„„Ich reflektiere überhaupt nicht mehr“


Neues aus dem Hause Hansen: Beck macht auf seinem neuen Album GUERO endlich wieder quietschfidelen Alles-geht-Pop, weil der Liebeskummer weg ist und sein nächstes große Ding längst überfällig war. Ein Gespräch über die großen Dinge des Lebens - von der Vaterschaft bis zum Sitzpinkeln.

Es ist immer wieder dieselbe Arie: Schreibknecht soll Künstler über dessen neues Album ausfragen, darf besagtes Album aber nur ein Mal unter Quarantäne-Bedingungen hören und muß dann später, seiner Informationspflicht nachkommend, Halbgares zu Papier bringen wie dieses hier: Becks neues Album ist wieder kunterbunter Kreuzüber-Pop, erinnert an sein 98er Erfolgsalbum MIDNIGHT VULTURES, hat aber einen stärkeren elektronischen Einschlag – Beats, Ploinks und Squeezies -, und ab und zu klingt’s lateinamerikanisch. Ein paar Hits sind sicher auch drauf, aber die drängeln sich beim Herrn Hansen bekanntlich nie in den Vordergrund, sondern kommen eher so hintenrum, um dann für immer zu bleiben. Nach einmaligem Hören läßt sich da also nix zu sagen (mehr dazu in diesem Heft auf Seite 86, Anm.d.Red.). Außerdem ist das Album zum Zeitpunkt des Interviews noch gar nicht richtig fertig und hat auch keinen Titel. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der übernächtigt wirkende Songwriter-Riese Beck aus dem Studio gezerrt, denn die Weltpresse fliegt man ungern zwei Mal ein, weswegen das Hotel heute bevölkert ist mit zahlreichen beim Weltkonzern Universal unter Vertrag stehenden Künstlern, die sich für Fragen zur Verfügung stellen müssen. Da Herr Hansen ein in sich ruhender Mensch ist, begegnet er der Situation mit Gelassenheit. In der einen Hand hält er ein Handy, durch das er seinem Studiotechniker für Laien unverständliche Anweisungen erteilt, mit der anderen Hand drückt er dieselbe seines neuen Gesprächspartners, den er schüchtern lächelnd in einen Sessel lotst.

Wenn man mit Beck Hansen ein Gespräch führt, gibt es zweierlei zu beachten. Erstens: Vermeide lange Fragen! Da Becks Hirn schneller arbeitet, als sein Mund Sätze formulieren kann, ist es ratsam, ihm den Denkstoff in kleinen Dosen zu verabreichen. Zweitens schweift Beck, wie jeder unter kreativer Spannung stehende Mensch, gedanklich schnell ab und weg und hin zu seiner Kunst, wenn man ihn nicht ständig auf Trab hält. Darum empfiehlt sich als Interviewstrategie bei ihm gemeinhin ein von Thema zu Thema hüpfendes Fragen-Stakkato. Im Moment telefoniert er aber noch. Da kann man mal aus dem Fenster dieser sich im elften Stock befindenden Suite schauen. Man sieht – Los Angeles. Ziemlich groß, ziemlich sonnig, ziemlich versmogt. Und dann ist Beck am Start.

BECK: Schöner Blick, oder?

ME: Ja. Gucken wir doch einfach ein bißchen ans dem Fenster.

Gute Idee. Ich war zehn Monatelang im Studio eingesperrt, da oben scheint die Sonne und da unten liegt die Stadt. (Musiker und Interviewer gucken ein bißchen aus dem Fenster.) Dein neues Album ist fast fertig. Wie fühlt sich das an?

Wunderbar. Ich sehne mich seit einem Jahr nach diesem Gefühl. Ich war längst bereit für das nächste große Projekt. 1998 habe ich midnight vultures gemacht und dann dieses Akustik-Ding. (Beck Hansen meint seine herzergreifende Singer/SongwTiter-Platte SEA CHANGE – Anm.d.Verf.) Es ist also eine Weile her, daß ich mich mit Beats, schrägen Sounds und verrückten Pop-Songs beschäftigt habe.

Auf dem neuen Album hast du mit den Dust Brothers gearbeitet. Diesen Plan hegst du schon seit neun Jahren.

Stimmt. Wir haben schon früher zusammen Musikgemacht, zum Beispiel auf zwei Stücken von midnight vultures. Aber die Dust Brothers sind immer sehr beschäftigt. Erst jetzt haben wir die Zeit gefunden, gemeinsam ein Album aufzunehmen.

Was war ihre Aufgabe?

Sie kümmerten sich um die Beats, während ich Baß spielte, Gitarre, Keyboards und die Percussions.

