„ICH LIEBE DAS CHRISTEN-TUM, ICH MAG NUR KEINE CHRISTEN“


Einer deiner Songs trägt den Titel „Hildegard von Bingen“. Du schilderst darin, wie die Mystikerin VJane bei einem amerikanischen Musiksender wird. Wie kam es dazu?

Ich habe mein neues Album auf dem Label Nonesuch veröffentlicht. Eine wunderbare Plattenfirma, auf der unter anderem Musik von Karlheinz Stockhausen und Randy Newman erschienen ist. Dort wiederum steht auch das Kronos Quartet unter Vertrag. Und das nahm eines der Stücke von Hildegard auf, das mir sehr gut gefiel. Ich las mich also ein wenig in ihre Biografie ein und war begeistert. Eine faszinierende Person. Ich denke, der Rest meines Lebens wird folgendermaßen aussehen: 95 Prozent meiner Zeit werde ich dem Schreiben von Songs über Feministinnen aus dem Mittelalter widmen. Die restlichen fünf Prozent tragen das Schlagwort „Verschiedenes“.(lacht)

In Deutschland dürfte sie vor allem für Teemischungen und Kochbücher bekannt sein, die ihren Namen tragen.

Ist doch wunderbar! Selbst wenn es eine kommerzielle Nutzung ist – etwas von ihren Ideen wird so zu den Menschen getragen. In den USA ist sie sehr obskur, da kennt sie niemand. Vielleicht wird sich das aber ändern. Auch, wenn der Song natürlich eine lustige Geschichte erzählt, schlägt womöglich der eine oder andere ihren Namen nach. Eigentlich wollte ich noch Afrika Bambaataa im Text unterbringen. „Zulu Nation“ hätte sich dann auf „Rotation“ gereimt. Aber das erschien mir dann doch zu albern. Weißt du, was am Traurigsten ist?

Was?

Dass wir die Lieder Hildegard von Bingens nie im Original hören können. Auch die Musik von Ravel oder Beethoven können wir nie so wahrnehmen, wie sie geschrieben wurde. Wir hören immer nur eine Kopie davon. Der eigentliche Geist der Musik bleibt so im Unklaren.

Heute kann alles aufgenommen werden. Jeder kann Musik machen. Ist das besser?

Aber natürlich! Wichtig ist nur, dass die Menschen das auch tun. Wir dürfen das Konservieren der Musik nicht den Plattenfirmen überlassen, die schließlich ihre eigenen Interessen verfolgen. Wenn du hörst, dass dein Nachbar singt, klopf an seiner Tür! Und dann nimm bitte das auf, was er singt. Damit bewegst du dich in einer wunderbaren Tradition der Field Recordings, folgst Leuten wie John Lomax, die das in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts machten. Gleichzeitig ist es etwas völlig Selbstloses. Etwas, das nichts mit Distinktion und dem Internet und coolen Blogs zu tun hat. Es ist pure preservation. Ich möchte die Menschen explizit dazu ermuntern, das zu tun.

Wann hast du das zuletzt selbst getan?

Ich mache das viel zu selten. Aber auf der neuen Platte kommen Dinge vor, die ich in freier Wildbahn aufgenommen habe. Zum Beispiel Vogelstimmen im Song „Taurobolium“. Die modulierten wir nur neu, sodass sie acht oder neun Oktaven tiefer liegen. Und plötzlich klingen sie wie Synthesizer. Das ist vor allem deshalb interessant, weil ich als Kind selbst eine Platte mit Vogelstimmen besaß.

In deiner Jugend hast du dich intensiv mit dem Hinduismus beschäftigt. Erkennst du eine Parallele zu den Lehren Hildegard von Bingens? Inwieweit ähneln sich die Wurzeln der verschiedenen Religionen?

Zunächst muss man den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität erfassen. Dafür ist es wichtig, zumindest die Grundzüge der einzelnen Religionen zu kennen. Man muss sie nicht studieren, aber man sollte schon wissen, worum es im Islam, im Judentum, im Christentum, aber auch bei den Pageans und Rudolf Steiner geht. Dann wird man erkennen, dass der Samen von alldem ähnlich ist. Ein wunderbarer Samen. Schlimm ist nur, was daraus gemacht wird. Weißt du, ich liebe das Christentum. Ich mag nur keine Christen.

Welche Rolle spielte Spiritualität in deiner Kindheit?

Eine sehr große. Ich bekam den Namen, den ich heute trage, vom Guru meiner Eltern. Wir besaßen alle wichtigen spirituellen Schriften. Ich empfand das alles als ungemein interessant. Wobei es nicht immer ganz einfach war. Mit meinen Eltern konnte ich während der Hälfte des Tages überhaupt nicht sprechen, weil sie meditierten.

