Jeff Beck: Seiltanz auf sechs Saiten


Von allen Gitarrengöttern dürfte Jeff Beck wohl der am wenigsten populäre sein. Das hat freilich mit seinen technischen Fähigkeiten nichts zu tun. Ist ja kein Wunder, wenn man fast jährlich seine Stilrichtung ändert, mal Blues, mal Rock, mal Soul oder - wie im Moment - funkige Jazznummern spielt.

Noch vor einem halben Jahr sprach Beck davon, daß es ihm sehr am Herzen liege, sich nicht allzuweit vom Publikum zu entfernen. Im besten Fall sollte es, seine Stücke mitpfeifen können. Damit ist’s nicht weit her: Wer bei „Wired“, seinem neuesten Album, mitpfeifen kann, der hat einen wirklich bewundernswerten Zungenschlag. Die rasenden Gitarrenläufe, die Jeff jahrelang zu umgehen trachtete, scheinen außerdem plötzlich allesamt aus dem Sack gelassen worden zu sein: Beck, so scheint es, wagt einen bedenklichen Seiltanz. Hoffentlich verliert er nicht die Balance.

Es sieht wirklich so aus, als ob in der „Wired“-Suppe ein paar nicht zu übersehende Haare schwimmen. Nachdem „Blow By Blow“, der überaus erfolgreiche Vorgänger, Jeff erstmals eine der begehrten Goldenen eingebracht hatte, scheinen sich einige Leute überlegt zu haben, wie man schnell und ohne viel Aufhebens zu einer zweiten kommen könnte. Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings mehr als fraglich.

Skepsis

Dieses Mal gibt s nämlich keine Ohrwürmer, so gut wie keine Melodien, die zum Mitpfeifen animieren könnten, und fast nichts typisch Beck’sches. Stattdessen wird der Technik gehuldigt, mit dem Ergebnis, daß nicht einmal die stärksten Momente von „Wired“ an die schwächsten von „Blow By Blow“ heranreichen. Ein Pfeil in Richtung Skepsis ist auch die List der Komponisten. Zum erstenmal stammt kein einziger Titel von Beck selbst, was bei seinem Ideenreservoir stutzig macht. Hier waren nur eingefleischte Jazzer am Werk, und bei denen liegen die Wertmaßstäbe bekanntlich ja ganz woanders.

Erstaunlich ist, daß Jeff sich trotz der Gruppe des ex-Mahavishnu-Mannes Jan Hammer und seiner derzeit so ausgeprägten Jazz-Vorliebe einen ganz persönlichen Stil bewahrt hat, egal, was um ihn herum passiert. Seine Soli bewegen sich noch im selben Bereich, wie in seiner Soulrock-Zeit Anfang der 70er Jahre.

Schwache Nummern

„Viele Leute meinen, daß jeder Gitarrist, der schnell spielt, auch gleich ein Jazzrock-Gitarrist wäre. Das ist Unsinn. Was ich spiele ist nach wie vor ausgereifter Blues mit progressiven Rock-Obertönen. Es ist eine Sache der Entwicklung und sonst nichts!“, verteidigt er seine neue Stilrichtung. Aber es hilft nichts, die kompositorische Seite von „Wired“ ist zu schwach auf der Brust, zu nichtssagend, um den Erfolg des Vorgängers zu wiederholen. Kurz: Nichts für dogmatische Beck-Fans.

Zweckmäßig

Die Zusammenarbeit mit Jan und seiner Gruppe scheint ohnehin eher praktischer als kreativer Natur zu sein: „Sie hatten damals die größten Probleme, genügend Auftritte zu bekommen, weil sie sich noch keinen Namen gemacht hatten, und ich hatte keine Band. Also dachten wir, wenn wir uns zusammenschließen, hätte jeder etwas davon.“ Bei Konzerten sieht das so aus, daß die Jan Hammer Group erst mal drei Stücke allein spielt, bevor Beck dann die Bühne betritt und die Leute zu Beifallsstürmen hinreißt: Jeff sorgt für ein volles Haus und Jan für die Band.

Der Bequeme

Eine eigene Truppe aufzumachen, reizt Beck schon lange nicht mehr. Wie er selber zugibt, ist er ein Typ, der wenig arbeitet und daher die Belastung, ständig eine kostspielige Band im Nacken zu haben, nicht gerne auf sich nimmt. Zudem will er sich durch diese Freiheit den Weg in musikalische Sackgassen ersparen. Und drittens, auch sehr wichtig: Es steht nicht mehr auf Solosänger, der alte Egoist. Dabei wäre nichts leichter für ihn, als eine Gruppe wie Led Zeppelin zu gründen. Aber das ist ihm alles viel zu bequem. Dann arbeitet er schon lieber mit Risiko.

Zugeständnisse

Im Grunde war er früher immer so: einer der stolzen, wilden Männer der Rockmusik, die sich keinem Trend anpassen und keinen überflüssigen Gedanken an die Kommerzialität verschwenden. Doch nun scheint er sich zu wandeln, denn „Wired“ sieht leider allzu sehr nach einem der dünnblütigen „Follow-Ups“ aus, den von der Industrie so geliebten Nachfolge-Alben. Ob Jeff langsam bange wird, nichts mehr vom großen Kuchen abzubekommen, den sich zwei seiner früheren Kumpel (Clayton und Page) schon seit Jahren aufteilen? Letztes Jahr schlug Jeff freilich noch leichten Herzens einen Job bei den Rolling Stones aus: „Sie riefen mich an, und ich fuhr nach Rotterdam. Ich wußte aber nicht so recht, was ich da sollte. In drei Stunden nur drei Akkorde zu spielen ist nämlich nicht mein Fall. Da bedarf es schon einiger Energie mehr, um mich zu befriedigen!“ Klar, die Energie, die spielte immer eine große Rolle bei ihm. Sie veranlaßte ihn die Heavy Metal-Supertruppe „Beck, Bogart & Appice“ zu formieren, um damit endlich das Kapitel “ Hardrock-Trio“ zu beenden. Sie dürfte auch ein gewichtiges Wort mitgeredet haben, als er begann sich in Richtung Funk vorzuarbeiten und sich mit dem energiegeladenen neuen Jazz näher auseinanderzusetzen.

Abwarten

Warten wir ab, was uns das nächste Jahr an Überraschungen bringen wird. Länger als zwei Platten hielt es Beck nie bei einer Stilrichtung aus – und „Wired“ ist mal wieder die Zweite.

„Alles was ich bisher getan habe, habe ich bewußt getan. Egal welche Informationen du auch erhältst, du wirst immer von deinem Kopf geführt. Nur eines will ich wirklich: Ich möchte mit meinem Material nicht am Publikum vorbei produzieren, denn das ist nicht sehr produktiv. Wie es aussieht, rechnet man einem erst wenn man stirbt die Dinge an, die man getan hat, und das ist das Frustrierende daran“!