Interview: Lou Reed


Vom Rock'n'Roll Animal zum gereiften Songwriter: Lou Reed hat sämtliche Stadien durchlaufen, die ein Musiker durchqueren kann. Doch Stillstand kommt nicht in Frage.

Gibt es eine inhaltliche Verbindung zwischen Ihrer Arbeit für Robert Wilsons Bühnenstück „POEtry“ über den Dichter Edgar Allen Poe und Ihrer neuen CD „Ecstasy“?

Nein, die beiden Arbeiten haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Ich denke, wenn überhaupt, dann beeinflusste „Ecstasv“ schon eher „POEtrv“.

Beide Arbeiten erscheinen innerhalb weniger Monate. Ein Zufall? Mit welchem Projekt haben Sie begonnen?

Robert und ich starteten mit der Arbeit an „POEtry . Zunächst habe ich die Texte geschrieben und einige der Songs. Dann gab es etwa eine zehnmonatige Unterbrechung, in der ich mit der Arbeit an dem Album „Ecstasy“ begann. In jener Zeit habe ich außerdem noch eine eigene Fotoausstellung verwirklicht.

Fällt es Ihnen schwer, verschiedene Projekte voneinander zu trennen bzw. gegeneinander abzugrenzen?

Nein, wenn ich an einer Sache arbeite, dann ist das die einzige Sache, über die ich nachdenke und auf die ich mich vollends konzentriere. That’s it!

Welche Bedeutung hat das Internet dabei für Sie?

Zugang zu Informationen.

Wird das Internet die Arbeit der Musiker verändern, wie es vielleicht auch den Konsum von Musik verändern wird?

Keine Ahnung, ich bin technisch nicht versiert genug, um diese Frage zu beantworten. Alles was ich weiß ist, dass sie letztes lahr noch über MP3 gesprochen haben, und heute kannst du dir die Sachen in der dritten oder vierten Generation schon am Flughafen kaufen. Das ist unglaublich! Dieses unglaubliche Tempo mit dem Downloading. Wir haben mit „Sister Ray Enterprises“ auch eine Homepage, von der sich die Fans einiges runterladen können. Das ist aufregend.

Wird dieser schnelle und direkte Zugriff auf Musik den Anspruch verändern, mit dem man Musik produziert?

Meinen Anspruch hat er jedenfalls nicht verändert. Du kannst alle möglichen Dinge machen, aber nur einige der wirklich wichtigen Arbeiten lassen sich wirklich schneller erledigen. Doch wer schert sich schon um schnelle Arbeiten? Ich jedenfalls nicht!

Ein großes Problem im Zusammenhang mit dem Internet ist die Frage, wie die Rechte der Autoren geschützt werden können. Interessieren Sie sich für die entsprechenden Bemühungen?

Natürlich interessiere ich mich dafür, wie ich mir auch über Bootlegs meine Gedanken gemacht habe. Sterling Morrison von Velvet Underground starb an Krebs. Er hatte nicht allzu viel Geld. Wenn er nur einen Cent für jedes verkaufte Bootleg erhalten hätte, dann hätte er eine Menge Geld gehabt. Wenn also einige Leute sagen, Bootlegs würden niemandem schaden, dann ist das nicht die Wahrheit. Diejenigen, die die Bootlegs rausbringen, das sind Diebe Auch wenn immer wieder gesagt wird, das wäre doch nur für Fans. Quatsch! Gerade in Europa wurden von Velvet Underground unglaubliche viele Bootlegs verkauft. Wenn Sterling dafür sein Geld bekommen hätte, dann wäre sein Leben sicher anders verlaufen. Ich bin der Ansicht, dass jeder für das, was er erarbeitet, bezahlt werden muss.

Muss man vor diesem Hintergrund als guter Musiker auch ein ausgefuchster Geschäftsmann sein? Oder reicht es, sich einen guten Manager zu angeln?

Die meisten Manager sind Gauner und Cangster.

