Jan Böhmermann im Interview: „Die Gesellschaft braucht das: Reinigung durch Witz“


Nach #BandAid30 und #JeSuisCharlie, vor #Varoufake, Pol1z1stens0hn und #ParisAttacks: Im Winter 2015 trafen wir Jan Böhmermann zum Interview und sprachen mit ihm über sein Selbstverständnis und seine Ziele mit dem „Neo Magazin Royale“ – und erhielten Antworten, die auch im Rückblick aufs Jahr lesenswert sind.

Musst du im ZDF-Hauptprogramm nicht Versuche fürchten, Einfluss auf die Inhalte eurer Sendung zu nehmen?
Ja, das gibt es … „Einflussnahme“ würde ich das nicht nennen. Ich würde das diplomatischer formulieren, auch angesichts der Tatsache, dass die meiste Zeit meines Vertrages noch vor mir liegt. (grinst) Ich würde eher sagen, es gibt einen auf großem Vertrauen basierenden Diskurs über manche Sendungsinhalte. Ich bin seit 1999 im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, kenne deshalb seine Mechanismen sehr genau und weiß, wo es schwierig wird. Beim Thema Religion lernst du zum Beispiel als Erstes: Selbstverständlich kannst du einen Scherz über die katholische oder evangelische Kirche machen, allerdings bis du dann eben Thema im Rundfunkrat. Ich lehne Religion generell ab, weil das Schwachsinn ist. Aber statt mich an irgendeiner Religion festzubeißen, singe ich eben: „Ich bin Atheist.“ Es gibt natürlich trotzdem Beschwerden, zum Beispiel, wenn ich Hitler parodiere.

So etwas wird dann auch an dich weitergereicht?
Ja, ja. Letztlich ist so eine Beziehung zwischen einem Moderator und seinem Sender wie eine Liebesbeziehung: Das läuft nur, wenn du dir so ziemlich alles erzählst, was für den anderen wichtig ist. Und dass man zwei Wochen bevor die eigene Sendung im ZDF, dem Helene-Fischer-Sender, losgeht, diese eine „singende Sagrotanflasche“ nennen darf, ohne dass sich jemand vom Sender beschwert … Dass Helene Fischer und ich überhaupt unter diesem einen Dach stattfinden können, ein schöneres Kompliment kann es für einen Sender eigentlich kaum geben.

Du glaubst durchaus an den öffentlich-rechtlichen Auftrag, oder?
Klar. Auch weil ich sehe, was das Internet für eine Chance für den „zwangsgebührenfinanzierten Staatsrundfunk“, um mal so Pegida-Vokabular zu benutzen, ist. Da gäbe es zum einen die Möglichkeit, seit Jahrzehnten angehäuftes Kulturgut – die Archive von ARD und ZDF – dem Gebührenzahler zur Verfügung zu stellen. Die andere große Chance besteht darin, trotz des Medienwandels professionelle, gute, qualitativ hochwertige Inhalte auf neuen Verbreitungswegen zu übermitteln – weil für diese Anstalten die Refinanzierbarkeit im Internet ja nicht notwendig ist. Natürlich kann man sagen, es läuft viel Scheiße in ARD und ZDF und diese ganze verbohrte Hierarchie und Bürokratie … Aber so viel journalistische Kompetenz in Funk und Fernsehen, so ein ausgedehntes Korrespondentennetz oder auch diese ganze Filmförderung gäbe es ohne sie nicht. Ich möchte nicht in einem Land leben wie den USA, wo der öffentlich-rechtliche Sender sich durch Spenden finanzieren muss, qualitativ mittelmäßigen Schrott macht und deshalb keine Rolle spielt im gesellschaftlichen Diskurs.

„Bei ARD und ZDF kriegst du Probleme mit Hitler und politischen Witzen, dafür kannst du dich aber über McDonald’s oder Band Aid lustig machen.“

Glaubst du, mit deiner Satire-Sendung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich besser aufgehoben zu sein?
Nein, das glaube ich nicht. Bei ARD und ZDF kriegst du zwar Probleme mit Hitler und politischen Witzen, aber bekommst keines, wenn du dich über McDonald’s, Band Aid oder Leute aus der freien Wirtschaft lustig machst. Wenn du eine Sendung für RTL, Pro7 oder Sat.1 produzierst, kannst du dich über jeden Politiker lustig machen und jede gesellschaftliche Minderheit beleidigen – keiner weiß, wo er überhaupt anrufen soll, um sich zu beschweren. Dafür wird es dort schwierig, wenn du Scherze über die Massentierhaltung für die Burgerherstellung oder dich über den neuen Cro-Spot lustig machst.

Stimmt es, dass du früher beim Radio Abmahnungen kassiert hast und sogar aus Jobs rausgeflogen bist?
Ja. Das gab es mindestens drei oder vier Mal. Bei Radio Bremen hatte ich eine erzwungene Moderationspause von zwei oder drei Monaten.

Bezahlter Urlaub?
Nee, ich war ja „freier Mitarbeiter“. Aber ich durfte stattdessen in den Reporterdienst. Rausfahren auf dem Ü-Wagen und Reportagen von der Freibaderöffnung machen. Zur Strafe. Als Moderator beim Popradio hast du einen bequemen Job, bist gut bezahlt, moderierst Jessie J oder INXS an, kommst auf sechs Minuten Wort in einer Stunde. Als Reporter bist du den ganzen Tag draußen für einen Beitrag von insgesamt vier Minuten und wirst auch noch schlechter bezahlt. Trotzdem ist der Reporterjob befriedigender, unterwegs bist du dein eigener Chef. Ich tue mich einfach schwer, Dinge zu machen, die ich nicht sinnvoll finde. Zum Beispiel als Moderator einen Song gut finden zu müssen, den ich nicht gut finde.

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