Interview: Rod Stewart


Der Ball ist rund. Was Fußball-Narr Stewart in 12 Jahren nicht schaffte, gelang ihm schließlich mit "Baby-Jane": die erste Nr. 1 in Deutschland. Und als sich auch die jüngste Tournee als Volltreffer erwies, war das große ME/Sounds-Interview beschlossene Sache. In Los Angeles sprach Struwwelpeter Roddy - natürlich - übers Kicken, aber auch über sein Doppelleben als Familienvater und Rock-Gigolo, über Sex und "die alte schwedische Schlampe".

ME/Sounds: Deine LP BODY WISHES dürfte eine der erfolgreichsten sein, die du je gemacht hast. Kannst du sie mit ein paar Worten beschreiben?

Stewart: „Lieder aus dem Herzen, alles eigene Songs, keine Cover-Versionen.“

ME/Sounds: Ais wir uns das letzte Mal unterhielten, fandest du das Song-Schreiben noch sehr schwierig.

Stewart: „Das ist immer noch so. Ich brauche einen festen Termin, um in die Gänge zu kommen; dann klappt’s. Ich hab‘ schon versucht, mir künstlich Termine zu setzen, aber das haut nicht hin. Du mußt wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen. Dann kommen auch meist die besten Sachen heraus.“

ME/Sounds: Früher hattest du immer einen obligatorischen Reggae- oder Disco-Song auf jeder LP-je nachdem, was gerade populär war. Inwieweit hast du Modetrends auf diesem Album verarbeitet?

Stewart: „Wir haben viel mehr Synthesizer verwendet. Aber wir benutzen sie in unserer gewohnten Rock’n’Roll-Manier. Ich würde nicht sagen, daß wir sie über Bord geworfen haben, aber wir haben eine der Gitarren in der Band gestrichen und sind jetzt runter auf zwei Gitarren und zwei Synthesizer, die auch den Live-Sound ziemlich verändern. Aber ich würde nicht sagen, daß wir eine Synthi-Band sind.“

ME/Sounds: Weißt du noch, das erste Mal als ich mit dir gesprochen habe, war auch hier im Record Plant, vor em paar Jahren. Und ich erinnere mich, wie unbehaglich du im Studio schienst. Diesmal siehst du aus, als wärst du hier zu Hause.

Stewart: „Bin ich auch. Weißt du, ich habe eine Menge Leute aus meinem Leben verbannt – Manager und Typen, die nur abstauben wollten. Ich kümmere mich jetzt selbst um alles und habe professionellere Leute um mich. Diesmal macht mir die Zeit, die ich im Studio verbringe, Spaß statt Kopfschmerzen.“

ME/Sounds: Bringt die neue Arbeitsweise denn nicht noch mehr Kopfschmerzen mit sich?

Stewart: „Nein, du steckst viel mehr drin anstatt alles irgendwelchen Lockermännern zu überlassen, die dann nichts zustande bringen; so wie’s mir im letzten Jahr passiert ist. Ich bin dieses ganze Pack los, ich hab‘ sie alle gefeuert und beschlossen, es selbst zu machen. Die Gehälter hab‘ ich auch gekürzt!“

ME/Sounds: Sehnst du dich nicht nach den Zeiten mit den Faces zurück, als du im Studio bloß em paar Drinks zu nehmen brauchtest und – zack! – das war’s?

Stewart: „Wir machen s immer noch exakt genauso. Während die Faces nie so waren! Die Faces brauchten Jahre, um Alben aufzunehmen. Meine früheren Solo-Alben aber wurden so aufgenommen: EVERY PICTURE TELLS A STORY haben Woody und ich auf die Art eingespielt. Da wurde getrunken, herumgesessen und lokker gespielt. Aber die Faces, das waren Riesen-Produktionen! Die klingen vielleicht so locker, aber wir mußten dran feilen, damit sie so klingen. Die gesamte Musikszene hat sich auch unglaublich verändert. Ich glaube nicht, daß sich Faces-Platten verkaufen würden, wenn sie jetzt veröffentlicht würden. Klar, damals waren sie gut, aber heute würden sie untergehen.“

ME/Sounds: Nicht glatt genug?