Wem kann man in diesem Geschäft dann überhaupt noch vertrauen?

Nur dir selbst! Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, immer eine Fland auf seinem Portemonnaie zu haben. Ein Musiker zu sein, ist doch nicht gleichbedeutend damit, dass du blind sein musst. In einer idealen Welt wäre es sicherlich sehr schön, wenn man als Musiker nur Musik machen würde. Aber wird leben in keiner perfekten und idealen Welt. Wir leben in der realen Welt, in der es leider viel Missbrauch und Misstrauen gibt.

Glauben Sie, dass es in der heutigen Zeit überhaupt noch ein Bewusstein dafür gibt, dass der Diebstahl von geistigem Eigentum ein Unrecht ist?

Ich denke, nicht. Das Problem ist auch, dass es heute viele Künstler gibt, die das Geld, dass ihnen durch Bootlegs oder Internetpiraterie verlorengeht, gut gebrauchen könnten. Als Musiker kannst du heute wenig gegen diese Piraterie ausrichten. Du kannst keinen davon abhalten, ein Konzert mitzuschneiden. Die Minidiscs sind so klein wie mein kleiner Finger, die Mikrofone sind noch kleiner. Und die Tonqualität von diesen Geräten ist unglaublich gut.

Haben Sie als Fan jemals Bootlegs gekauft?

Aber klar doch, was denken Sie denn? Außerdem habe ich sehr viele und unglaublich gute Bootlegs geschenkt bekommen. Ich verstehe schon, warum die Fans sich dieses Zeug besorgen.

Was die heutigen technischen Möglichkeiten betrifft: Sie haben bekanntermaßen eine Vorliebe für alte Geräte.

Stimmt, obwohl es schwerer wird, diese alten Geräte aufzutreiben. Einige alte Mikrofone sind einfach unglaublich. Sie nehmen eine Sound auf, der unbeschreiblich ist. Ebenso einige alte Bandmaschinen und Kompressoren.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Einsatz dieser antiquierten Geräte? Ist es vielleicht die Suche nach dem puren und perfekten Rock’n’Roll-Sound? Und falls ja, wie nahe sind Sie diesem Ziel mit „Ecstasy“ gekommen?

Die neue Platte wurde mit einer Kombination von altem und neuem Equipment aufgenommen und produziert. Mit dieser Platte habe ich einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Eigentlich habe ich mit dieser Platte sogar mein Ziel erreicht. Überlegen Sie mal, wie lange ich daran schon arbeite. Seit 1972! Die Gefahr bestand, dass ich irgendwann taub geworden wäre. Ich schreibe keine Hits, habe ich nie gemacht. „Walk On The Wild Side“ war ein Zufallstreffer. Aber hätte dieser Text heute überhaupt eine Chance, als neuer Song im Radio gespielt zu werden? Würde Lou Reed heute überhaupt einen Schallplattenvertrag bekommen? Oder Velvet Underground? Wer weiß. Ich kämpfe immer wieder mit diesem unglaublichen Biest, das sich Rock’n’Roll nennt. Sicher werde ich dieses Biest nie zähmen können, aber ich will mit ihm auskommen können. Ich habe 30 lahre gebraucht, um die Technik für mich arbeiten zu lassen und nicht umgekehrt. Wir können nicht mehr Platten machen wie zu den Zeiten von Velvet Underground. Das klappt nicht, weil es nicht akzeptiert werden würde. Mir kommt es heute auf Power und Klarheit in meiner Musik an. Heute ist ein Song wie „Like A Possum“ ein Beispiel dafür, wie ich die Technik kontrollieren kann. Besser als jetzt geht’s kaum noch. Dabei sind viele Dinge glücklich zusammen gekommen. Wirklich ein Glücksfall. Wir hatten das richtige Studio, einen unglaublich guten Toningenieur und mit Willner den perfekten Co-Produzenten. Dazu baute mein Freund Pete Cornish aus London ein ganz bestimmtes Gerät für mich, das perfekt für die Aufnahmen war. Eine kleine Box mit einer großen Wirkung. Er nennt es „Death Pedal“. Du kannst damit unglaubliche Gitarrensounds erzeugen. Du musst einen Fokus haben, auf den du alles ausrichtest. Dann läuft die Sache.