Du bist, was man einen Multiinstrumentalisten nennt. Gibt es ein Instrument, mit dem du nicht klarkommst?

Ich habe versucht Trompete zu spielen, aber das führte zu nichts. Dafür kann ich so ziemlich jedes andere Instrument spielen.

Und welches am liebsten?

Die Gitarre.

Da du nur zwei Arme hast, brauchst du auf Tour eine Band. Gibt es da eine feste Besetzung oder sind das wechselnde Musiker?

Ich habe es mit festen Besetzungen versucht, aber ständig startet irgendwer seine eigene Band oder hat keine Lust mehr aufs Touren oder so. Was soll man machen?

Wie suchst du deine Tourmusiker aus?

Ich frage einfach alle, die ich kenne. Wenn das nicht hilft, fliege ich mit einem Flugzeug über die Stadt, das ein Transparent hinter sich herzieht, auf dem steht: „Wer will in meiner Band spielen?“ (lacht)

Macht es eigentlich Spaß, einen ganzen Song lang „na, na, na“ zu singen?

Das macht fast genauso viel Spaß wie „beebop-a-loo-bop tutti frutti“ zu singen. Sehr toll. Und ist dir aufgefallen, daß es sehr viele Handclaps auf der neuen Platte gibt? Mir wurde erst beim Mischen bewußt, daß ich bei jedem Stück klatsche. (Herr Hansen klatscht rhythmisch in die Hände und grinst.)

Auch auffällig: die Bossa-Nova-Einflüsse. Hat das was mit deiner Jugend in einem Latino-Viertel von Los Angeles zu tun?

Ja, das Lied „Que Onda Guero“ ist eine Art Referenz an meine Kindheit. Ich habe in den letzten Jahren öfter darüber nachgedacht, ein Album aufzunehmen, auf dem ich Geschichten aus dieser Zeit erzähle. Bisher hat’s aber nur zu diesem einen Song gereicht.

Immerhin hast du mittlerweile selbst ein Kind. Wie geht’s Cosimo Henri?

Sehr gut. Er ist jetzt fünf Wochen alt.

Hast du Angst davor, Vater zu sein?

Nein. Ich fühle mich stark.

Und wie ist das, ein Album aufzunehmen, während ein Baby im Anmarsch ist?

Interessant und chaotisch. Aber ich mag Chaos. Das Leben ist niemals einfach, nichts läuft wie geplant, alles kommt immer aus allen Richtungen. Ich war also wochenlang im Studio, schlief dann sieben Tage auf dem Fußboden im Krankenhaus und ging wieder zurück ins Studio. Das Baby war dann auch ab und zu im Studio. Alles soll zusammen sein. Ich will meine Musik nicht von meinem restlichen Leben trennen.

Was war noch anders bei den Aufnahmen zum neuen Album?

Dieses Album aufzunehmen, brachte viel mehr Arbeit mit sich als jedes meiner anderen. Ich habe alle Instrumente selbst eingespielt und die Songs teilweise direkt im Studio geschrieben. Ich war fast jeden Tag dort und oft auch nachts.

Wie findest du die dafür nötige Selbstdisziplin?

Wenn es ums Arbeiten geht, bin ich ziemlich fokussiert – ich denke dann an nichts anderes mehr. Ich wache mitten in der Nacht auf und schreibe. Wenn ich arbeite, lebe ich in einer Blase.

Ist deine Frau, die Schauspielerin Marissa Ribisi, froh, wenn die Blase zerplatzt ist und das Album fertig?

Nein, sie mag es, wenn ich arbeite. Sie ist ja auch Künstlerin. Sie befindet sich ebenfalls in einer Blase. Wir sind zwei Blasen, die nebeneinander schweben.

Spielst du deine Musik jemandem vor, während du an ihr arbeitest?

Lange Zeit habe ich das nicht getan, weil ich wollte, daß die Leute das fertige Album hören und sich dann eine Meinung bilden. Das ist wie Weihnachten – du weißt nicht, wie die Reaktionen auf dein Geschenk sein werden und wirst immer überrascht. Aber diesmal konnte ich nicht warten und habe die teils noch unfertigen Stücke jedem vorgespielt, der sie hören wollte. Und alle reagierten anders. Wenn fünf Leute das eine Stück liebten, sagte mir der sechste, ich solle es sofort vom Album nehmen.

Das muß sehr verwirrend sein.

War es auch. Man darf sich davon aber nicht verrückt machen lassen. Und nun gibt es eben drei Stücke auf dem Album, die die Leute hassen werden, vier, die sie lieben werden, und sechs, die sie mögen werden.

