Jeff Harley Band: Pur und stur


An ihrer Halsstarrigkeit hat auch der Erfolg nichts andern können. Das traditionsbewußte Trio aus Toronto, das auch geschäftlich die Fäden fest in der Hand hält, steht weiterhin mit beiden Beinen auf dem Boden des Blues. ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake stellte mit Genugtuung fest, daß das Glück manchmal sogar dem Tüchtigen lacht.

Erstmals vorgestellt wurde er an diesem Ort vor gut einem Jahr: ein blinder, 22jähriger Gitarrist aus Toronto, der sein Instrument auf dem Schoß spielte, mit den Zähnen, hinter dem Kopf – kurzum: auf denkbar unorthodoxe Weise. Inzwischen hat Healeys Band mit B. B. King gejammt. mit Clapton und Keith Richards. Den Doors-Klassiker „Roadhouse Blues“ hat Jeff für den Film „Road House“ aufgenommen, einem Kassen-Knüller, den weltweit 15 Millionen Zuschauer sahen. Die Verkaufszahlen für Healeys Debüt SEE THE LIGHT haben inzwischen die Zwei-Millionen-Marke überschritten. Auf dem zweiten Album. HELL TO PAY, spielen George Harrison und Mark Knopfler.

Healeys Metamorphose vom Nobody zum Star scheint ungewöhnlich reibungslos vonstatten gegangen zu sein – es kommt nicht allzu häufig vor, daß einem jungen Musiker tatsächlich der Erfolg zuteil wird, den er verdient. Drüben in Kanada müssen jedenfalls die Plattenbosse, die das Healey-Trio seinerzeit mit Worten wie „Nette Club-Band, aber kein kommerzielles Potential“ abfertigten, ziemlich dumm aus der Wäsche schauen.

„Als wir bei Arista in New York unterschrieben, hätten uns die kanadischen Kritiker am liebsten skalpiert“, erinnert sich Jeff. „Als ob wir Hochverrat begangen hätten.“

„Wir hatten ganz am Anfang eine eigene Single pressen lassen“, schaltet sich Bassist Joe Rockman ein, „und verkauften 7000 Stück quasi von der Bühne herunter. Wir dachten, das wäre gar nicht so schlecht, aber die Plattenfirmen waren immernoch nicht interessiert. „

Mangelnde Unterstützung hin oder her, am liebsten sind Healey, Rockman und Drummer ‚ Tom Stephen immer noch in Toronto, obwohl man sich während der letzten zwei verrückten Jahre daran gewähnt hat, aus dem Koffer zu leben. In einer Ecke von Healeys Hotelzimmer steht eine Trompete. Jeff übt zwischen den Interview-Terminen: Am Mittwoch hat er einen kleinen Jazz-Gig mit Freunden in Toronto.

„Die Trompete spielst du wahrscheinlich nicht im Schoß, oder?“ erkunde ich mich. Jeff lacht, eine Explosion in Zeitlupe. „Hah! Hah! Oh nein! Aber mein Ansatz ist etwas seltsam. Ich blase so aus einem Mundwinkel heraus, ein bißchen wie Louis Armstrong. Ich hab jede Menge seltsamer Ticks… Frag meine Freundin!“

Gitarre, Trompete, Schlagzeug, Baß, Mundharmonika, Keyboards… Jeff Healey spielt so ungefähr alles. Obwohl er der geborene Musiker ist, hat er es nicht gern, wenn man ihn als „den neuen Hendrix“ bezeichnet. „In dieser Schublade fühle ich mich nicht wohl. Ich wollte nie einer von diesen Gitarren-Helden werden. Ich bin ein Band-Spieler, und auf der Basis wollen wir weitermachen. Obwohl das Publikum Sängern und Gitarristen natürlich immer mehr Aufmerksamkeit schenkt. „

Ein wohl unausweichliches Problem. Der Mangel an demokratischer Anerkennung scheint Healey jedoch mehr zu schaffen zu machen als den eigentlich Betroffenen selbst. „Tom und ich haben keinerlei Schwierigkeiten mit unserem Ego“, sagt Joe Rockman. “ Wir sind von Natur aus eher Begleitmusiker als Solisten, aber schließlich prägt genau das den Sound der Band. Natürlich könnte Jeff mit jeder beliebigen Rhythmusgruppe spielen, aber mit einem virtuosen Bassisten à la Stanley Clarke würde es nicht funktionieren, weil Jeff eine Menge Raum braucht. Kreative Entscheidungen treffen, Schreiben, Arrangieren – das machen wir alles gemeinsam.“ Außerdern managt sich die Band immer noch selbst.