Bringt es nicht viele Probleme mit sich, wenn Sie ohne dieses ganze Equipment auf der Bühne stehen? Schließlich möchten Sie ja auch live klanglich überzeugen.

Ich gehe mit einer akustischen Gitarre auf die Bühne. Ich kann damit alles machen. Für die anderen Instrumente wie z. B. das Saxofon haben wir lange nach dem richtigen Reed bzw. Rohrblatt gesucht, so dass wir auch live den richtigen Sound erhalten. Ebenso aufmerksam arbeite ich mit der Gitarre.

Würden Sie behaupten, dass die Instrumente Gitarre, Bass und Schlagzeug der definitiven Rock’n’Roll-Besetzung entsprechen?

Das ist einfach meine Lieblingsbesetzung für den Rock’n’Roll. Ich brauche nur einen zweiten Gitarristen, um diese Idee verwirklichen zu können.

Worin besteht für Sie die Herausforderung, immer wieder eine neue Platte aufzunehmen? Das ist doch nicht nur Beschäftigungstherapie, oder etwa doch?

Nein, das ist mein Ehrgeiz. Ich liebe es über alles, Songs zu schreiben. Das wirst du nie wieder los. Andererseits arbeite ich gerne mit Leuten zusammen, mit denen ich mich verstehe. Kollaboration ist eine wichtige, eine entscheidende Sache. Im Prinzip arbeite ich mit meinen Leuten zusammen wie in einem Fußball Team.

Ist es einfach, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und dabei mit Ihnen auszukommen?

Wenn ich gut drauf bin und die Sache läuft, dann kann man gut mit mir auskommen. Es ist immer gut, wenn die anderen auch das wollen, was ich will. Manchmal ermattest du im Studio und verlierst dein Ziel. Dann ist es gut, wenn die Leute, die mit dir arbeiten, den Faden aufgreifen und wieder festzurren. Du kannst nicht immer hundertprozentig perfekt auf den Punkt arbeiten. Ich jedenfalls nicht. Aber manchmal bin ich schon verdammt stur und egoistisch.

Wann haben Sie das erste Mal erkannt, dass Sie bestimmte Musiker und Freunde brauchen, um sich ausreichend verwirklichen zu können?

Das hat lange gedauert, lind ich habe viele Erfahrungen wegstecken müssen, bis ich erkannte, wie wichtig bestimmte Leute sein können, um dir zu helfen, etwas zu Ende zu bringen.

Haben Sie nach so vielen Jahren als Rockmusiker herausgefunden, wo Ihre definitiven Stärken liegen?

Ich bemühe mich immer, meine Arbeit im Studio weiterzuentwickeln. Die Arbeit im Studio ist im Vergleich zu einem Bühnenauftritt eine ganz besondere Erfahrung. Im Studio kann dich allein deine eigene Stimmung in eine gewisse Richtung stimulieren. Deshalb ist es umso wichtiger, mit wirklich guten lauten zusammenzuarbeiten. Leute, die zuverlässig und diszipliniert sind und nicht launisch. Ich versuche auch, nicht launisch zu sein, aber manchmal bin ich’s halt doch. Dann ist es gut, wenn dich ein paar Leute anmachen und wieder auf den Punkt bringen.

In dem Buch „Pass Thru Fire“, das auch die Songtexte der neuen CD beinhaltet, ist das entsprechende Kapitel „The Latest and Createst“ überschrieben. Nun behauptet doch jeder Musiker, dass die neue Platte immer auch die beste, größte und wichtigste ist, die er je gemacht hat. Warum arbeiten Sie mit solchen Floskeln?

