Interview

JuJu Rogers: „Die Idee einer befreiten Gesellschaft treibt mich an‘‘


JuJu Rogers schafft es eindrucksvoll, politisch unbequeme Themen durch seine Musik greifbar zu machen, ohne den Zuhörer*innen eine Meinung vorzugeben. Ein Gespräch über Identität, Neoliberalismus, gesellschaftliche Zwänge und die Utopie einer befreiten Weltgemeinschaft.

Wir haben uns mit dem Rapper JuJu Rogers über seine am 18. März erschienene EP BUFFALO SOLDIER TAPE und der Gründung seiner Plattform „Counterkultur“ unterhalten. Zwischen dieser und seinem letzten Album 40 ACRES N SUM MULA liegen über zwei Jahre der Pandemie. Doch entgegen der Erwartungen, die eine solche Ausnahmesituation auf den kreativen Schaffensprozess mit sich bringt, bekam seine Musik einen fröhlichen Anstrich, ohne ihre sonst so prägnante politische und gesellschaftliche Aussagekraft zu verlieren.

In seiner Musik setzt sich JuJu Rogers mit historischen und gegenwärtigen Erfahrungen von Diskriminierung, Rassismus, Kapitalismus, Neoliberalismus sowie soziale Ungerechtigkeiten auseinander. Dabei wird seine Musik, die er selbst als „Krisenmusik‘‘ bezeichnet, vom Klang verschiedenster Genres Schwarzer Musikkultur wie Jazz, Reggae und Blues geprägt. Seine Texte transportieren historische Ereignisse der afrikanischen Diaspora symbolhaft in Klangbildern, Rhythmen und Lyrics. So ist es ihm möglich den Zuhörer*innen ihre postkoloniale Wirklichkeit bewusst werden zu lassen und zum Nachdenken anzuregen.

JuJu Rogers legt den Finger in die Wunde. Er weist auf Missstände hin und prangert gesellschaftliche Ungerechtigkeiten an – ohne dabei den pädagogischen Zeigefinger zu heben. Dabei ist er aber derart gelassen und, wie er sagt, „stinknormal“, dass man ihm einfach nur glauben muss, wenn er darüber spricht, dass sich etwa Künstler*innen nicht dem Mainstream unterordnen sollten oder Politisierung und Positionierung nicht immer zur Konsensfindung beitragen.

JuJu, der bürgerlich Julian Rogers heißt, kommt aus Schweinfurt. Von dort aus verschlug es ihn nach Berlin. Sein Debüt hatte der HipHop-Produzent und Rapper mit seinem Album FROM THE LIFE OF A GOOD-FOR-NOTHING im Jahr 2015. Durch seinen Vater kam er früh mit Jazz- und Soulmusik in Kontakt und fing dadurch an Trompete spielen zu lernen. Als Sohn einer deutsch-österreichischen Mutter und eines afroamerikanischen Vaters aus New Orleans wuchs Rogers bilingual auf und wurde stets durch unterschiedliche kulturelle Einflüsse geprägt.

MUSIKEXPRESS.de: Deine neue EP BUFFALO SOLDIER TAPE ist erschienen und gleichzeitig sind über zwei Jahre seit Deinem vorherigen Album 40 ACRES N SUM MULA vergangenen. Wie hast Du Dich während dieser Zeit gefühlt und gab es Kreativität um Dich herum?

JuJu Rogers: Am Anfang der Pandemie waren wir auf Tour. Dann fing die Situation an sich zu verschärfen und wir mussten diese abbrechen. Gefühlt haben wir also das letzte Album etwas verbreitet und dann ging der Lockdown los. Am Anfang hatte ich wohl wie viele Künstler*innen die romantische Vorstellung davon, richtig viel Zeit im Studio zu verbringen und Musik zu produzieren. Im Endeffekt war das aber gar nicht so. Ich bin auch nur ein stinknormaler Mensch und musste auch erstmal mit dieser Ausnahmesituation zurechtkommen. Das hat sich nach einer gewissen Zeit verbessert und maßgeblich den Ansatz meiner EP beeinflusst. Ich wollte eher positive Vibrations und Frequencies rüberbringen, ohne dabei zu wissen, dass sich das Ganze zwei Jahre lang zieht – was echt crazy ist. Darüber hinaus habe ich das Label aufgebaut und konnte die Zeit ganz gut für mich nutzen. Ich kann aber auch verstehen, wenn Leute sagen, dass ihnen jegliche Inspiration gefehlt hat.