Stewart: „Ich denke, die Musik ist seit 1972 ein ganzes Stück weitergekommen.“

ME/Sounds: Wohin sie m deinem Fall gekommen ist ist wohl die Fixierung auf den „Love-Song“. BODY WISHES besteht doch eigentlich nur aus Liebesliedern.

Stewart: „Aber keine blöden Liebeslieder! Das sind positive Liebeslieder, die mir beim Schreiben immer sehr schwer fallen du weißt schon, meine Liebe zuzugeben. Es ist schwierig, das Album zu analysieren. Ich bin zu dicht dran.“

ME/Sounds: Früher hast du dich aber doch auf die „Mit-den-Jungs-’ne-Sause-machen“-Songs spezialisiert.

Stewart: „Auf dem Album ist kein Song in der Art.“

ME/Sounds: Weil du das nicht wehr drauf hast?

Stewart: „Das gibt’s immer noch in meinem Leben. Ich glaube nur nicht, daß ich das jedem um die Ohren schlagen muß. Es gibt wichtigere Themen, um Songs zu schreiben, als das ‚Mit-den-Jungs-auf-die-Piste-Gehen‘.“

ME/Sounds: Kommst du mit der Rock’n’Roll-Seite deines Lebens schwerer klar,’seit du verheiratet bist, mit richtigem Hausstand und Kindern, die dich morgens aufwecken…?

Stewart: „Du glaubst doch wohl nicht, daß die Kinder kommen und mich aufwecken, oder? Oder daß ich ein normaler Papa bin? Sie wecken nicht mich auf, sie wecken das Kindermädchen auf.

Aber ich bin sowieso um neun Uhr auf. Ich bleib nicht mehr den ganzen Tag im Bett, Das Studio heißt Record Plant, der Raum The Bar. An der Wand hängen ein billiger Spiegel, em gerahmtes Foto der schottischen Fußball-Mannschaft und darunter eine Wurfscheibe. Die Illustration eines männlichen Körpers und seines erwartungsvoll ere$ierten Geschlechtsteils dient als Zielscheibe.

Rod Stewart hält hol. Eine Art „Bahn-Hof“ allerdings, denn während des Gesprächs springt er dauernd aus dem Stuhl um sich mit Produzent Tom Dowd zu beraten, ein paar neue Texte zu diktieren, eine Tasse Tee zu machen und sich über den letzten Stand des Celtic: Rangers-Spiels zu informieren.

Die Aufnahmen laufen wie immer schleppend „Natürlich haben wir alles bis zur letzten Minute rausgeschoben. Normalerweise hängen wir hier vier oder fünf Stunden täglich rum und trinken Tee, bevor wir uns ins Studio bequemen. Aber es wird schon klappen.“ Ein Satz, der heutzutage für seine gesamte Lebenseinstellung zu stehen scheint. Meint jedenfalls Sylvie Simmons, die das Gespräch mit „Roddy“ in Los Angeles führte, weil ich nicht mehr trinke – so fällt’s mir leichter, mit ihnen aufzustehen – und das macht mir sogar Spaß! Ich bin gerne mit ihnen zusammen. Solange ich bestimme wie lange. Ich mag Leute nicht, die sagen, ,Du mußt dich um die Kinder kümmern‘. Aber ich kann die beiden Seiten des Lebens sehr gut kombinieren.“

ME/Sounds: Also ist es leichter, eine häusliche Routine zu Finden, wenn man nicht immer zum Saufen rausgeht?

Stewart: „Klar gehe ich raus, einen zu trinken. Ich hasse dieses beschissene Wort Routine; jeder kommt mir damit. Dabei ist mein Leben zu Hause heute hektischer, als es je war – Telefone klingeln, Hunde bellen, Babies schreien, Bands proben, Leute wollen Interviews. Es geht wahrscheinlich hektischer zu als jemals vorher. Und mir macht’s Spaß! Früher habe ich das nicht gemocht.“

ME/Sounds: Weil die Leute, die für dich arbeiteten, dem Leben organisierten, statt daß du das selber machtest?