Reflektierst du deine Musik, wahrend du komponierst?

Ich habe den Spiegel zerbrochen. Ich reflektiere überhaupt nicht mehr. Ich bin gesegnet mit Ignoranz.

Wann bist du am Kreativsten?

Wenn ich reise.

Ist Liebeskummer gut oder schlecht für die Kreativität?

Es ist immer besser, keinen Liebeskummer zu haben.

Aber dein letztes Album SEA CHANGE war eine einzige Verarbeitung deines Liebeskummers. Und es ist ein sehr schönes Album.

Ja, aber wenn du Liebeskummer hast, dann ist das eine totale Aktivität. Dann gibt es nichts anderes als deinen Kummer. Das ist nicht gut.

Nehmen die Selbstzweifel im Laufe der Jahre ab oder zu?

Sie verändern sich.

Bei einem der neuen Lieder sind so merkwürdige Atari-Sounds zu hören.

Das ist ein Game Boy! Ich mache seit einigen Jahren Musik mit dem Game Boy.

Wie meinen?

Ich schreibe die Musik auf dem Game Boy. Da gibt es so ein Programm dafür.

Warum tust du das?

Ich mag diese primitiven Sounds, die nach alten Videogames klingen. Das ist ein roher, schlichter Klang, der trotzdem sehr viel Seele hat. Was Punk für die Rockmusik war, sind die primitiven elektronischen Sounds für den Pop.

Was ist Groove?

Große Schuhe auf einem hölzernen Tanzboden.

Wie findet man den Groove?

Indem man ihn ignoriert.

Bist du ein guter Tänzer?

Ich sehe mir selbst nicht beim Tanzen zu. Wenn ich es täte, würde ich wahrscheinlich nie wieder tanzen.

Bist du mit deinem Aussehen zufrieden?

Es ist mir eigentlich egal. Andere Dinge sind mir wichtiger. Zum Beispiel, wie mein Sohn aussieht.

Wovor hast du Angst?

Vor dem Tod.

Schon mal versucht, einen Roman zu schreiben?

Nein. Aber ich träume oft davon. Nur ist die Idee, einen Roman zu schreiben, wahrscheinlich viel befriedigender als der eigentliche Prozeß.

Irgendwelche anderen Plane bezüglich weiterer kreativer Projekte?

Ich mag es nicht, dilettantisch zu sein, aber ich werde Dinge ausprobieren, von denen ich keine Ahnung habe. Ich werde eines Tages einen Film drehen! Aber es wird kein Hollywood-Film sein. Eher so was im Stile von Godard oderTruffaut.

Fernsehen: Freude oder Frustration?

Manchmal ist es, wie einen Verkehrsunfall zu beobachten. Vor allem bei den Reality-Shows. Die sind faszinierend und gleichzeitig sehr verstörend.

Hast du jemals ein Tier getötet, das größer ist als eine Fliege?

Nein.

Bist du Vegetarier?

Nein.

In einem deiner neuen Stücke singst du über den „Vegetable Man“. Wer ist das denn?

In der Gegend, in der ich aufwuchs, gab es einen Mann, der aus seinem Van heraus Gemüse verkaufte. Das Auto war voll mit Gemüse, und er fuhr immer in der Gegend rum.

Das dümmste Klischee über dich?

Es gibt etwa fünf oder sechs, die ungefähr gleich dumm sind. Zum Beispiel, daß ich irgend so ein 70er-Polyester-Retro-Typ sei.

Zur Auflockerung nun mal ein paar Entweder-oder-Fragen. Also: Lalo Shifrin oder Henry Mancini?

Mancini. Als ich ein Kind war, besaß ich den Soundtrack zu BREAKFAST AT TIFFANY’S. Bei uns zu Hause lief ständig diese Platte. Heute erinnert sie mich an meine Kindheit.

The Strokes oder The White Stripes?

The White Strokes. (Beck lacht erneut)

Beastie Boys oder Public Enemy? Beastie Enemy zählt nicht!

Okay: die Public Boys! (Beck lacht schon wieder) Aber echt jetzt: Die Wahl fällt mir hier wirklich schwer. Ich nehme – die Beastie Boys!

Warum?

Weil es Freunde von mir sind.

Würdest du mit Michael Moore einen trinken gehen?

Vielleicht. Seinen neuen Film habe ich noch nicht gesehen, ich war ja auch die ganze Zeit im Studio eingesperrt. Aber was er in seinen alten Filme gezeigt hat, hat mich immer sehr wütend gemacht. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, daß jeder Mensch mehrere Seiten hat und daß man jede Geschichte aus mehreren Perspektiven sehen kann. Ich glaube nicht an die hundertprozentige Rechtschaffenheit. Wir alle haben unsere Fehler.

