John McLaughlin hat umgesattelt!


John McLaughlin spielt bekanntlich seit einiger Zeit mit neuen Leuten zusammen. Die Gruppe nennt sich Shakti und besteht mit Ausnahme von John nur auswaschechten Indern. Obwohl seine Musik noch nie so richtig für Pop-Festivals geeignet war, entschied sich der Meister für ein Europa-Debut, das ausschließlich auf Festival-Auftritten basierte und damit für ihn zu einem nicht geringen Risiko zu werden drohte.

Neben Montreux, Amsterdam und Wien stand auch die „Hot Rock Night“ in der Köln Müngersdorfer Radrennbahn auf dem Programm. Ein Festival, das neben Shakti noch die neue Billy Cobham/George Duke Band und Golden Earring (!) als Headliner aufwies. Natürlich war auch schon Ravi Shankar auf RockFestival gefeiert worden, aber das war bereits vor fast zehn Jahren. Würden John und seine Inder heutzutage denselben Erfolg ernten können?

Andächtige Fans

Als nach diversen Anheizergruppen die Spezialbühne für Shakti installiert worden war, konnte es also losgehen. Es schien sogar, als würden die knapp 9000 Besucher nach Winfried Trenklers Ankündigung ein wenig stiller und andächtiger werden. Das fortwährende Herumschlendern setzte kurz aus, und das unvermeidliche Schreien und Pfeifen verstummte für ein paar Minuten. Alle waren gespannt, was da auf sie zukommen würde.

Endlich betraten die vier Musiker die Bühne. Wie üblich in solchen Fällen folgte zunächst einmal der ehrfurchtsvolle Gruß und das dazu gehörige gesenkte Haupt Als sie sich dann aber auf ihre Decken niedergelassen, sich kurz angegrinst und die Instrumente gestimmt hatten, hätten sie eigentlich beginnen können. Offenbar schüchtern schauten sie in die Menge und werden sich wohl gefragt haben, ob sie hier, bei diesem herrlichen Sonnenschein vor tausenden von verwöhnten Rock-Ohren, an der richtigen Adresse seien.

Gutes Publikum

Aber da konnten sie ganz beruhigt sein. Schon nach den ersten Tönen wurde deutlich spürbar, daß sich das Festivalvolk dazu entschlossen hatte, Toleranz und Konzentration aufzubringen und Shakti die verdiente Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In der ersten Viertelstunde saßen sie da wie festgefroren, teils aus Bewunderung, teils als verblüfftes Fragezeichen. Bestimmt hatten sie davon Wind bekommen, daß McLaughlin nunmehr indischer als je zuvor spielen würde, aber diese immense Geschwindigkeit, mit der John und der Geiger L. Shankar ihre Unisono-Themen herunterspulten, hatten sie dann doch nicht erwartet.

Shakti ist genaugenommen eine rein akustisch ausgerichtete Band. Weder Boxen- noch Verstärker-Türme versperren einem gewohnlich die Sicht, wenn sie auftreten. Bei diesen riesigen Kölner Ausmaßen allerdings konnten auch sie nicht auf „ein paar hundert Volt“ verzichten. Und um ehrlich zu sein, für ihre Verhältnisse war der Sound ausgezeichnet. John’s zwölf- und sechssaitige Gitarre klang, als würde man da oben nebem ihm sitzen, und die verschiedenen Trommeln und Tablas der beiden Percussionisten bildeten ein überzeugendes Rhythmusgebilde, das nie enttäuschte.

Die Musik ist sehr indisch geworden – „Bombay Boogie“ nennt John sie heute nicht ohne Stolz. Aber er sollte sich nichts vormachen: Wäre er nicht dabei, hätte die Gruppe wohl kaum die (zweifelhafte) Ehre genossen, hier an diesem Tag, vor diesen Leuten und in diesem Programm aufzutreten. Sie wäre bestimmt nicht engagiert worden. Ihre Musik ist wenigstens ebenso authentisch und folkloristisch wie Airto Moreira’s sudamerikanische Jazz-Rock-Experimente auf der anderen Seite. Nichtsdestoweniger konnte sie aber nicht nur das allgemeine Interesse auf sich ziehen – sie kam auch hervorragend an!

Natürlich besaßen die meisten der Zuhörer nicht die Konzentrationsfähigkeit, dieser Musik eine volle Stunde ihr angestrengtes Ohr zu leihen, aber immerhin blieb es fast zwei Drittel des Shakti-Sets über relativ ruhig und friedlich im Stadion Man klatsche Beifall, wenn er angebracht war, starrte hin und wieder gebannt auf den Gitarristen oder Geiger, um sich zu vergewissern.

ob man auch nicht träume, und kein angetrunkener Rocker störte die meditative Spannung, die während dieses Auftritts über dem Stadion lag.

Jeder ein Solo

Sehr typisch für den spieltechnischen Stand solcher Gruppen sind die überaus ausgeprägten Soli der einzelnen Musiker. Also: Vier Musiker vier Soli! McLaughlin bewies dabei wieder einmal, daß er speziell auf der akustischen Gitarre weder an Schnelligkeit, noch an Spontaneität oder Improvisationsfreude zu schlagen ist. L. Shankar, ein bislang noch kaum bekannter Geiger, stand ihm aber in nichts nach und darf sich von mir aus in nächster Zeit mit stolz geschwellter Brust der „McLaughlin der Streicher“ nennen. Nur daß er zusätzlich noch in der Lage ist, auch Melodien – ja, richtige Melodien – in sein ausdrucksstarkes und geschwindigkeitsreiches Spiel einfließen zu lassen.

Eine Rhythmus-Orgie ohnegleichen

Für die 9000 im Stadion aber waren die absoluten Helden des Tages die beiden indischen Percussion-Meister. Gegen Ende des Shakti-Auftritts, als das Interesse doch merklich nachgelassen hatte, rissen diese beiden Wundertrommler die Leute nochmal so richtig von den Sitzen. Erst drosch sich der eins die Seele aus dem Leib, und nach ihm zeigte der andere sämtliche handwerklichen Fähigkeiten und Tricks, die er in den letzten zwanzig Jahren mitbekommen hatte. Und als Zugabe quasi, für die Massen, die inzwischen begonnen hatten, die beiden wie wild anzufeuern, hieben sie gegen Schluß noch gemeinsam auf ihre Felle ein. Eine Rhythmusorgie ohnegleichen, die freilich von Seiten der Inder mehr oder weniger als halbherzige Prostitution aufgefaßt werden mußte.

Experiment geglückt

Es war zweifellos der beste Zeitpunkt zur Beendigung des Shakti-Auftritts, denn ein zweites Mal hätten sie das erschöpfte Publikum nicht in ihren Bann ziehen können. Für die meisten dürfte ihre Musik zu komplex, zu energiegeladen und zu schwer verdaulich gewesen sein, um ihr länger als eine Stunde genußvoll zuhören zu können. Falls jemand vermutet hatte, diese indische Variante des Mahavishnu Orchesters wäre Festival-verträglicher als ihr Vorgänger, so hatte er sich gründlich getäuscht!

Shakti hatte Glück mit dem Kölner Publikum. Ebenso gut hätte es sie bereits nach den ersten Tönen auspfeifen oder mit überschwenglicher Mißachtung strafen können. So aber wurde Shakti – und später am Abend auch Billy Cobham’s Band zu einer echten und erfolgreichen Hauptattraktion, mit der sich ohne weiteres ein Festival dieser Größenordnung aufziehen läßt.