Ihr Weg bedeutet Risiko


Wo waren Tele nurso lange? Und warum sehen sie so müde aus? Nun, wenn diese Band Musik macht, muss das ewig dauern und schwer sein. Sonst wird ihre Musik nicht leicht.

Der Zeitgeist. Er spukt unablässig herum. (Obacht, auch durch dieses Magazin!) Doch als Tele im Oktober 2004 ihr zweites Album wovon sollen wir leben veröffentlichten, spukte er nicht. Er spuckte – ihnen vor die Füße. Weil er diese Band, die der „Major“ Universal dem „Indie“ Tapete kurz vor Veröffentlichung dieser Platte vom Teller stibitzt hatte, nicht leiden konnte. Denn die Ex-Badener und Now-now-now-Berliner verstießen gegen Regeln, seine Regeln. Tele fanden tatsächlich gute Seiten an den mittleren Genesis und an Phil Collins solo, referierten lieber über die Qualitäten von D’Angelo und Shuggie Otis statt über Clash oder Television. Sie spielten Lieder, in denen für fast jeden schlanken E-Pianoakkord satte Keyboardflächen abzutragen waren – fast wie eine große Schuld, eine 80er-Jahre-Erbschuld. Sie spielten Lieder, in denen Gitarren keine Schrammelei entfuhr, eine befremdlich tighte Rhythmusgruppe ständig genau auf den Punkt kam und ein stimmlich versierter Mann sich traute, Refrains zu singen wie „Rot ist die Farbe der Liebe“.

Der Zeitgeist wollte es aber rumpeln und poltern hören im Pop und im Rock und Befindlichkeitsbeschreibungen wenigstens ein bisschen halbstark und gar metaphorisch verpackt wissen. Und schließlich hatte er uns ja schon Phoenix durchgehen lassen. Da gingen Tele nichtauch noch. Beim besten Willen nicht.

Tele auf der Fernsehcouch -v. l.: Patrick Reisina., Tobias Rodäbel, Francesco Wilking, Martin Brombacher, Jörg Holdinghausen und Stefan Wittich Nach einer ohrwurmigen Single mit dem Titel „Falschrum“ und vielen Konzerten, bei denen Tele u. a. im Vorprogramm von Juli, Helden, Phoenix spielten, verschwand die Band für einige Zeit: frische Musik aufnehmen. Jetzt ist sie endlich zurück, tritt aus der Dunkelheit von Proberaum und Aufnahmestudio, reibt sich die Augen und schaut eher etwas verschlafen als neugierig in die Welt des Pop hinaus.

Glauben könnte man ja folgendes: Es gibt im Jahr 2007 möglicherweise einige Leute mehr, die Tele in ihr Herz zu schließen vermögen, einfach weil der Zeitgeist, der alte Wendehals, es sich wieder anders überlegt hat. Heute werden Bands wie Razorlight, Midlake, Scissor Sisters und The Killers viel und gerne gehört und verehrt von jungen Menschen, die trotzdem daraufbeharren, „indie“, irgendwie anders zu sein. Ungeachtet der Tatsache, dass hier längst ein in großer Breite gefälliger Pop dargeboten wird, der sich seiner Liebe für Melodie und Harmonie nicht mehr schämen will. Der nach ELO und Pet Shop Boys, nach Bee Gees und sogar nach Phil Collins solo klingen kann. Und darf.

Kommt der Zeitgeist Tele nun also mit offenen Armen entgegen? Antwortet Francesco Wilking, den wir in einer lauten Münchner Hotelbar treffen: „DieSache mit dem Zeitgeist passiert ja nicht in unseren Köpfen. Er vereinnahmt einfach alles Mögliche.“ So waren auch Tele einmal für jene, die als willfahrige Handlanger dem Trend zuarbeiten, einfach eine von den neuen „deutschen Elektropopbands“… wie die Helden und Mia. Während der Sänger sich ins Gedächtnis ruft, wie entspannt und entspannend sie den Umgang vieler Afrikaner mit der Popkultur empfanden, die sie auf ihrer Frühsommerreise im Auftrag des Goethe-Instituts (ME 8/2006) kennenlernen durften, sinniert Gitarrist Tobias Rodäbel, der neben Franesco in der Bar sitzt, schon länger still vor sich hin. Und sagt dann:“/c7i kann mit dem Zeitgeistding gerade gar nichts anfangen.“

