John Martyn


Er ist ohne Zweifel einer der besten und interessantesten Gitarristen, die Großbritannien hervorgebracht hat. In zehn Jahren hat er mittlerweile zehn LPs herausgebracht. Nur einen Hit, den hat er noch nie gehabt. John Martyn ist wohl der hartnäckigste Geheimtip der Rockgeschichte.

Eigentlich war ja schon John Martyns jüngstes Album „One World“ ein handfester Renner. Eine Platte, die ganze Heerscharen von Gitarren-Freaks in Atem halten müßte. Denn hier hat ein Gitarrist mit Fingerfertigkeit, Köpfchen und einigen trickreichen elektronischen Zusatzgeräten einen Sound geschaffen, der in der so hoffnungslos überlaufenen Rockszene einzigartig dasteht. Aber kaum jemand nimmt das zur Kenntnis. John Martyn kann ’ne Menge, aber er schafft es offenbar nicht, sich in die richtigen Informationsströme einzuklinken. Das ist wohl das Geheimnis seines Mißerfolges.

Martyn selbst brechen die ausbleibenden Gold-und Platinplatten nicht das Herz. Er will Geld genug haben, um leben zu können, das reicht zunächst einmal. Darüberhinaus wird für ihn eine Sache wie Lebensqualität wichtiger als vordergründiger Luxus und ein gutgepolstertes Bankkonto. Ein Rockstar wie er im Buche steht, ständig auf Achse zwischen Studio, Konzerthalle, Hotel, umgeben von Geld witternden Aasgeiern, von Groupies und Fotografen, könnte er ohnehin nie werden. Dazu überschaut er seine Umwelt zu klar, hat eine zu starke Abneigung gegen die oberflächliche Lebensweise im Rockbusiness.

John Martyn siedelt, mit Frau und Kind, bewußt auf dem Lande, „sehr ruhig und friedlich“, wie er sagt. Fünf Jahre hatte er in seiner Geburtsstadt Glasgow verbracht, und da bekam er wohl schon einen Knacks fürs Leben. Großstädte, meint er heute, seien nicht gut: „Die zwischenmenschlichen Beziehungen verkümmern!“ In Dörfern sehe das besser aus, weil man die Menschen, mit denen man zusammenlebt, dort auch kennenlernen könne.

Die Vorliebe für die heile Welt außerhalb der Metropolen schlägt sich natürlich auch in Martyn’s Musik nieder. Er kommt aus der britischen Folkszene, war hier zugleich aber auch immer ein Abtrünniger. Keine Martyn-Platte ohne Experimente: Er hat es mit Jazz und mit Reggae versucht, immer wieder seinem Hang zur Improvisation nachgegeben und vor allem die Klangbreite seiner Gitarre mit Effektgeräten, besonders im Echo- und Hallbereich, ständig vergrößert.

Genaugenommen „spielt er heute zwei Instrumente gleichzeitig: das andere ist seine Stimme, die er fast immer instrumental einsetzt; ein heiseres Organ, das stets klingt, als sei es mit einem Vocoder verwachsen, einem elektronischen Gerät also, das Frequenzen zusammenpreßt. Diese Stimme stellt in merkwürdigem Kontrast zu seinen melodischen, über weite Spannungsbögen gestreckten Improvisationen mit ihrem beeindruckenden Klangreichtum. Aber gerade dieser Gegensatz macht einen der wesentlichen Reize von Martyns Musik aus.

Daneben beeindruckt auch, wie geschickt er mit Dynamik umgeht, unterschwellig brodelnde Spannung erzeugt, ohne die Schönheit seiner Gitarrensounds zu beeinträchtigen, die oft im Raum hängen wie die Kondensstreifen von silbernen Jets im Abendhimmel. „One World“, Martyns zehnte LP, ist sicherlich die Platte, auf der er all die musikalischen Vorstellungen, die in seinem Kopfe seit Jahren herumspuken, konsequent und aufregend wie nie zuvor verwirklicht hat. Viel Inspiration für diese LP holte er sich in Jamaika, für das ihn vermutlich Island-Plattenboß Chris Blackwell erwärmt hat. Jener Blackwell, der Martyn trotz ausbleibenden kommerziellen Erfolgs nicht fallenläßt. In der Karibik arbeitete John mit dem Produzenten Lee Perry zusammen, gab ein Gastspiel auf einer Burning-Spear-Platte und gewann den Posaunisten Rico für sein eigenes Album. Steve Winwood setzt ebenfalls Akzente auf „One World“, mit Synthesizer, Baß und Piano und Orgel – ein Zeichen dafür, welche Wertschätzung John Martyn bei anderen Musikern besitzt.

Nach Deutschland, zu einem Konzert im TV-„Rockpalast“ vor einigen Monaten, konnte er Steve allerdings nicht mitbringen. Doch es gab auch so Grund genug, über diesen kaum bekannten Gitarristen zu staunen: dank der hochmodernen Elektronik, die heutzutage für Rockgitarristen auf dem Markt ist, schaffte er es, an die Sound-Brillanz seiner letzten Platte auch live anzuknüpfen. Den Rest besorgte seine Persönlichkeit, seine offene, durch keinerlei spektakuläre Erfolge verdorbene Haltung, mit der er seinem Publikum entgegentritt. Er ist eine Entdeckung, dieser Mann. Nur: er wird dem Rockvolk nicht auf Trockeneisschwaden serviert; man muß ihn suchen.