„Es ist wichtig für uns, völlige Kontrolle über unsere Arbeit zu behalten“, sagt Jeff. „Eines unserer Probleme im Augenblick ist, daß wir einfach nicht schnell genug an einen Ort zurückkommen können, um die Nachfrage zu befriedigen. Es war schon schwer genug, das neue Album irgendwie im Terminkalender unterzubringen.“

Für HELL TO PAY kam die Band von einer einjährigen Tour zurück, und nach einer kurzen schöpferischen Pause zog man sich in das (in der Nähe von Montreal gelegene) Dorf Marin Heights zurück. In ländlicher Abgeschiedenheit und unter den Fittichen von Ed Stasium, seit seiner Arbeit mit Living Colour Wunschproduzent der Band, wurde das Album im Schnellverfahren aufgenommen. „Ed hat ein großartiges Gefühl für diesen wuchtigen, erdigen Sound, den man normalerweise nur live hinkriegt. Darauf stehen wir, und das fehlte uns bei SEE THE LIGHT“

Den Radio-DJs werden die Stücke mit den berühmten Gaststars sicher ausnehmend gut gefallen. Ein bißchen verwirrend ist jedoch, daß Healey bis heute weder George Harrison noch Mark Knopfler getroffen hat. „Wir wollten den Song schon auf SEE THE LIGHT haben“, sagt Jeff, „und dieses Mal waren wir wild entschlossen. Nachdem wir ihn aufgenommen hatten, fragte ich Ed Stasium: ‚Was fehlt jetzt noch ?‘ Er sagte: ‚George?‘ und ich dachte: Dieser Typ hat einen merkwürdigen Humor.“ Stasium ließ sich jedoch nicht beirren, und so hängte sich Tom Stephen ans Telefon. Eine Woche später rief Harrison an. Ja, bin entzückt, aber es gibt leider keine Möglichkeit, im Augenblick nach Kanada zu kommen. Wie wäre es, wenn ihr das Tape nach L.A. schickt, ich arbeite da gerade in dem Studio eines Freundes?‘ Der „Freund“, so stellte sich heraus, war Jeff Lynne, der gleich selbst noch etwas aufs Band zauberte. Knopfler dagegen bot Healey einen Song aus seiner Feder an und war von dem Rough Mix so angetan, daß er sich spontan bereit erklärte, das Stück mit seinem Sound zu veredeln. „I Think I Love You Too Much“ ist ein bizarres Beispiel für Audio-Collage, eine auf dem Postweg abgewickelte Jam-Session.

Apropos Post, Jeff entschuldigt sich für die Dauer eines Telefonates. Letzte Woche hat er in London die Second-Hand-Läden heimgesucht und für seine Sammlung von etwa 15000 Jazz-78ern weitere 200 Raritäten erstanden. Jetzt will er sich vergewissern, daß sie in gutem Zustand in Toronto ankommen.

„Sammler sind alle ein bißchen übergeschnappt“, seufzt er. klingt aber nicht sehr beunruhigt. „Eine Sucht, die meistens gesellschaftliche Außenseiter befällt. Ich bin wahrscheinlich eines der normaleren Exemplare.“ Er träumt immer noch davon, alle Werke seines Idols Louis Armstrong aufzuspüren und zu veröffentlichen. „Ich arbeite seit Jahren an diesem Projekt, aber um das ordentlich durchzuziehen, dürfte ich eine Zeitlang nicht mehr auf Tour gehen.“ Danach sieht es zur Zeit nicht aus. „Die Welt ist groß, und wir sind noch lang nicht überall gewesen.“