Judas Priest – Todgeil auf Leder


Wir haben Detlef Kinsler zugesichert, alle Krankenhauskosten zu übernehmen, falls die Lederboys von Judas Priest während des Interviews mit ihren Ketten auf ihn losgehen. Aber die Jungs scheinen sich ihre Brutalo-Fantasien allein für Bühne und Platte aufzusparen. Dort sind sie die Macker in einer abenteuerlichen Männerwelt, die wie auch ihr Image Risse bekommt, sobald sie sich aus ihrer markigen Kluft schälen. Kunst, das kann Menschen sehr, sehr viel bedeuten“, ist Priest-Sänger Rob(ert) Haiford bemüht, Judas Priests Heavy-Metal-Spielform auf eine Kunstebene gleich neben Picasso und Renoir einzureihen. ,.Denn Kunst ist Inspiration, vermittelt den Menschen eine Richtung, Hoffnung, Glauben, schlicht alle möglichen Motivationen.“ Und dann hat er, Rob der Textdichter, noch in jedem der Songs eine message für die kids, die sich jedoch der allgemeinen Verständlichkeit entzieht, da er seine Träume in Leder wild herauszuschreien pflegt. Da ist nur hin und wieder mal ein Wort zu verstehen, aber die Songtitel verraten eigentlich schon genügend dieser richtungweisenden Perspektiven: da geht es um die Heiligen, die zur Hölle gefahren sind, man betritt die „Welt“ jenseits des Totenreiches, läßt Wilde, Sünder, Frauenschänder und Tyrannen neben Kampfmaschinen aufmarschieren, lebt teuflische Phantasien aus und besingt das Ende der Helden. Oh harte, abenteuerliche Männerwelt, auf der Bühne bist du noch allabendlich intakt! Die 14-bis 15jährigen Zuschauer, meist männlich (natürlich), im Publikum bekommen leuchtende Augen, wenn Rob im schweren Leder, mit Mütze, schweren Stiefeln, Ketten um die Taille und einer Peitsche in der Hand die Bühne entert, die Band die Priest-Hymne „Hell Bent For Leather“ (etwa: todgeil auf Leder) anstimmt und in der nächsten Stunde ein Soundgewitter brutalsten Heavy Metals losgelassen wird. Gellend hohe, spitze Schreie brechen sich an den Betonwänden der Offenbacher Stadthalle. Als hätte Ian Gillan, der legendäre, seine Stimme wiedergefunden. Gitarrentonkaskaden bahnen sich unbarmherzig ihren Weg, bohren sich durch die Leiber, den Leib der Masse Publikum. Als hätte Ritchie Blackmore sich von den Bach’schen Fesseln befreit. Auch Baß und Schlagzeug, metronomegleich powernd, erinnern an frühe Deep Purple-Tage. Nur fehlt die Orgel und damit die Privatfehde zwischen Blackmore und Lord, schlußendlich die echte Spannung. Genug über das I Musikalische? „Als ich früher Musiker auf der Bühne sah, wünschte ich, wie diese J ungs zu sein, so le ben zu dürfen“, weiß Rob um die Träume der Fans und serviert sie ihnen. Und nennt das therapeutisch. „Neben der musikalischen Substanz, die Hard Rock oder Heavy Metal zweifelsohne haben (was ist schon Pop, zweibis zweieinhalb Minuten ohne Bedeutung und Inhalt), ist es eine Musik, die tiefes Verständnis beinhaltet…“ Und dieses tiefe Verständnis für die Kids äußert sich bei Judas Priest so, daß man ihnen die totale Flucht anbietet. Aber nicht nur für die zahlende Mehrheit, auch für die bezahlte Minderheit auf der Bühne, ist es eine Flucht. „Klar ist es das“, bekennt Rob freimütig in Wodka-mit-Sprite-Laune, „die totale Flucht, das absolute Entrinnen aus dem Trott. Deshalb gehe ich überhaupt auf die Bühne. Ich kann dort ‚rauslassen, wie ich wirklich sein möchte, kann meine Spannungen ausleben, meine Hemmungen vergessen. Und für das Publikum ist’s das Gleiche. Das ist die Gemeinsamkeit, das, was wir mit unserem Publikum teilen, das, was uns verbindet.