Stewart: „Die Leute, die für mich arbeiteten, konnten nicht mal ein Wett-Pinkeln in einer Brauerei organisieren.“

ME/Sounds: Wie kommt’s, daß du so lange gebraucht hast, um das herauszufinden?

Stewart: „Weil ich eine loyale Person bin. Das war einer meiner Fehler. Ich bin sehr loyal gegenüber Menschen, die für mich arbeiten – und dann finde ich heraus, daß sie mich bescheißen.“

ME/Sounds: Und endlich warst du einmal lang genug nüchtern, um es zu merken? War es denn so schlimm mit dem Trinken? .

Stewart: „Ja, Trinken heißt für mich jetzt nur noch ein paar Glas Wein. Als ich dich zuletzt traf, war ich schon auf vier, fünf Bier und ein paar Brandies herunter – aber ich hab‘ es noch weiter gedrosselt. Bei der letzten US-Tour hab‘ ich auf der Bühne immerhin noch 75%igen Rum getrunken.“

ME/Sounds: Warum hast du aufgehört?

Stewart: „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich wollte ich morgens aufstehen können, ohne jeden Tag deprimiert zu sein, ohne einen Kater zu haben und eine Zunge, die am Gaumen klebt. Ich bin erwachsener geworden, ich brauche keine Krücke mehr.“

ME/Sounds: Du hast geheiratet, du bist Vater geworden, du hast aufgehört, mit den Jungs herumzuhängen, du hast aufgehört zu trinken. Jeder dieser Schritte entfernt dich weiter von dem Lebensstil, den man mit Rock ’n‘ Roll assoziiert. Versuchst du, dich allmählich über den Rocksänger hinaus zu etwas anderem, einem angehenden Frank Smatra oder Sam Cooke zu entwickeln?

Stewart: „Natürlich möchte ich mich weiterentwickeln. Ich kann nicht mehr lange auf der Bühne herumspringen. Ich möchte gerne als Sänger respektiert werden – eine Art weißer Marvin Gaye oder so was. Und ich denke, das wird kommen. Ich weiß nicht, ob das jetzt die definitiv letzte Rock’n’Roll-Tour war, aber für Europa war es auf jeden Fall die letzte in dieser Größenordnung.“

ME/Sounds: Wie paßt der Rock’n’Roll da rein? Ist er nur noch ein Hobby für dich? Ich meine, du müßtest so viel Geld gemacht haben, daß du es nicht mehr nötig hast.

Stewart: „Mir ist auch viel Geld geklaut worden.“

ME/Sounds: Also könntest du nicht morgen aufhören und trotzdem ausgesorgt haben?

Stewart: „Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt aufhören will, selbst wenn ich genug Geld hätte. Ich wüßte nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ich bm ein toter Mann, wenn ich nichts zu tun habe. Aber um auf das zurückzukommen, was du gesagt hast: Der Rock’n’Roll kann mein Leben nicht ganz ausfüllen, weil er eines Tages einfach nicht mehr da sein wird. Also sollte man ihn nicht zu lieb gewinnen.“

ME/Sounds: Macht es dir nicht manchmal Angst, daß du so denkst, so vernünftig und so reif – verglichen mit dem Rod von vor ein paar Jahren?

Stewart: „Nein, das macht mir keinen Kummer. Ich bm einfach total ehrlich zu dir. Früher mußte ich eine ganze Flasche Wem trinken, bloß um ein Interview zu geben. Na, du kannst dich ja dran erinnern.“

ME/Sounds: Du hast mir mal erzählt, das wäre ein Requisit so wie Keith Richards immer eine halbleere Bourbon-Flasche griffbereit hat, wenn er mit der Presse redet.

Stewart: „Keith benutzt sie als Requisit, weil er sein verdammtes Image nicht aufgeben will. Er wird das noch machen, wenn er 60 ist und ihm alle Zähne ausgefallen sind! Er ist ein Bursche, der einfach nicht erwachsen wird.