Hat Politik Einflüsse auf deine Musik?

Ja, ich glaube schon. Nicht vordergründig, aber meine Musik repräsentiert nun mal meine Mentalität, und meine Mentalität ist davon geprägt, wie ich die Welt sehe, und Politik ist ein Teil der Welt.

Wirst du auf amerikanischen Flughöfen immer noch wie ein Verbrecher angestarrt und durchsucht?

Wenn ich mir vorher die Haare schneide, lassen sie mich manchmal in Ruhe, meistens aber nicht. Vielleicht liegt das aber auch an meinem Geruch. Die Polizeihunde wollen immer zu mir.

Wenn man dich bei der Einreise noch deinem Beruf fragt, was antwortest du?

Früher sagte ich immer, ich sei Komponist. Heute sage ich: „Trucker.“

Du hast eine Fahrt in der Zeitmaschine frei. Wohin geht’s?

In das Los Angeles der 20er Jahre. Ich würde herumfahren und die Orangenfelder und die alten Farmen ansehen. Heute befinden sich dort Shopping Mails.

Erinnerst du dich an deine frühen Tage, als du in das New Yorker East Village kamst und ein Teil der sogenannten Anti-Folk-Szene wurdest?

Klar. Das sind gute und bittersüße Erinnerungen. Ich spielte in Folk-Häusern und auf Lesungen. Die Stadt war toll. Es gab noch nicht diese ganzen Supermarkt- und Fast-Food-Ketten. Alles war offen, alles schien frei. Aber oft war mir sehr kalt und ich wußte nicht, wo ich schlafen sollte. Manchmal wurde ich auch verprügelt.

Und dann wurde deine Musik auf dem Mini-Label veröffentlicht, das ein paar Vinyl-Singles preßte.

Ja, das war wie ein Wunder. Ich konnte es nicht glauben. Plötzlich existierte meine Musik auf einem Stück Wachs! Es war, als hätte man sie ins Universum geschossen und für alle sichtbar gemacht.

Trotzdem hast du dich danach geweigert, einen Plattenvertrag zu unterschreiben.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß die Leute meine Musik würden hören wollen. (lacht) Und ich hatte Angst davor, daß man mich zwingen würde, meine Musik zu ändern.

Damals hattest du noch nicht mal ein Fahrrad. Was für ein Auto fährst du heute?

Ein Lincoln Town Car. Ich mag es, weil es so groß und eckig ist. Alle anderen Autos sind rund – wie langweilig.

Pinkelst du zu Hause im Sitzen oder im Stehen ?

Gute Frage. Das kommt darauf an, welche Tageszeit es ist. Aber wenn ich im Stehen pinkle, klappe ich auf jeden Fall die Klobrille hoch!

Jetzt habe ich die nächste Frage vergessen. Frag du doch mal was!

Kennst du ein gutes Rezept für Wirbelsäulen-Suppe?

Wie bitte?

(lacht) Ein Freund von mir ist Comedian. Eines Tages ging er zu einer Wirbelsäulen-Chirurgen-Tagung, kletterte auf das Podium und fragte, ob jemand ein gutes Rezept für Wirbelsäulen-Suppe wüßte. Ich lach‘ mich schlapp! (Der Musikant lacht sich schlapp.)

Das schönste Kompliment, daß du je von einem Fan bekommen hast?

Daß meine abgesplitterten Zähne schön seien. Hier! (Beck reißt die Lippen auseinander. An einigen seinerVorderzähnefehlen einpaar Ecken.) Als ich ein Kind war, rannte ich einen Hügel runter, fiel hin und knallte mit dem Mund auf den Asphalt. Danach spuckte ich eine Menge Zahnsplitter aus.

Bereust du irgendetwas in deinem Leben ?

Manchmal. Andererseits habe ich von den schlechten Erfahrungen am meisten gelernt. Und der Versuch, die Vergangenheit zu ändern, ist wahnsinnig. Reue bringt also nichts. Alles, was wir ändern können, liegt in die Zukunft. Aber das ist das Schwierigste: sich auf die Zukunft zu konzentrieren und nicht zurückzuschauen.

Apropos Konzentration auf die Zukunft: Dein neues Album hat immer noch keinen Namen.

Stimmt. Aber es gibt einige zur Auswahl, zum Beispiel „White Couch“, „Plastic Cosmos“, „Dirk Funk“, „Nimbostratus“ und „Gebaogago“. (lacht, lacht)

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