Stichwort Label: Du schreibst auf Instagram, es sei eine Plattform. Was ist es denn jetzt?

JuJu: (lehnt sich zurück und grinst) Genau das – mit dem Wort Label gehen zu viele Konnotationen einher. Ich sehe es einfach als meine Plattform, wo ich releasen kann. Ich könnte mir aber auch vorstellen, es auch für anderen Projekte zu nutzen. Unter anderem auch für Kunst, die keine Musik ist. Solange es sich gut anfühlt, würde ich gerne allem was eine Gegenkultur darstellt, einen Space geben.

Laut der Definition stellt der Begriff Werte und Normen der sogenannten Leit- oder Mehrheitskultur in Frage. Was bedeutet für dich Counter Culture und glaubst Du nicht, dass HipHop inzwischen eher als Subkultur verstanden wird?

JuJu: So wie ich HipHop verstehe und historisch betrachte, ist es eine Gegen- und keine Subkultur. Ich glaube, es wird vielmehr hier in Deutschland als Subkultur verstanden. Der Kern ist aber ein anderer. Dieser stellt eine rebellische, Schwarze Gegenkultur zum amerikanischen und europäischen weißen Mainstream dar. Jetzt ist es natürlich eher eine Subkultur – ich verstehe mich aber schon als das kleine rebellische Element, das Fragen stellt und nervt. Deswegen fühle ich mich mit einer Gegenkultur wohler und finde nicht, dass das ein Gegensatz ist.

Warum hast Du beschlossen Dich von JAKARTA RECORDS zu emanzipieren?

JuJu: Ich glaube, Du hast das Zauberwort schon in der Frage gestellt: mehr Emanzipation. Ich möchte mehr Verantwortung für mich selbst tragen. Wenn ich Fehler mache, möchte ich die gerne selbst verantworten. Nach meinem zuletzt releasten Album 40 ACRES N SUM MULA war das der logische Schritt für mich, um mich vor allem mental zu autonomisieren. Es war keine aktive Trennung von Jakarta, sondern vielmehr eine Hinwendung zu mir selber und meinen eigenen Kanälen. Es gibt mir ein Gefühl von Empowerment und Emanzipation. Ich möchte dazu aber noch sagen, dass Jakarta nie meine Musik und Kunst in Frage gestellt hat. Ganz im Gegenteil: Es ermutigt einen eher diese Art von anderer Musik zu machen.

Auf Instagram sagtest Du über Counterkultur: „Diese Musik ist keine reine Unterhaltung! Sie ist eine Rebellion gegen den Status Quo. Sie erhebt ihre Stimme. Sie ist eine Mahnung. Sie ist Teil einer langen Reihe von Kämpfen!‘‘ Klar, Protestbewegungen mit Musik gab es schon immer, aber findest Du, dass sich diese derweil durch das neoliberale System der Musikindustrie etwas in eine Nische verzogen hat? 

JuJu: Ich glaube, das Neoliberalismus und Kapitalismus revolutionäre Kunst immer kaputt machen. Dass ist auch keine Meinung, sondern einfach ein historischer Fakt. Wir können das zum Beispiel bei Jazz, Blues oder auch Punk beobachten. Allerdings habe ich ein ungutes Gefühl dabei, alles auf die neoliberale Agenda der Musikindustrie zu schieben. Wir als Künstler*innen haben ebenfalls den Spielraum, das System als Ganzes zu verstehen und zu rebellieren. Ich würde mir ein größeres Bewusstsein von Künstler*innen über die eigene Situation im System wünschen. Die Industrie versucht Musik zu verkaufen und so massentauglich wie möglich zu machen, aber wir als Künstler*innen haben auch unsere eigene Entscheidungskraft.

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Muss man als Konsument*in aber nicht trotzdem etwas länger danach suchen, weil es sich schlechter verkauft?

