Ihr erstes Mal!


Knapp zwei Jahre spielten Sportfreunde Stiller ihr Album Unplugged in New York überall, nur nicht in New York. Das wurde aber langsam mal Zeit. Der Musikexpress begleitete Deutschlands unschuldigste Nummer-eins-Band auf ihrem großen Trip.

Na sicher, dachte man damals, als die Sportfreunde Stiller im Januar 2009 bei der Aufzeichnung ihres Eintrags in die Reihe „MTV Unplugged“ den Udo-Jürgens-Klassiker „Ich war noch niemals in New York“ anstimmten. Drei supererfolgreiche Männer Mitte 30, da lügt doch jetzt mindestens einer. Tatsächlich haben alle die Wahrheit gesungen. Jeder hat seine eigene Begründung, warum er es bislang noch nicht nach New York geschafft hat: Bei Sänger Peter Brugger hat es sich „einfach nie ergeben“, Bassist Rüdiger „Rüde“ Linhof konnte sich eine Reise „vor der Bush-Präsidentschaft nicht leisten und danach hatte ich keinen Bock mehr“. Schlagzeuger Flo Weber wurde jahrelang von seiner Flugangst von Strecken abgehalten, „die man nicht mit dem Auto zurücklegen kann“. Während sie das erzählen, starren sie ungläubig auf die Skyline Manhattans, die sich hinter der Fensterwand eines Hotels an der Küste New Jerseys aufgetürmt hat.

Seit die Sportfreunde vor zwei Jahren auf der Suche nach einem geeigneten Austragungsort für ihre „Unplugged“-Show in der New-York-Kulisse der Bavaria Filmstudios in München fündig wurden, waren sie von dem Traum getrieben, den Titel zum zugehörigen Album Unplugged In New York Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Platinauszeichnung für die Nummer-eins-Platte und einen triumphalen Auftritt bei Rock am Ring später, bei dem ihr Akustikset mehr Besucher anzog als die parallel auftretenden Rage Against The Machine, ist es nun so weit. Die Sportis sehen ihrem ersten Auftritt auf amerikanischem Grund entgegen. Doch wer tut das noch? Außer ein paar Exilbayern dürfte das Konzert dem Big Apple ziemlich am Big Arsch vorbeigehen. Der Import deutscher Fans ist die Lösung. Ein solches Unterfangen ist aber selbst für eine Band mit fünf Top-Ten-Alben in Folge nicht drin. Also erinnerte man sich an das Interesse eines oberbayerischen Brauerei-Riesen, dessen schaumgekrönte Weißbiervasen auch Franz Beckenbauer seit Jahren in die Kamera hält. Das Unternehmen möchte die Gesichter der Band seit Jahren für eine Werbekampagne gewinnen. Geld wäre da vorhanden, um ein New Yorker Venue mit Sportis-Fans zu füllen. Doch wie sähe die Gegenleistung aus, wie sehr will man als Band etikettiert werden? „Letztlich diskutieren wir so was seit zwölf Jahren“, sagt Peter. „Das geht schon bei den Medien los: Will man zu ‚Fast Forward‘, darf man zu Raab? Als Band befindest du dich aber ohnehin sehr oft unwillkürlich in Kontexten mit Marken wieder. Sei es im iTunes-Store oder auf Festivalbühnen, die ja zugekleistert mit Sponsorennamen und Firmenlogos sind. Wenn du dich dem verweigerst, kannst du praktisch auf keinen großen Bühnen mehr spielen.“ Die Band einigte sich mit dem Unternehmen auf eine einmalige Gewinnspiel-Aktion. Die Brauerei verlost 120 Pakete aus Ticket, Flug und Übernachtung und sorgt so für ein zumindest halb volles Haus in New York.

Dieses Haus nennt sich „Bell House“, ein prunkvoller Club mit viel Holz und Kronleuchtern, gelegen im tiefsten Brooklyn. Und Williamsburg ist wirklich nur ein Teil dieses riesigen Brooklyns, das zumindest im Kilometerradius um das Bell House popkulturell absolut unerschlossen ist. Statt Szenebars und Plattenläden säumen geschlossene Lagerhallen und vereinzelte Billigrestaurants den Weg zum Club. Für einen Kiosk mit Lizenz zum Alkoholverkauf darf man dankbar sein. Bitte noch ein Päckchen Zigaretten, oh neun Dollar kosten die? Na schön. Flo Weber ist bereits seit einer Woche in New York. Er hat genug Atemberaubendes gesehen, um sich hier von keinem kleinen Rückschlag mehr irritieren zu lassen. Er ist frisch verliebt und diese Liebe hat erst mal Bestand. Tags zuvor war er mit seinem alten Kumpel Tim Wheeler von Ash auf einer Halloweenparty in „einem riesigen Hotelsaal, mit Hunderten absurd verkleideten Besuchern. Superhelden, täuschend echte Zombies – das war selbst nüchtern wie im Rausch. Wir haben den Tipp auf der Straße bekommen. Da sei diese unglaubliche Party, man müsse an der Tür nur sagen, man sei mit einer Laura Brown befreundet. Das macht diese Stadt mit dir, sie hilft dir, und sie reißt dich mit.“ Diese Stadt kann aber auch ganz andere Sachen mit dir machen, wie Rüde leicht scherzend erzählt: „Neulich habe ich mich im Börsenviertel um die Wall Street verlaufen und regelrecht gespürt, wie mich die Scharfschützen im Visier hatten.“ „Idiot turns left – idiot turns left again – idiot turns around – what is idiot doing anyway? Fire!“, imitiert Flo einen entsprechenden Funkspruch.