“ Nun mal ernsthaft, Freunde. Kann man sich tatsächlich vorstellen, daß die Jugendlichen kommen, teures Geld bezahlen, um verkleidete Schlappschwänze auf der Bühne zu sehen, die im Endeffekt genauso arm dran sind wie sie; sich hinter einem Image verstecken müssen, dessen Herrlichkeit in sich zusammenfällt, sobald sie aus dem stützenden Leder geschlüpft sind? Wie sollen sie, wenn sie das wissen, die erhoffte Inspiration, das Vergnügen, die Befreiung erleben? Eher würden sie laut Verrat schreien, sich andere „Ideale“ suchen oder noch frustrierter von dannen schleichen. „Wenn ich im 15. Jahrhundert gelebt hätte, wäre ich sicherlich ein Ritter in schwarzer Rüstung gewesen, mit ’nem schwarzen Pferd und hätte gegen Drachen gekämpft!“ schwelgt Rob. Und von Konzert zu Konzert, von Land zu Land zuziehen, das sei ja das letzte Abenteuer der Neuzeit. Rob, du mußt schon verzeihen: ihr wirkt reichlich mucho macho auf der Bühne. Wie wäre es mit einem Kommentar zum Nietzsche-Wort „Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!“? Rob: „Das hängt ganz von der Frau ab, zu der du gehst — aber dieser Aspekt, das ist totaler Sexismus. Feministinnen oder women ’s libbers könnten damit sicherlich nicht konform gehen. Ich seh’s so, daß es sicherlich einen Prozentsatz Frauen gibt, die dominiert werden wollen, wenn es um Sexualität geht, ein geringerer Prozentsatz sicherlich nicht. Aber so ’ne Frage kann man ja nicht allgemein gültig beantworten…“ Ich hab’ja auch dich als Vertreter der Gruppe gefragt! Als einen, der auf die Bühne kommt und der Damenwelt das Gefühl vermittelt, daß er sie nur als Lustobjekt betrachtet… Rob: „Ein Image ist wichtig für einen Künstler.“ Und wenn’s das der bösen Buben ist. Übrigens: zwei der bösen Buben, Bassist Ian Hill und Gitarrist Glenn Tipton sind verheiratet, Drummer Alan Moore und Gitarrero Nr. 2, K.K. Downing, wollen demnächst zum Standesamt… Rob dagegen ist frei, completely , wie er betont. Groupies haben dennoch keine Chance, hört man. Weibliche Groupies… Früher trat Robby nicht in Leder, sondern in Samt und Seide, in rotem Satin und stark geschminkt vor sein Publikum. Aber in Leder, so glaubt er, erhalte die Musik erst die richtige Dimension. „Angus geht in der schoolboy uniform auf die Bühne, ich in Leder…“ schwächt Rob ab, weit davon entfernt, einen Hang zum Leder-Fetischismus einzugestehen. Aber Moment mal. Da gibt’s sehr wohl einen Unterschied. Schon mal Wind davon bekommen, daß Judas Priest in einem Atemzug mit Kiss genannt werden, als Gallionsfigur einer neo-nazistischen Gefolgschaft? Rob: „Um Himmels willen, natürlich wollen wir nicht in diese Richtung gedrängt werden. Hinter der Lederkleidung verbirgt sich keinerlei politische Motivation. Tatsächlich habe ich mir, bevor wir in die Bundesrepublik kamen, überlegt, ob ich möglicherweise damit bei einigen Leuten anecken könnte. Aber ich dachte mir dann, du trägst das jetzt seit zwei Jahren und bis jetzt hat dich noch niemand darauf angesprochen.“ Zum Schluß noch die provozierende Frage, ob Heavy Metal denn nicht – mit allen Begleiterscheinungen — eine total konservative Musik sei. Rob Haiford setzt sich in Pose zum Pläidoyer für die gliebte „Kunst“-Form: „Nein, nein, nein, Hard Rock ist working class, middle class, konservativ, demokratisch, republikanisch, kommunistisch, es beinhaltet alles. Das ist ja das Hervorragende an dieser Musik. Es gibt keine Barrieren welcher Art auch immer, kein Klassendenken. Er erreicht alle Typen von Menschen, jede Kunst tut das, unabhängig von der Herkunft. Heavy Metal, das ist die Weltmusik. Schau, man hat geglaubt, Punk und New Wave würden Heavy Metal und Hard Rock total verdrängen können. Das Gegenteil ist der Fall!“ triumphiert Rob. „Heavy Metal gibt’s seit 15 Jahren und es geht weiter aufwärts. Thin Lizzy, UFO, Sabbath, die Scorpions. Glaube mir: this type of music is here to stay!“ Und: „Entweder man mag es, oder man mag es nicht. Die einen beziehen daraus irgendwelche Inspirationen, die anderen eben keine. Das hängt total vom Individuum ab.“ Eben Rob, und ich mag’s nicht. So ist’s nun mal mit der Kunst. Detlef Kinsler