Jamie Lidell


Jamie Lidell ist mit seiner Ehefrau Lindsey nach Berlin gereist. Sie sitzt an ihren Zeichnungen und arbeitet dabei strikt analog mit Kreidestiften. Der Gatte, seit 21 Jahren ein ausgewiesener Digitalprofi, erklärt währenddessen fürs Fotoalbum wichtige Stationen, Personen und Gegenstände seines Lebens.

1 The Prodigy Sein erster Auftritt überhaupt fand im September 1991 im Vorprogramm der späteren Techno-Chartsstürmer statt.

Die Umstände, die zu meiner Beteiligung an diesem Konzert geführt haben, sind mir nicht mehr so klar. Es waren aber gute Jungs. Liam schien damals schon der kreative Kopf zu sein, und Keith hatte noch lange Haare. Sie hatten gerade ihre Single „Charly“ veröffentlicht, und das Publikum war total auf Ecstasy. Ich war 17 Jahre alt, stand mit Synthesizer und Sampler da und musste mir danach anhören, dass meine Beats etwas langsam seien. Ich hatte ein neues Genre erfunden: Slow hardcore.

2 Brighton Pier An der Südküste Englands hat er sich zum ersten Mal exzessiv ins Nachtleben gestürzt.

Ich verbrachte viel Zeit am Pier. Der Klassiker schlechthin hatte es mir angetan: Ich warf einen Stein in die Luft und versuchte, ihn mit einem anderen zu treffen. Das konnte ich ewig machen. Ich lebte zwischen 1996 und 1999 in Brighton und hatte meinen Spaß. Ich ging viel aus, vor allem in den Escape Club. Cristian Vogel führte mich herum und beeinflusste mich sehr. Er wachte auf und produzierte sofort wie ein Berserker seine Musik. Ich habe nie wieder einen Typen mit so einer Energie getroffen.

3 Oberbaumbrücke Er gehörte zu den ersten ausländischen Musikern mit Standing, die Anfang des neuen Jahrtausends den Sprung nach Berlin wagten.

Ich hatte damals eine Freundin. Wir brauchten beide mal eine Luftveränderung, aber die Beziehung hielt leider trotzdem nicht lange. Ich hatte kein Geld, um nach Brighton zurückzugehen. In Berlin habe ich dann gelernt, wie man sich alleine durchschlägt. In Brighton hatte ich mit meiner Art von elektronischer Musik keine Chance. In Berlin werden ausgefallene Ideen viel eher akzeptiert. Du stellst dich hin, machst dein Zeug und die Leute versuchen, dir zu folgen. Ich hatte nicht ein einziges schlimmes Erlebnis in der Stadt.

4 Weiße Handschuhe 2007 war Jamie Lidell in der Besetzung von Chilly Gonzales‘ „White Gloves“-Konzerts. Ebenfalls mit dabei: Rocky und Feist.

Für die meisten Leute ist es unvorstellbar, dass man sich mit weißen Handschuhen an ein Piano setzen kann. Sie denken, ihre Hände könnten von den Tasten rutschen. Aber das ist Gonzo, wie er leibt und lebt. Er liebt diese verrückten Eigenheiten und präsentiert sie stolz vor aller Welt. Es ist immer aufregend, mit ihm zusammenzuarbeiten. Man weiß nie, was kommt. Er hat in Paris ja dieses Konzert gegeben, das jetzt im Guinness-Buch der Rekorde steht. Über 200 Songs hintereinander am Piano innerhalb von 27 Stunden. Für solche Sachen lieben wir Gonzo. Er ist ein Freak.

5 iMaschine iPhone-App von Native Instruments, die er in einem Video vorgestellt hat. Lidell spielte auch in der Band Mostly Robot, die von dieser Firma zusammengestellt wurde.

Es ist schon der Wahnsinn heutzutage. Man gibt noch nicht mal 5 Dollar aus, und schon kann man Musik mit dem Telefon machen. Die Leute von Native Instruments haben mich gefragt, ob ich die Funktion so einer App in einem Video vorstellen wolle. Sie kamen dann nach Nashville und nahmen mich und meine Frau im Bett auf. Sie las etwas und ich spielte live mit der App. Mit vier anderen Leuten war ich anschließend Mitglied von Mostly Robot. Eine Band, die von einer Software-Firma ins Leben gerufen wird – was für eine seltsame Idee! Ich kann diese Leute aber nicht genug für ihren Mut loben. Wir brauchen Leute mit solchen Ideen.

6 Grand Ole Opry Momentaner Wohnort des Musikers ist die Country-Metropole Nashville. Seine dritte Auslandsstation nach Berlin und New York.

Nashville ist nicht die Stadt, die man zuerst mit mir verbinden würde, ich weiß. HipHopper, Prince oder Cameo werden nie in der Grand-Ole-Opry-Show auftauchen. Aber es läuft in der Stadt gar nicht so eindimensional ab, wie man vielleicht denken könnte. Sie verändert sich durch Zugezogene, die eine neue Energie hineinbringen. Musik spielt in Nashville überall eine Rolle. Ich kenne ein Postamt, in dem Fotos von allen möglichen Künstlern an der Wand hängen. Es ist eine wall of fame. Hoffentlich hänge ich da später auch mal.

7 Grey’s Anatomy Sein Song „Multiply“ wurde für den Soundtrack dieser Fernsehserie verwendet.

Ich mache mir nichts aus Fernsehen, aber meine Schwester ist ein großer Fan der Sendung. Als sie merkte, dass meine Musik da zu hören ist, war sie aus dem Häuschen. Früher war es eine Gewissensfrage: Soll ich meine Musik für Benutzung in Fernsehen oder Werbung freigeben? Es hatte etwas von schmutziger Geschäftemacherei. Heute herrschen andere Bedingungen. Mein Rat an andere Musiker lautet: Nehmt das Geld! Es geht nicht ohne.

8 George Clinton Großes Vorbild bei der Produktion von Lidells neuem, selbstbetiteltem Album.

Aus Spaß habe ich mir den Spitznamen „The Atomic Underdog“ gegeben. Das ist von George Clintons großartigem „Atomic Dog“ abgeleitet. Es gibt im umfangreichen Kanon des Funk kein Stück, das meine augenblickliche künstlerische Absicht besser beschreibt. Clinton ist ein Irrer, ein Genie, ein Erfinder, der beste Anleiter, den ich mir wünschen kann. Wir hören in Nashville gerne diese Radiostation 92Q. Wenn die „Atomic Dog“ spielen, machen sie daraus ein richtiges Event. Es ist eine angemessene Würdigung für dieses Meisterstück.