Ich bin wirklich der Liberzeugung, dass diese letzte Platte auch meine größte Platte ist. Natürlich habe ich auch in der Vergangenheit bei jeder Platte gedacht, das es die beste wäre. Das ist normal. Du machst doch keine Platte und gibst dann zu, dass sie nicht annähernd so gut ist wie die letzten zehn. Dann brauchst du sie gar nicht zu veröffentlichen. Ich veröffentliche nur Material, das ich für das beste halte.

Ich habe den Eindruck, dass Sie bei der Arbeit an „Ecstasy“ sehr viel Energie und Aufmerksamkeit in die Songtexte gesteckt haben.

Ich investiere immer sehr viel Energie und Aufmerksamkeit in meine Songtexte. Vielleicht werde ich einfach nur besser. Okay, du wirst besser, je älter du wirst – ein besserer Songschreiber, eine bessere Person, ein besserer Gitarrist. Du lernst viel hinzu, weil du die Notwendigkeiten entdeckst. Es braucht nur seine Zeit.

Wie kontrollieren Sie die eigenen Fortschritte? Wer ist Ihr aufmerksamster, bester und härtester Kritiker?

Ich selbst.

Wirklich? Niemand anders als Sie selbst?

Nein, kein einziger! Nur ich.

Sie leben mit einer großartigen Künstlerin zusammen, die auch bei einigen Songs Ihrer neuen CD mitgespielt hat. Kritisiert selbst Laurie Anderson Ihre Arbeiten nicht? Gibt es keinen Gedankenaustausch zwischen Ihnen über die Projekte des jeweils anderen?

Ich würde Laurie nie kritisieren, ich habe große Achtung vor ihrer Arbeit. Was meine Musik angeht, so setze ich mich darüber sehr intensiv mit meinem Gitarristen Michael Rathke auseinander, ebenso mit meinen beiden anderen Bandmitgliedern, Fernando Saunders und Tony Smith. Manchmal schert es mich aber auch keinen Deut, was die anderen meinen. Dann ziehe ich mein Ding knallhart durch.

Denken Sie heute noch über frühe Platten und Aufnahmen nach? Gibt es da Dinge, die Sie bereuen, die Sie heute vielleicht gerne noch einmal anders aufnehmen würden?

Niemals! Ich bereue nichts von dem, was ich gemacht habe. Warum soll ich alte Sachen noch einmal aufnehmen, wenn ich glaube, dass die aktuelle Produktion etwas ganz Neues ist? Andererseits: Vielleicht wäre es ja ganz lustig, alle meine Songs noch einmal neu aufzunehmen. Auf jeden Fall würde ich einige davon liebend gerne remixen. Mit meinem heutigen Wissen könnte ich da vieles besser machen.

Welche aktuelle Musik fasziniert Sie, und welche können Sie nicht ausstehen?

Es gibt eigentlich keine Musik, die mich wirklich verärgert. Eine Platte aus den letzten Wochen, die ich sehr mag, ist die Single „Quarter On The Outside, I Hate You“ von einer Gruppe namens Caliz.

Besitzen Sie eine große Plattensammlung?

Nein, hin und wieder durchforste ich den ganzen Kram und schmeiße einen Haufen Platten raus. Ich bekomme viele Freiexemplare. Fast alle sind unglaublich schlecht.

Gibt es denn auch Platten, die Sie schon seit Jahren begleiten?

Oh ja, da gibt es ein paar Platten, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind. Fast alles von AI Green, Otis Redding „Live in Europe“, Ray Charles „Live in Georgia“, „Change of the Century“ von Ornette Coleman oder auch „The Roland Kirk Collection“ von Raashad Roland Kirk.

Sie haben am Thalia-Theater in Hamburg nur mit deutschen Musikern zusammengearbeitet.

Die sind fantastisch und haben eine Superjob absolviert.

Wird es für sie auch mal eine Zusammenarbeit mit Lou Reed im Studio geben?

Ich habe meine eigene Band. Seit vielen Jahren. Die beste.