Ich will damit nicht sagen… man sollte das Kind in sich nie sterben lassen. Es ist wirklich wichtig, daß wir uns das Kindliche erhalten, richtig! Aber ich glaube nicht, daß man einen auf jung machen sollte, weil man im Rock’n’Roll ist und denkt, daß man knackig aussehen muß. Ich meine, man sollte sich einfach einen Ruck geben und tun, was man für notwendig hält.“

ME/Sounds: Es sieht auch so aus, als hättest du ein paar Versuche unternommen, die beiden Aspekte zu verbinden indem du zum Beispiel die Kinder mit auf die Bühne nimmst.

Stewart: „Das war nicht geplant – und ich werd’s vermutlich nicht wieder tun. Meine Tochter – sie war genauso angezogen wie ich, es war witzig – rannte einfach los. Keiner konnte sie halten. Und dann ist mein Sohn auch losgerannt. Der Laden stand köpf. 18000 Leute drehten durch! Nein, ich werd‘ das nicht noch mal machen. Ich will meine Familie und meine Frau nicht jedem um die Ohren klatschen.“

ME/Sounds: Du hast nicht vor, einen auf McCartney zu machen und deine Frau Alans als Chor-Sängerm auf die Bühne bringen?

Stewart: „Nie und nimmer! Ich lasse meine Frau nicht in die Gruppe. Meine Frau ist wichtig für mich und meine Karriere, sie ist eine unglaubliche Hilfe. Das reicht mir. Ich will sie nicht auf der Bühne.“

ME/Sounds: Hat sie auch mit dem geschäftlichen Aspekt deiner Karriere zu tun?

Stewart: „Nicht wirklich. Sie gibt mir gute Ratschläge. Letztes Jahr mußten wir einige Schocks verdauen und uns an Veränderungen gewöhnen – nicht nur bei uns selbst, sondern bei all den Leuten, die mit mir zusammengearbeitet haben. Sie haben mir einfach den Rücken gedreht und auf mich geschissen, ihre Geschichten für einen Riesenhaufen Geld an die Zeitungen verkauft und Dinge erzählt, die sie nicht hätten erzählen dürfen, wenn sie wirkliche Freunde gewesen wären.

Aber ihr Schicksal wird sie einholen. Solche Leute kriegt es immer. Ich bm fest davon überzeugt, daß ihnen irgendwas passieren wird… wahrscheinlich bin ich inzwischen gläubiger geworden als je zuvor.“

ME/Sounds: Ein wiedergeborener Christ?

Stewart: „Nicht gläubig in religiöser Hinsicht, nein. Das ist schwer zu beschreiben: Gott hat damit zu tun, aber es ist kein Pochen auf die Bibel oder zur Kirche gehen oder irgendwas in der Richtung. Frieden im Herzen. Das ist wahrscheinlich das Wichtigste, wonach jeder streben sollte, egal was er m der Welt schon erreicht hat. Autos und Häuser zu kaufen führt zu gar nichts. Ich bin aus all dem herausgewachsen, einmal rum und wieder am Start.“

ME/Sounds: Bist du heute vernünftiger?

Stewart: „Sehr vernünftig. Wahrscheinlich bin ich vernünftiger als je zuvor, ich war mir meiner Sache nie sicherer… Wenn ich all die Leute, die mit mir gearbeitet haben, behalten hätte, hätten sie alles darangesetzt, damit ich so bleibe, wie ich war: ein Lümmel, der allen blonden Mädchen nachstellt. Sie hatten Angst, ihren Geldesel zu verlieren. Ich meine, ich hab‘ immer noch ein Auge für weibliche Formen, da brauchen wir gar nicht drüber zu reden!“

ME/Sounds: Du hattest kein Operation seit unserem letzten Gespräch?

Stewart: „Keine Operation!“

ME/Sounds: Du bist nach England zurückgekehrt, weil dir das Leben in Hollywood zu wüst war, hast du gesagt. Jetzt bist du wieder hier. Was ist passiert?

