeinsam mit Freunden eine verlassene Kirche für knappe tausend Dollar Miete im Monat. Nachdem sie die Serie „Unsere kleine Farm“ geschaut hatte, bestellte sie sich ein langes viktorianisches Vintage-Kleid auf Etsy, die Figur der Ethel Cain wurde geboren.

Hayden Anhedönia ist selbst in sektenähnlichen Zuständen aufgewachsen. Ihre Kindheit in einer Kleinstadt in Florida war ultra-christlich geprägt: Hollywood-Filme waren nicht erlaubt, aus der Stereoanlage schallte Kirchenmusik, gregorianische Chöre und christlicher Synth-Pop. Aktivitäten außer Haus fanden nur im Deckmantel der christlichen Gemeinde statt und unterrichtet wurde sie zu Hause von ihrem Vater. Als sie sich im Teenager-Alter, damals noch als Junge lebend, als schwul outete, begann eine regelrechte Hexenjagd.

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Allein ihr Therapeut konnte ihr versichern, dass sie nicht in die Hölle kam. Der war eigentlich engagiert worden, um sie zu „bekehren“, aber: „Er hatte wohl das Konzept nicht ganz verstanden“, schmunzelt Hayden heute. Mit 18 Jahren brach sie aus ihrer christlichen Gemeinschaft aus, zog in die nächste größere Stadt und jobbte in einem Nagelsalon. Es folgte ihr Outing als Transfrau an ihrem 20. Geburtstag und das experimentelle Produzieren von Musik, Texten und Film, sowie der Entschluss, ihr
Leben dem künstlerischen Arbeiten zu widmen.

Nach drei EPs erschien 2022 das vielgelobte Debütalbum PREACHER’S DAUGHTER. Vier Jahre hatte die Songwriterin an dem Konzeptalbum gearbeitet, das die Lebensgeschichte ihres Alter Egos Ethel Cain erzählt: der Tochter eines Priesters, die ihrem tristen Leben entkommt, nur um auf der Straße psychische Abhängigkeit und Missbrauch zu erfahren. Niemand schreibt über das religiöse amerikanische Hinterland so grafisch und schonungslos wie sie – von Drogenmissbrauch bis zu körperlicher Gewalt.

Ethel Cain unterzieht den amerikanischen Traum einem Reality-Check. Seit ihrer Kindheit sang sie in Kirchenchören und tatsächlich klingt es auf PREACHER‘S DAUGHTER so, als würde ihre Stimme noch immer durch sakrale Gebäude hallen. Gitarre und Drums in den bis zu neunminütigen Tracks dröhnen schwer wie zu Peak-Zeiten des Shoegaze und Slowcore. Im Grunde könnten Ethel Cain und Hayden Anhedönia ein- und dieselbe Person sein, sagt die Künstlerin, hätte Letztere nicht beschlossen, ihre Traumata aufzuarbeiten.

Ihren Körper zieren Dutzende selbstgestochene Tattoos – Kreuze, Symbole, Schriftzüge. Darunter auch ihr liebster: „Gott liebt dich, aber nicht genug, um dich zu retten.“

(Sophie Boche)

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Woher: amerikanischer Bible Belt
Klingt wie: American Gothic, Lana Del Rey, Florence Welch, Mazzy Star
Anspieltipps: „Hard Times“, „American Teenager“
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