JuJu: (schmunzelt) Es ist tricky, wirklich sehr tricky. Man möchte das natürlich nicht wahrhaben, aber vom Gefühl her ist es auf jeden Fall so. Die krassesten Rapper in den USA sind hochpolitisch – damit meine ich Kendrick Lamar, Kelvyn Colt und Jay Electronica. An denen kommt keiner vorbei und es verkauft sich trotzdem. Aber ich glaube, ich würde die Musik nicht machen, die ich mache, wenn Verkaufszahlen so relevant wären.

DIE SINGLE „BUFFALO SOLDIER‘‘ ZUR GLEICHNAMIGEN EP:

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Mit deinem BUFFALO SOLDIER TAPE stellst Du diverse Elemente von Rassismus, Identitäts- und Erinnerungskonstruktion in den Fokus. Gleichzeitig ist es eine Hommage an die ehemaligen Buffalo Soldiers in den 1860er-Jahren. Inwiefern spielen hier Deine eigene Identifikation und Auseinandersetzung mit der Schwarzen Diaspora eine Rolle?

JuJu: Der ursprüngliche und gleichnamige Song von Bob Marley ist mir bereits seit meiner Jugend bekannt. Ich erinnere mich vor allem an das dazugehörige Musikvideo mit einer Rasta-Kavallerie. Das hatte keinen direkten Bezug zu mir, bis zu dem Zeitpunkt, als ich verstanden habe, worum es geht. Es ist eine Aufarbeitung zur Geschichte der Truppen des Schwarzen US-Militärs. Die indigene Bevölkerung nannte die afroamerikanischen Einheiten damals Buffalos, weil ihre Haare wie die von Büffeln aussahen. Das ist schon eine Connection – denn schließlich sind die lockigen Haare ein wichtiges Erkennungsmerkmal für die Schwarze Diaspora. Zweitens ist mein Vater eben ein US-amerikanischer GI, der in jungen Jahren noch in der segregated US-Army gedient hat. Bedeutet, mein Vater wurde noch rassengetrennt, wie man so sagt. Es ist zum einen mein Background und zum anderen habe ich immer mal wieder Berührungspunkte zu Roots-Musik gehabt. Darin bin ich sehr tief eingetaucht – und diese Connection hat sich einfach gut angefühlt.

Anstatt rein plastische Motive zu nutzen, verleihst Du Deiner Musik vor allem durch wahre und historische Ereignisse Ausdrucksgehalt. Was ist Dein genauer Anspruch dabei?

JuJu: Da wird viel interpretiert und zugeschrieben. Mein Versuch ist es nicht, eine Mehrheitsgesellschaft zu bilden oder irgendwen zu bilden. Und ich weiß auch nicht, ob man überhaupt so einen Bildungsanspruch Rap oder HipHop zuschreiben kann. Da bin ich mir noch sehr unschlüssig und müsste noch lange darüber nachdenken. Dass ich Musik aufgrund meines Verständnisses mit Realität und historischen Ereignissen schmücke ist safe, weil ich mich einfach als Spiegel sehe. Ich habe das so lieben gelernt und ich glaube, dass es ein Stück weit meine Aufgabe ist zu reflektieren. Einfach ein Spiegel der Gesellschaft zu sein und über Vergangenheit, aber auch vielleicht über Zukunft zu sprechen. Ich will niemandem etwas vorschreiben, aber wenn ich das Gefühl habe, dass Menschen mir zuhören, wenn ich etwas droppe, dann soll das schon einen gewissen inhaltlichen Anspruch an mich selbst erfüllen. Ich bin einfach nur Juju, der versucht in diesem komischen Babylon hier zurecht zu kommen und irgendwelche Auswege zu finden, um nicht verrückt zu werden.

Da Du Deine Musik so stark in politische Kontexte einbettest, muss man ja auch mit fundierten Fakten arbeiten – oder sollte man zumindest.

JuJu: Ja voll! Und das passt auch wieder zu dem neoliberalen Verständnis, das Du vorher angesprochen hast. Irgendwie ist es in diesem mittlerweile cool geworden, politisch zu sein. Da muss man sehr vorsichtig sein, weil es oft nur an der Oberfläche kratzt. Radikalität verkauft sich inzwischen sehr gut.