Stewart: „Davon hab‘ ich nie was gesagt. Ich bm überfallen worden, mein Auto wurde geklaut – und als ich das nächste Mal nach England kam, fragten sie: , Kommst du zurück, um hierzu leben?‘ Ih hab‘ gesagt, daß ich schon ganz gerne zurückkommen würde – wollte ich auch -, aber sie haben’s gleich riesig aufgeblasen und verkündet, daß ich Amerika für immer verlassen würde. So ist die Presse nun mal, es ist immer die beschissene Presse, die mir Ärger macht.“

ME/Sounds: Hältst du dich immer noch für sehr britisch?

Stewart: „O ja, absolut. Gestern nacht hat mich jemand gefragt, warum sich mein Akzent nicht geändert hätte, nachdem ich hier sieben, acht Jahre lebe. Ich hab‘ ihm gesagt, daß er sich nie ändern wird.“

ME/Sounds: Aber die Leute denken doch gerade, daß du dich geändert hast. Daß du sehr „Hollywood“ geworden bist, daß dich der Showbiz-Lebensstil in Hollywood völlig aufgesaugt hat.

Stewart: „Was ist der Hollywood-Lebensstil?“

ME/Sounds: Eine elitäre Einstellung, Geld, Glitter, Realitäts-Verlust.

Stewart: „Bloß weil ich ein paar promi- „

nente Leute kenne! Ich hatte so eine Zeit, das muß ich zugeben – der letzte PR-Mann, der für mich gearbeitet hat, hat mich irgendwie darauf gebracht. Aber das ist mehrere Jahre her. Wir gehen kaum noch aus.“

ME/Sounds: Was für einen Eindruck hat Hollywood auf dich gemacht, als du zum ersten Mal herkamst, als Arbeiterkind aus Nord-London?

Stewart: „Das war 1975. Da war ich grad sehr verliebt in die alte schwedische Schlampe. Echt wahr, wir waren richtig verknallt – deshalb hab 1 ich von der Stadt gar nicht viel mitbekommen. Ich hatte sofort Heimweh, weil ich England als Steuerflüchtling verlassen hatte und mir gar nichts anderes übrigblieb. Ich war todtraurig. Aber ich hab‘ mich gut eingelebt, weil ich den Sonnenschein mag. Mir fehlen der Fußball, die Pubs und alles andere Britische.“

ME/Sounds: Was vermißt du am meisten aus den 60ern? Und den 70ern?

Stewart: „Die 60er waren überhaupt nicht meine Zeit. Ich hab‘ nie gefühlt, als würde ich richtig dazugehören. Bis 1971 hatte ich keinen Erfolg. Ich wüßte auch nicht, was ich aus den 70ern vermisse. Das war halt ein anderer Lebensabschnitt.“

ME/Sounds: Wenn du zurückdenkst: Was war die beste Sache, die du im Laufe deiner Karriere gemacht hast?

Stewart: „Immer die Sache, die gerade läuft. Aber wenn ich mir die Alben so anschaue, würde ich sagen, vielleicht ATLANTIC CROSSING. Als ich es machte, könnt‘ ich es nicht ausstehen, aber ich hab‘ inzwischen gemerkt, daß es einen bestimmten Zauber hat.

Und EVERY PICTURE TELLS A STORY. Deshalb hab‘ ich meinen alten Produzenten zurückgeholt, Tom Dowd. Er hat drei oder vier meiner besten Alben betreut; bei den letzten beiden hab‘ ich’s selbst versucht.“

ME/Sounds: Glaubst du, daß du als Sänger ernst genug genommen wirst?

Stewart: „Du bist nur so gut wie deine Musik. Wenn die Musik mies wäre, stände ich heute nirgendwo. Die Leute können mich noch so kritisieren, solange ich trotzdem weiter Platin-Alben verkaufe…

Das ist wirklich das einzige, womit du deine Kritiker zum Schweigen bringen kannst: Erfolg. Da halten sie alle die Schnauze. Ich will aber auch gar nicht, daß die Leute mich ernst nehmen. Ich glaube nicht, daß ich so ein Typ bin. Ich bin eher der – hm – Komiker des Rock’n’Roll, während Bowie die ernste, intelligente, introvertierte Position vertritt. Ich nehm‘ die Dinge nicht so ernst. Nur einen Aspekt nehme ich ernst: die Zukunft meiner Familie. Auf den Rest scheiß ich.“

ME/Sounds: Bist du heute glücklicher als früher?

