James Blood Ulmer – Hamburg, Onkel Pö


Neben dem Afro-Beat scheinen auch verschiedene Spielarten des Jazz wieder an Einfluß auf die heutige Musikwelt zu gewinnen. Nach dem großen Jazz-Rock-Boom der siebziger Jahre waren diese Einflüsse erstmal für einige Zeit ins Abseits geraten, was aber angesichts der allzu limitierten Vorstellungen vieler damaliger Jazz-Rock-Größen auch nicht weiter verwundert.

Nun sollte es mit dem Gitarristen James „Blood“ Ulmer ausgerechnet ein Schüler des Avantgardisten Ornette Coleman sein, dem man hier den längst fälligen Schritt, zur Weiterentwicklung zutraute, ihm gar mit seinem Label „ARE YOU GLAD TO BE IN AMERICA“ (siehe Reviews) als einer der wichtigsten Neuerscheinungen feierte. Eine Mischung aus verzahnten Bläsersatzen, archaischem Funk und Bloods verspielter, keinem gängigen Harmorueschema folgenden Gitarrenspiel war das Rezept dieser Platte gewesen.

Im Gegensatz zu der großen Besetzung des Albums kam James „Blood“ nur mit zwei Begleitern nach Deutschland, in klassischer Trio-Besetzung also. Wer nun gemeint hatte, daß diese Tatsache unweigerlich zu kaum erträglichen Ausschweifungen oder zu gähnender Langeweile führen mußte, der sah sich getäuscht wie selten zuvor.

James „Blood“ hatte als Mitstreiter den Bassisten Amin Ali und den Drummer G. Calvin Weston dabei. Allein optisch schon ein eindrucksvolles Gespann. Blood, Anfang der Vierzig, mit Nadelstreifenanzug und Mohammedaner-Mützchen, immer grinsend und groß wie ein Bär. Calvin Weston das genaue Gegenteil: Klein und schmal, gespannt, vielleicht Anfang Zwanzig, gestochene Einsätze und nervöser Drive. Amin Ali zwischen beiden Extremen – mächtige Läufe, konzentriert, der Bass als Schlaginstrument für Alis rechten Daumen. Das Spektrum Bloods Begleiter reicht von massiven Afro-Ausbrüchen über vielfältige Zitate der klassischen Jazz-Geschichte bis hin zu fast maschinell anmutenden Ostinato-Funk-Figuren, auf die Blood seine stakkatohaften Zeilen legt: „Would you like to be in America…?“

Sein Gitarrenspiel hat nichts von den ausufernden Techno-Soli, denen viele seiner Kollegen auch heute noch fröhnen. Läßt er seine Schnelligkeit aufblitzen, so wirkt sie wie ein Überraschungseffekt und keineswegs wie ein Ritual.

Blood ist wohl auch einer der wenigen Jazzer, der heutzutage imstande ist, Songs schreiben zu können, dabei auch beim Spiel die Struktur und Form dieser Songs weitgehend unversehrt zu lassen und auf Effekthascherei zu verzichten. Dies nimmt seiner Musik jeglichen elitären Anspruch, und so war es auch den Jazz abwartend gegenüberstehenden Zuhörern möglich, an beiden Abenden viel Spaß zu haben. Das ist es wohl, was den Punk-Aspekt beim sog. Jazz-Punk ausmacht. Sehr erfreulich, daß hier mal eine Musikrichtung auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden ist. Das angekündigte Live-Album wird diesen Moment hoffentlich ausführlich dokumentieren.

PS.: Leider zog sich Blood während der Tour eine Grippe zu (wer war’s?), deshalb mußte das Berliner Konzert ausfallen.