Ein Bild, das oft in den sozialen Medien zu sehen ist, oder? Wie empfindest Du das und löst das einen gewissen Positionierungszwang bei Dir aus?

JuJu: (nickt) Ich empfinde das überhaupt nicht so, weil ich mich dem komplett entzogen habe. Spätestens zu dem Zeitpunkt als ich erkannt habe, dass Dinge auf eben solchen Plattformen zum Trend und gefühlt zwei Tage später wieder vergessen werden. Seitdem habe ich mich dazu entschlossen, diese Plattformen auf keinen Fall mehr für politischen Aktivismus zu benutzen. Ich glaube, dass mit meiner Musik sehr schnell klar wird, wo ich politisch stehe. Ich habe diesen merkwürdigen pädagogischen Zeigefinger in den sozialen Medien nicht und finde es komisch, wenn Menschen denken, sie müssten sich zu allem positionieren. Ich versuche Social Media nicht als einen politischen Ort wahrzunehmen, das finde ich auch sehr gefährlich.

Was treibt Dich an und gibt Dir Kraft im Kampf der Veränderung? Ich könnte mir vorstellen, dass es teils echt frustrierend sein kann, sich ständig mit so schweren und politisch aufgeladenen Themen auseinanderzusetzen, und gleichzeitig das Gefühl zu haben, häufig auf der Stelle zu treten.

JuJu: Es ist total frustrierend! (nickt und lacht) Aber Frust, Trauer und auch Wut sind alles legitime Emotionen. Was mich wirklich antreibt, ist die Idee einer befreiten Gesellschaft, wo es keine Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen gibt. Diese Vorstellung finde ich so schön, dass ich weiterhin daran festhalte, auch wenn ich weiß, dass es eine übertriebene Utopie ist. Außerdem habe ich, auch wenn man mir das im Alltag nicht immer anmerkt (lacht), eine tiefe Liebe zu Menschen. Ich glaube, wir könnten viel harmonischer und schöner miteinander leben, wenn wir andere Konzepte durchdenken und annehmen. Am Ende ist es die Utopie einer befreiten Gesellschaft und die Liebe zu meinen Mitmenschen.

„LONG LIVE JOHN AFRICA‘‘ ERINNERT AN DEN GRÜNDER DER MOVE-BEWEGUNG, NACHDEM DIESER BEI EINER TÖDLICHEN POLIZEIAKTION IM JAHR 1985 IN PHILADELPHIA UMS LEBEN GEKOMMEN IST:

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Gehst Du denn sehr verkopft an Deine Musik ran? Wie bewahrst Du Lockerheit mit diesen schweren Themen umzugehen?

JuJu: Ich versuche mich auch schon seit einiger Zeit davon zu lösen. Ich versuche eher kindlich und spielerisch an die Musik heranzugehen. Ich probiere mich auch viel im Studio aus. Ich habe verschiedene Arten von Energien ausprobiert, wie zum Beispiel Punk-Songs, wo ich einfach freier sein und abgehen kann. Ich merke schon etwas von meinem Verkopft-Sein zu verlieren und bei der aktuellen EP finde ich auch, dass wir es geschafft haben, obwohl die Themen genauso heavy sind.

Würdest Du Dich abschließend eher als Pessimisten, Optimisten oder Realisten beschreiben?

JuJu: (überlegt und grinst) Ich gebe Dir jetzt eine JuJu-Antwort. Ich möchte diese Zuschreibungen einfach gar nicht mehr, weil ich einfach JuJu bin. Ich finde diese Frage zu 100 Prozent legitim, aber ich möchte mich persönlich komplett davon freimachen. Ohne jetzt weiter ausführen zu wollen, ist das auch wieder etwas, wie man uns sozialisiert hat. Entweder bist du das oder nicht. Ich kann alles sein: Ich bin Realist, gleichzeitig Utopist und auch Pessimist. Schließlich bin ich ein komplexes Wesen. Deswegen lautet meine Antwort: Ich bin alles!

HÖRT HIER JUJU ROGERS EP BUFFALO SOLDIER TAPE IM STREAM: 

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