Stewart: „Zweifellos. Es wäre mir geradezu peinlich, noch glücklicher zu sein! Das wäre schon unfair. Ich werd‘ gelegentlich immer noch gemein – das ist meine miese Seite -, aber ich kann das jetzt wesentlich besser kontrollieren als früher.

Ich glaube, das hat viel mit deiner physischen Gesundheit zu tun. Ich hab‘ mich sehr darum bemüht, körperlich gut auszusehen. Ich laufe fünf Kilometer pro Tag – und das sind keine Lügen, wie sie dir einige Leute erzählen – und mach‘ das schon eine ganze Weile. Und ich spiele dreimal die Woche Fußball; ich glaube, da wirst du sämtliche Aggressionen los. Lieber jemanden auf dem Fußballfeld umsäbeln, als seine Ehefrau zu verprügeln.“

ME/Sounds: Ärgert es dich, daß du dich bewußt fit halten mußt, daß du mit dem Trinken aufhören mußtest?

Stewart: „Na ja, ich glaube, ich sehe heute besser aus als vor zehn Jahren. Man bekommt ein paar Falten im Gesicht, aber das macht einen viel reifer. Wenn du erst mal über 35 bist, mußt du anfangen, auf dich aufzupassen. Ich will gut aussehen, wenn ich 50 bin. Aber ich bin nicht so eitel, mir für Millionen Dollars das Gesicht liften zu lassen.“

ME/Sounds: Wie alt fühlst du dich?

Stewart: „Das ist verschieden. Manchmal kann ich mich schon wie 38 fühlen. Aber dann kann ich mit den Jungs um die nächste Ecke gehen und einen Drink nehmen, 16 Jahre alt sein und durch ein Glasfenster fallen; das ist mir letzte Woche passiert. Das ist echt die Geschichte meines Lebens. Wie bei Jekyll and Hyde.

Ich bleibe mit den Kindern zu Hause und finde es wunderbar – aber nicht zu lang! Dann will ich mit den Jungs losziehen und ausrasten. Wenn ich beide Lebensstile haben kann, bin ich wirklich zufrieden. Weil da ein Kind in mir ist – und das wird, glaube ich, immer da sein. Jede Frau, die versucht hat, es einzusperren – und das waren einige -, hat den Ellenbogen bekommen. Alana läßt mich frei herumtoben.“

ME/Sounds: Führst du eigentlich noch Tagebücher?

Stewart: „Ja. Tag für Tag. Mehr oder weniger das, was ich empfinde. Es ist auch ein Tagebuch über Platten-Aufnahmen, damit ich schnell nachschlagen kann, wie ich vor zwei oder drei Jahren etwas gemacht habe. Aber ich schreibe auch viel Emotionelles auf. All die schmutzigen Details.“

ME/Sounds: Sind sie ausführlich? Wenn ich dich fragen würde, was du in der und der Nacht mit Jeff Beck oder den Faces getrieben hast?

Stewart: „So weit kann ich nicht zurückgehen. Aber weil wir grad davon sprechen: Wir haben unseren Gedichtband fertig, Ronnie Wood und ich. Ich hab‘ die Gedichte gemacht und er die Zeichnungen. 1968 haben wir damit angefangen und sind gerade fertig geworden. So was nennt man schnell. Es ist sehr britischer Humor.“

ME/Sounds: Gibt’s irgendwas in deiner Vergangenheit, von dem du dir wünscht, es sei nie passiert?

Stewart: „Ich wünschte, daß ich den richtigen Leuten vertraut hätte – aber damit soll man sich nicht aufhalten. Du mußt nach vorne schauen. Und ich wünschte, Schottland hätte bei der letzten Weltmeisterschaft gegen Rußland einen Freistoß bekommen und wäre ins Viertelfinale eingezogen…“