Vielleicht liegt das daran, dass die Mitglieder von Tele keine Kinder mehr sind, sondern zwischen Anfang und Mitte 30. Und selber Kinder haben. Da spielt der „Style, mit dem man gut riiber kommt“ ^keine gToße Rolle mehr. Da hat ein Musiker im besten Fall inzwischen ein paar grundsätzliche Dinge begriffen. Dieses Ding zum Beispiel: „Letztglich gibt der Erfolg den Dingen recht“, wie Francesco nüchtern feststellt: „Wenn mir zum Beispiel einer gesagt hätte, dass ein Song wie,Hey Ya! ’so einefette Single wird, hätte ich das nicht geglaubt. Weil das ein total eigenartiges Lied ist. Aber irgendetwas scheint es gehabt zu haben, was die Leute überredet hat. Die Lieder, die einem gefallen, weil sie einem gut ins Raster passen, sind meist nicht jene, die einem lange im Gedächtnis bleiben.“

Früher, in Freiburg, wo es keine stilsicher-wasserdichte Szene, aber gute Konzerte gab, fühlten sich Tele und ihre Geschwisterband Geschmeido, mit denen sie sich Schlagzeuger Stefan Wittich teilen, zumindest lose mit Chicago verbunden. Mit Postrock dem Thrill-Jockey-Label, The Sea & Cake, Tortoise etc.. Aber wir haben uns schnell gelöst von dieserVerneinung von Pop und Songwriting.“ Die Sicherheit, die andere nur im Nachempfinden bis zum Nachplappern vorgekauter Styles und Dialekte finden, fanden Tele in sich selbst. Was nicht bedeutet, dass diese Band Referenzen meidet. Sie nennt sie sogar konkret beim Namen. Tobias: „In der Entstehung eines Stücks sucht jeder seine Andockpunkte:Wie kann ich mit einer Idee umgehen? Woher könnte ich mir musikalische Vokabeln leihen? …Bis irgendwann Tele-Gebilde daraus werden und man sich wieder davon löst.“

Der Prozess, in dem die Musikentsteht,hat bei und für Tele einen besonderen Reiz. Die Songs, die am Ende mit kaum einer Note zu viel auf den Punkt kommen, ganz bei sich, beim Pop ankommen, entstehen in stetiger Bewegung. Diese Band spielt und jamt, ihre Sprache „ist Musik“, behauptet Tobias und verzieht keine Miene. Obwohl sie sich fast blind verstehen, auch mit dem Bassisten Jörg Holdinghausen, der erst 2005 zu Tele stieß, „gibt es immer wieder Überraschungen „, sagt Francesco: „Du weißt nie, was der andere im Hinterkopfhat, während er spielt. Dann bleibt man plötzlich mal stecken, einer sagt: .Darf ich mal vorspielen, in welcher Richtung ich das sehe?’Spielt’s-und die anderen denken,sie sind in einem ganz anderen Film.“

Auch Francesco spielt von Anfang an mit, mit seiner Stimme, ohne Schreibtischnotizen, und dennoch „mit richtigen Worten und Sätzen“, erzählt Tobias. „Und dann ist eben auch schnellein Name wie .Mario’da, und dann muss Mario aber auch lebendig werden.“ (Es wurde die neue Single daraus: „Mario“.) Die Form führt zum Inhalt, der Inhalt ändert wiederum die Form, und rund herum stehen immer mehr neue Türen offen, die eines der sechs Mitglieder mit einer weiteren Idee aufgerissen hat… „DasgibtdirvieUeichteineldee davon, wie lange es bei uns dauert.“

Ein langes Jahr spielten Tele an 40 Songs herum und wir brauchen nichts -mit 13 Stücken schließlich doch noch ein. Da fragt nicht nur das Label öfters mal nach, wo die Platte bleibt. Das geht an die Substanz, nicht zuletzt an die finanzielle. Tobias: “ Überleben kann man da nur mit Luft und Liebe oder so. „Der Weg, den Tele gehen, bedeutet in fast allen Belangen ein großes Risiko. Und auch den Plan von einer Tele-Platte, die einer übergeordneten Idee folgt, kann sich dieser überaus diskussionsfreudige popmusikalische Arbeitskreis ans Bein schmieren. „Aber darin zeigen sich ja auch die großen Qualitäten des Scheiterns „, sagt Francesco: „Du nimmst dir irgendetwas vor und scheiterst Möglich und machst was völlig anderes, was letztlich besser ist. Grundsätzlich fände ich das ja super: sich ein Motto vorzunehmen für eine Platte. So wie Sufjan Stevens, der für jeden US-Bundesstaat eine Platte aufnehmen will… woran er aber natürlich auch kläglich scheitern wird.“>»www.telemusic.de —