An anderer Stelle des Albums singst du auf Deutsch …

Ich benutze gern andere Sprachen. Englisch und Spanisch beherrsche ich. Andere Sprachen nicht, das ist die Herausforderung. Ich habe zum Beispiel mal einen Song in dem seit mehreren Hundert Jahren ausgestorbenen Idiom der Pit River Indians geschrieben. Das war schwierig, weil nur 15 Wörter überliefert sind. Aber wie findest du meinen deutschen Gesang?

Nun, ich dachte offengestanden zunächst, es wäre Französisch.

Oh, das tut weh. Dabei haben mir zwei Deutsche bei den Übersetzungsarbeiten geholfen. Weißt du, meine Wurzeln sind deutsch. Meine Großmutter kommt irgendwo aus dem Süden. Banhart, das ist ein guter deutscher Name.

Was ist aus den Plänen geworden, gemeinsam mit Adam Green ein deutschsprachiges Schlager-Album einzuspielen?

Wir wollten ursprünglich den gesamten Katalog des deutschen Schlagersängers Detlev Lais neu aufnehmen. Aber das haben wir bisher noch nicht auf die Reihe bekommen, vor allem weil wir beide uns gerade auf das Malen konzentrieren. Unsere Studios sind recht nah beieinander. Vielleicht zehn Minuten. Wir treffen uns also häufig, und es ist wunderbar, zu sehen, wie Adam sich entwickelt. Vielleicht machen wir bald mal eine Ausstellung zusammen, in der wir Schlager zu Bildern verarbeiten.

Haben Sprachen Charakter? Manche sagen, Deutsch sei hart, Französisch romantisch …

Ich kann nachvollziehen, woher diese Aussagen kommen, kann sie aber so nicht bestätigen. Zumindest für mich war das immer zu pauschal. Es kommt darauf an, was man singt. Und um den Menschen. Ich kenne sinnliche Deutsche. Und harte Franzosen.

Als Kind hast du in Venezuela gelebt, bist zweisprachig aufgewachsen. Welche Sprache sprichst du besser, Englisch oder Spanisch?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Ich wurde, als ich fünf Jahre alt war, eingeschult. Eine zweisprachige Schule, die sich auf die Basics beschränkt hat, was ziemlich schrecklich war. Englisch hörte man natürlich überall. In den Straßen, im Fernsehen, im Radio. Ich habe also draußen, in der richtigen Welt, Fortschritte gemacht. Drinnen, in der Schule, blieb ich auf einem Level, weil man jedes Jahr dem gleichen Lehrplan folgte. Noten gab es auch keine. Völlig bizarr. Ich spüre heute noch Entwicklungsrückstände.

Hast du versucht, dich selbst zu erziehen?

In den USA habe ich dann die Büchereien entdeckt. Zunächst in der Schule, später im College habe ich mich tagelang einfach damit beschäftigt, mir selbst Wissen zu vermitteln, eigenverantwortlich. Als Gegenentwurf zu den herkömmlichen Erziehungsmethoden. Die bestanden darin, die Schüler zu formen, sie in ein soziales System einzupassen. Ihnen Identitäten zu geben, die oft eher die des Lehrers waren. Ich saß mit 15 Jahren also in der Bibliothek und las Hesse, Voltaire, Balzac. Ich verstand das natürlich nicht, aber erkannte: Es gibt Besseres, als in irgendwelchen Klassenzimmern zu sitzen und zu lernen, wie man männliche Rollenbilder erfüllt.

In welcher Sprache träumst du?

Ich träume nicht. Ich träume vielleicht zweimal im Jahr.

Das reicht für eine Statistik. In welcher Sprache waren deine letzten beiden Träume?

Auf Englisch. Den letzten erzähle ich dir gerne. Ich träumte, dass ich ein Lied für den großen Soul-Sänger Luther Vandross geschrieben hätte und er ihn nun in einer Fernsehshow singen würde. In einer Art Nebenhandlung kam ein Typ in einem mitternachtsblauen Toyota Corolla vor. Auf seiner Kofferraumklappe war ein pinkfarbener Cartoon von einem Conga-Spieler. Er bat mich um Starthilfe, und zwar sollte ich zu diesem Zweck auf dem Dach seines Wagens auf-und niederspringen. Und während ich das tat, hörte ich diese Musik. Es war wunderbar. Töne, die Zerfall, Verrottung symbolisierten aber von immenser Klarheit waren und ohne jede Aggression auskamen. Ich fragte ihn dann: „Was ist das?“ Und er sagte: „Hab‘ ich geschrieben.“ Dann wachte ich auf.

Albumkritik S. 76