In England sind Terrorvision mit ihrem Heavy-Pop längst etabliert


Frühsommer in Yorkshire: Die Sonne scheint in die Lobby des altehrwürdigen ‚Norfolk Garden Hotels‘ in Bradford, einer typischen Industriestadt Mittelenglands. In der gediegenen Atmosphäre des Vorraums, mit seinen schweren Ledergarnituren und dicken Teppichen, bin ich mit einem der beliebtesten Hardrock-Acts Großbritanniens verabredet: Terrorvision. Das Interview ist für halb zwölf geplant. Aber Musiker brauchen ja immer etwas länger, so trudeln sie denn auch mit 2ominütiger Verspätung ein. Nur Sänger Tony Wright hat eine Entschuldigung. Mit zwei gebrochenen Beinen braucht er allein für die zehn Meter von Tür bis Sessel gut vier Minuten. Auf die Frage, wie das passiert ist, antwortet Tony mit einem hintergründigen Lächeln: „Es war ein Unfall auf unserer Italientour.“ Auch der Manager kann nicht mehr aus ihm herausholen, man einigt sich auf einen „Action-Stunt-Unfall“. Daß Tony, Shutty, Leigh und Mark eine Vorliebe für Action-Filme haben, beweist aber nicht nur diese Anekdote: Das Cover ihres neuen Albums ‚Regulär Urban Surviviors‘ ist wie ein Soundtrack zu einem James Bond-Film aufgemacht.

Daß das aber nur ein Promotiongag ist, verrät Leigh mit blitzenden Augen: „Er funktioniert aber recht gut, auch du hast sofort danach gefragt.“ Neben diesem Faible für Actionfilme verbindet die vier natürlich auch ihre Leidenschaft für Musik. Shutty, Leigh und Mark spielen schon seit neun Jahren gemeinsam in einer Band. Als sie irgendwann dann einen Sänger suchten, bewarb sich Tony, der DJ der Stammkneipe von Leigh. „Sie waren zuerst skeptisch und wollten mich nicht einmal vorsingen lassen, doch ich habe sie solange genervt, bis ich einmal mit ihnen proben durfte“, erinnert sich der Sänger. Diese Probe muß wohl nicht schlecht gewesen sein, fortan zogen Terrorvision —- damals noch unter dem Namen Spoilt Bratz -— als regional anerkannte Band durch die Bradforder Clubs. Hier meldet sich auch der bis jetzt schweigsame Mark zu Wort: „Anfangs dachten wir nie daran unser Geld mit Musik zu verdienen“, erklärt der stille und zurückhaltende Gitarrist der Band. „Klar hat man als Musiker auch Träume, besonders wenn man so jung ist, wie wir es waren. Aber es war nie so, daß einer von uns sagte, ich will ein Rockstar werden und einen Ferrari fahren. Es war ein Weg der kleinen Schritte.“ Ungewohnte Töne von einer Band, die mit der Single ‚My House‘ aus ihrem Debütalbum auf Anhieb einen Top 20-Hit in den englischen Charts landen konnten. Da sind Bassist Leigh Marklew, der in seiner freundlichen Art den Löwenanteil des Interviews übernimmt, der liebenswerte Chaot Tony Wright, der nach dem Gespräch mit einem Comic-Heft vor dem Hotel sitzt und auf seinen Fahrer wartet, Schlagzeuger Shutty und eben der schüchterne Gitarrist Mark. Vier junge Männer in zerrissenen Jeans und T-Shirts, die wahrscheinlich in diesem Moment lieber irgendwo im Proberaum rumhängen würden als ein Interview zu geben. Aber gerade diese Tatsache macht die vier symphatisch. Nur als wir auf ihre Musik zu sprechen kommen, wird es am Tisch lauter, jeder sieht das nämlich ein bißchen anders. Mit blitzenden Augen erklärt Mark: „Ich kann unsere Musik selbst nicht einordnen. Wir schreiben keine Punk-, Pop- oder Metal-Songs, es sind alles Terrorvision-Songs.“ —- „Natürlich ist es schwer alle verschiedenen Charaktere unter einen Hut zu bringen“, fällt ihm Shutty dabei ins Wort, „da wir immer alle zusammen die Songs erarbeiten und nie einer allein, schreiben wir nie im gleichen Stil. Es ist schon unglaublich, daß wir als Band immer noch zusammen sind, obwohl wir alle so verschieden sind und unterschiedliche Musik mögen.“ Jetzt wird auch der sonst eher lockere Tony energisch: „Außerdem will ich auch gar nicht eingeordnet werden, unser Stil soll nicht beschrieben werden. Wir sind Terrorvision. Punkt. Wir wollen nicht die nächsten Whitesnake sein oder sonst irgendeine nächste xy-Band. Wir sind die ersten Terrorvision. Deshalb sind wir die einzig wirkliche Rockband, die England in den vergangenen 15 Jahren hervorgebarcht hat. Das war anfangs natürlich ein Risiko, denn es ist schwerer Platten zu verkaufen, wenn du nicht klingst wie irgendein Vorbild.“ Große Worte für vier junge Musiker, die fast noch Newcomer sind und gerade eben erst dem Rock’n’Roll-Ei entschlüpft zu sein scheinen. Aber diese Einschätzung ist auch das einzige, was bei Mark, Tony, Shutty und Leigh vielleicht auf Starallüren schließen läßt. Sonst schätzt die Band sich und ihren Erfolg eher realitisch ein. „Viel hat sich seit unserem Durchbruch nicht geändert. Wir wohnen noch da, wo wir immer gewohnt haben, kennen die selben Leute und haben auch unsere alten Freunde noch“, erzählt Mark und macht dabei den Eindruck, als sei er sehr froh darüber, daß sein Leben noch in diesen normalen Bahnen verläuft und er nicht zu einer Ikone irgendeiner Jugendbewegung geworden ist. Zu einem Sprachrohr werden wollen die vier nämlich ganz bestimmt nicht. „Wir machen Musik für uns und unsere Fans. Ein Song, was ist das schon? Eigentlich nur drei Minuten Musik, bei denen du Spaß haben kannst. Aber wir wollen nichts verändern oder verbessern. Das ist die Aufgabe der Politiker“, so Leigh. „Aber die Politik ist ja die Ursache für Probleme, die die Politik lösen soll, aber nicht kann“, wirft da Tony ein, „wenn ich könnte, würde ich Geld und Politik abschaffen. Nur so kannst du im Kopf und im Herzen glücklich werden.“ Nach diesem wohl nicht so ganz ernst gemeinten Rundumschlag bricht Tony mit einem Lachen im Gesicht die Diskussion abrupt ab, wohlwissend, daß diese Probleme hier und heute wohl doch nicht gelöst werden, nimmt seine Flasche ‚Budweiser‘ und prostet mir freundlich zu. Vier junge Männer, irgendwie Stars, irgendwie normal, irgendwie selbstbewußt, irgendwie schüchtern und irgendwie anders — eben Terrorvision. Mein Flieger geht um halb drei.