Der Soundcheck steht an. Es gilt vieles zu koordinieren, denn nicht nur die drei Sportfreunde werden an diesem Abend auf der Bühne stehen. Zur Besetzung gehört ein Chor, bestehend aus Julia Viechtl von Fertig, Los!, Tobi Kuhn von Monta und Roman Fischer. Dazu ein zweiter Gitarrist, Chrissy Schneider, früher bei den Emil Bulls, und ein Bläsertrio mit Flos Bruder Jörg am Saxofon. Ein Blick auf das Monatsprogramm des Clubs zerschlägt die Befürchtung, die Location sei nicht nur geografisch, sondern auch in puncto Booking grenzwertig: Jonathan Richman, Beach House und die Dandy Warhols spielen hier. Aber wer wird die Halle füllen? 150 Karten gingen sogar im Vorverkauf vor Ort weg. Doch wer ist eigentlich die 120-köpfige Gewinnergruppe? Was, wenn das popmusikferne Menschen mit zu viel Zeit sind, die an jedem verfügbaren Preisausschreiben teilnehmen?

Diese Angst scheint sich bereits nach dem zweiten Song des Konzerts, „Heimatlied“, zu bewahrheiten: Lauthals fordern die mit je fünf Gratisbier-flaschen versorgten Gewinner, „’54, ’74, ’90, 2010“ zu hören. Klar, das kennt ein jeder, da muss man kein Fan sein. Wenn man Fan wäre, würde man es gar nicht hören wollen. Denn dann wüsste man, dass die Band es seit längerer Zeit nicht mehr spielt. Peter erklärt geduldig, dieses Lied ergebe keinen Sinn mehr, „weil Spanien verdient Weltmeister geworden ist“. Er hoffe daher auf Verständnis, dass man auf das Stück verzichten werde. Bewährungsprobe für die Gewinner. Hagelt es jetzt die Gratisbierflaschen? Nein, lediglich ein FC-Bayern-Trikot fliegt Peter entgegen. Weißbier beruhigt schließlich und so wird der nächste Song, „Lass mich nie mehr los“ dankend aufgenommen. Flo hält eine übliches Überwältigungsgestammel amerikanischer Preisträger parodierende Rede, dankt schluchzend all seinen „Brothers und Sisters“. Bei „Ein Kompliment“ erinnert sich der Nicht-Fan-Gewinner daran, dass er ja auch ein zweites Lied der Sportfreunde mitsingen kann. „Ich war noch niemals in New York“ wird angekündigt als „das Lied, das wir nach “54, ’74, ’90, 2010′ als Nächstes verlieren“. Zur Zugabe kommt Tim Wheeler, dem Publikum gänzlich unbekannt, auf die Bühne und begleitet die Band begeistert beim Subways-Cover „Rock & Roll Queen„. Der alberne Klopfer leitet immerhin gut zum Gaudischlager „Ich, Roque“ über. Die Band rehabilitiert sich mit dem deutlich reiferen „Siehst du das genauso?“ als Finale.

Der Aftershow-DJ beginnt sein Set im abgelegensten Club Brooklyns mit Ballermann-Indie: „Last Nite“ von den Strokes. Das muss man sich vor Augen führen. Und das auch: Das Barpersonal serviert jedes Getränk mit einem „Prost!“ Sei es Nettigkeit oder die Anweisung des Sponsors – die Geste demonstriert die Macht und den Einfluss der Sportfreunde. Diese Burschen aus Germering, die an diesem Abend mit derselben Unbekümmertheit spielen, mit der sie 2006 vor einer halben Million Menschen am Brandenburger Tor auftraten. Denen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland eine Tour durch die größten Hallen der Republik bevorsteht. Die sich dennoch von nichts – nicht von der eigenen Dimension und erst recht nicht von der der USA sonderlich beeindrucken lassen. Oder wie es Flo Weber ausdrückt: „Mei, so gern ich hier bin – letztlich ist Amerika nur achtmal so alt wie mein Vater. Das ist doch wirklich überschaubar.“